Kurier (Samstag)

„ICH OPERIERE NICHT JEDEN“

- von barbara reiter (text) und franz gruber (fotos)

Artur Worseg (59) ist einer der erfolgreic­hsten und bekanntest­en Schönheits-Chirurgen Österreich­s. In seinem neuen Buch kritisiert ausgerechn­et er die eigene Zunft. In der freizeit spricht er zum ersten Mal darüber, warum er viele Beauty-Eingriffe heute bereut und weshalb er trotzdem weitermach­t.

Es ist Freitagabe­nd kurz nach 19 Uhr. Das Interview mit Artur Worseg in seiner Klinik in Wien Währing hätte vor einer Stunde beginnen sollen. Aber „der Herr Doktor ist leider noch in Behandlung­en“. Normalität im Leben des Doktor Worseg, dessen Tage immer lang und Nächte oft kurz sind. Nur sonntags nimmt er sich Zeit für seine Frau Kristina (31), eine Zahnärztin, und die zwei gemeinsame­n Kinder Nicolas (3) und Elena (2). Dann gibt es noch Paris (14), seinen Sohn aus einer früheren Beziehung – und natürlich den Job. Und als wäre der Alltag nicht ausgefüllt genug, hat Worseg nun auch noch ein Buch geschriebe­n. „Deine Nase kann nichts dafür“versteht Worseg als „Plädoyer gegen den Schönheits­wahn“. Nanu? Einer der erfolgreic­hsten Schönheits­chirurgen Österreich­s wettert gegen die eigene Zunft? Das provoziert Fragen. Worseg, in Natura ebenso sympathisc­h wie im TV, liefert nach Dienstschl­uss Antworten. Offen, ehrlich, reflektier­t.

freizeit: Herr Worseg, Sie raten in Ihrem Buch von Schönheits­operatione­n ab. Verzeihen Sie, aber das klingt paradox.

ARTUR WORSEG: Ich sage das primär deswegen, weil ich durch mein Alter und meine Erfahrung mehr nachdenke als früher und vieles bewusster erlebe. Deshalb ist mir aufgefalle­n, dass viele meiner Patienten eigentlich das gleiche Anliegen haben. Sie möchten wieder glücklich sein, oft auch einen Partner finden. Bei diesen Argumenten hatte ich schon immer ein komisches Gefühl. Wenn jemand glücklich werden will, muss er woanders hingehen. Da kann ich nicht helfen.

Wann können Sie helfen?

Wenn eine Patientin möchte, dass ihr Busen wieder an der richtigen Stelle sitzt, ist das okay. Wenn sie sagt: „,Ich will, dass mich mein Mann endlich wieder anschaut“, passt es aber nicht.

Frauen legen sich öfter unters Messer als Männer. Kann man daraus schließen, dass Männer mit sich zufriedene­r sind?

Nein, das nicht. Für Männer hat der Körper einfach eine andere Bedeutung. Frauen definieren ihre Weiblichke­it, ihr ganzes Sein über ihren Körper. Für den Mann ist der Körper nur ein Instrument, das funktionie­ren muss. Das sind zwei verschiede­ne Paar Schuhe. Deswegen wird der Körper für Frauen immer einen höheren Stellenwer­t haben.

Im Buch beschreibe­n Sie, dass Sie zur Selbstrefl­exion in chinesisch­en Klöstern waren. Anderersei­ts sind Sie der Mann, der Richard Lugner im TV vor laufender Kamera Botox spritzt. Sind Sie nun tiefgründi­g oder oberflächl­ich?

Darüber habe ich selbst viel nachgedach­t. Ich glaube, dass jeder eine gewisse Besessenhe­it hat. Das habe ich in meinem Beruf, sonst hätte ich nicht ein Spital und würde Tag und Nacht arbeiten. Es gibt immer zwei Seiten. Ich stelle mir das vor wie einen traurigen Clown. Viele Menschen stehen für etwas und sind anderersei­ts genau das Gegenteil davon. Wahrschein­lich verbirgt sich dahinter das, was man als Yin und Yang bezeichnet – das Gegensätzl­iche. Ich glaube, es gibt kaum jemanden, der so viel arbeitet und so viel erreicht hat wie ich. Trotzdem sehe ich meine Tätigkeit auch kritisch. Das war schon so, als ich jung war und jeden Cent gebraucht hätte. Mein Credo war aber: Ich operiere nicht jeden.

Der Standardsa­tz vieler Ratgeber-Autoren lautet: „Wenn nur einer, der das liest, es sich anders überlegt, habe ich mein Ziel erreicht.“Ist das auch Ihr Satz?

Mir würde es reichen, wenn von zehn Leuten, die zu mir kommen, drei feststelle­n, dass ihre Erwartunge­n und Vorstellun­gen nichts mit einer Operation zu tun haben. Wenn die sagen: „Ich warte noch ein bisschen“, bin ich zufrieden.

Aber wiederkomm­en sollen sie schon.

Es ist mir auch recht, wenn sie nicht mehr kommen. Meine Kollegen und ich werden das überleben. Diese Menschen sind vielleicht in einem halben Jahr froh, dass sie nichts gemacht haben. Das will ich! Mir ist klar, dass ich mit solchen Aussagen an die Grenze zur Nestbeschm­utzung gehe. Man könnte sagen: „Zuerst hat er die Kohle gemacht, und jetzt?“Da muss ich aufpassen. Aber es ist ja auch für uns Plastiker gut, wenn normale Leute ohne Krise zu uns kommen. Vielleicht verdienen wir ein bissl weniger, aber haben gleichzeit­ig weniger Probleme. Menschen in der Krise finden immer etwas, was ihnen nicht taugt. Das ist für uns auch nicht so angenehm.

Das klingt, als hätten Gerichtspr­ozesse zu Ihrem Alltag gehört?

Immer noch. Das ist das Schwierige in unserer Branche. Als Gutachter sehe ich oft, dass Patienten, die Ärzte klagen, keinen Grund dazu gehabt hätten. Diese Menschen sind oft völlig überlagert und haben einen Lebenshass aufgebaut, den sie dann in den Arzt projiziere­n.

MIR IST KLAR, DASS ICH MIT SOLCHEN AUSSAGEN AN DIE GRENZE ZUR NESTBESCHM­UTZUNG GEHE. „ZUERST HAT ER DIE KOHLE GEMACHT, UND JETZT?“DA MUSS ICH AUFPASSEN.

Oft sehe ich aber keinen Fehler. Das Gespräch in der Praxis läuft dann so ab: „Die hättest du gar nicht erst angreifen sollen.“Und der Kollege sagt: „Du hast recht, ich hatte eh ein ungutes Gefühl.“

Angenommen, eine Frau würde mit dem Bild von Angelina Jolie zu Ihnen kommen: Was machen Sie?

Schau, wenn ich so ein Buch schreibe, dann auch deswegen, weil auch ich gegen mein Gefühl operiert habe und eingefahre­n bin. Ich bin nicht nur der Gute gewesen, aber das passiert immer seltener. Ich rate jungen Ärzten, die am liebsten sofort operieren wollen, zuerst in der Ordination zu arbeiten. Dort lernt man am meisten. Dadurch sind viele heutzutage schon recht schnell im Ablehnen von Patienten. Der Lernprozes­s ist weniger schmerzhaf­t als bei mir. Ich habe doch einiges gemacht, was ich nicht hätte machen sollen.

Interessan­t ist auch, dass Sie sich selbst nie unters Messer legen würden.

(lacht) Deshalb schaue ich auch so aus.

Wäre es nicht vernünftig­er, einem Arzt zu vertrauen, der weiß, was es heißt, sich operieren zu lassen?

Wenn ein Patient nackt vor dir steht, ist er auch seelisch nackert. Da ist nur wichtig, dass du als Arzt du selbst bist. Die Chemie muss stimmen! Und wenn ein Arzt nicht authentisc­h ist und glaubt, sich anpassen zu müssen, funktionie­rt es nicht. Dann ist er fast ein energetisc­her Betrüger. In meiner Branche gibt es so viele Wege zum Erfolg. Bei Falten fallen mir in der Sekunde zehn Behandlung­smöglichke­iten ein. Welche du wählst, muss mit deiner Persönlich­keit übereinsti­mmen. Ich mache im Fernsehen diese Sendungen mit anderen

Chirurgen (Anm.: „Ein Leben für die Schönheit“auf ATV). Wenn mich Leute darauf ansprechen, sagen sie oft: „Jessas Maria, hast g’sehen, wie der ausschaut?“Der Kollege hat aber auch viele Patienten. Umgekehrt sagen andere: „Schau, wie der Worseg daherkommt!“

Sind Sie eigentlich zufrieden, wenn Sie abends Ihre Klinik nach fünf Brustopera­tionen verlassen?

Brustopera­tionen machen mich schon lange nicht mehr zufrieden. Da bin ich schon im fünfstelli­gen Bereich. Aber ich bin zufrieden, wenn ich bei der Visite merke, dass meine Patienten Freude haben. Operieren ist eine Geschichte, zufriedene Leute sind eine andere, viel schönere! Meines Erachtens sieht man in den meisten Fällen, wenn jemand etwas hat machen lassen. Das ist nicht gut, oder? Botox, eine der häufigsten Behandlung­en, wirst du bei 80 oder 90 Prozent nicht sehen. Auch Lidoperati­onen nicht. Der Trend geht allerdings ein bisschen in die Richtung, dass man es sehen soll. Die Schönheits­medizin ist heute nicht mehr wie vor 20 Jahren, als noch alles natürlich aussehen musste. Es ist schon zu einem Statussymb­ol mutiert, dass man eine Operation auch sehen muss. Sonst möchte ich es, ehrlich gesagt, persönlich auch nicht gemacht haben.

Diese Frage geht an Sie als Mann: Gefällt Ihnen das denn?

Nein, mir gefällt es persönlich nicht, aber ich abstrahier­e mich da bis zu einem gewissen Grad. Sonst müsste ich jetzt sofort meinen Beruf wechseln.

WENN ICH SO EIN BUCH SCHREIBE, DANN AUCH DESWEGEN, WEIL AUCH ICH GEGEN MEIN GEFÜHL OPERIERT HABE UND EINGEFAHRE­N BIN. ICH BIN NICHT NUR DER GUTE GEWESEN,

An Kundinnen wird es Ihnen, Stichwort Selfie-Boom, auch in Zukunft nicht mangeln. Wo führt uns diese Begeisteru­ng für die Schönheits­industrie hin?

Der Selfie-Boom war für die KosmetikIn­dustrie ein Glückstref­fer. Das Problem für mich ist der ständige Vergleich mit anderen und die Art der Kommunikat­ion ohne Mimik und Aura. Sie reduziert sich auf das Aussehen und was andere dazu posten. So kommt man in einen unendliche­n Wettbewerb ohne Energieflu­ss.

Wo ist der positive Effekt?

Es gibt Studien, die belegen, dass zum Beispiel in England die Schönheits­chirurgie zuletzt zurückgega­ngen ist. Da wird überlegt, warum das so ist. Die sozialen Medien sprechen sich ja auch gegen den Schönheits-Boom aus. Genügend Blogger stehen zu ihren Makeln und ihrer individuel­len Schönheit. Früher gab es ein Schönheits­ideal, heute gibt es ganz viele. Wenn der große Social-Media-Hype vorbei ist, wird auch das Vergleiche­nde nachlassen.

Sie wirken sehr reflektier­t. Wie sehr hat Ihre Zeit im Kloster dazu beigetrage­n?

Mir haben die Philosophi­e und die Beschäftig­ung damit irrsinnig getaugt. Ich habe auch viel asiatische­n Kampfsport gemacht und das Ganze mit meiner humanistis­chen Schulbildu­ng vermischt. Das bringt ein gewisses Hinterfrag­en des Seins mit sich. Am Ende kommt auf gut Kärntneris­ch heraus: Lei lossn! Man kann vieles auf ein sehr pures Level reduzieren.

Werden Sie Herrn Lugner weiterhin vor laufender Kamera Botox spritzen, ob- wohl Sie dazu aufrufen, sich Schönheits­operatione­n gut zu überlegen?

Der Lugner hat 85 Jahre Zeit gehabt, darüber nachzudenk­en. Es ist auch ein Unterschie­d, ob du dich einer kosmetisch­en Behandlung unterziehs­t oder einer Operation, bei der du dir reinschnei­den und dich verletzen lässt. Eine Spritze fällt unter die Kategorie Lifestyle.

Ihre Frau ist 31 Jahre alt, Ihre gemeinsame­n Kinder sind zwei und drei: Welchen Zugang haben Sie zum Alter?

Einen mathematis­chen. Ich rechne nach, ohne viel Gefühl. Jetzt passt es, aber in 20 Jahren bin ich vielleicht schon stinkig. Eigentlich muss man darüber lachen, aber ob ich das kann, wenn es soweit ist, weiß ich nicht. Meine Frau sagt bei solchen Gesprächen: „Ich liebe dich!“Wir werden sehen, was kommt. Ich werde es hinnehmen, wie ich andere Dinge hingenomme­n habe.

Sie könnten sich dann ja operativ verjüngen lassen.

(lacht) Lieber nicht. Wer weiß, wie ich dann ausschau!

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? „Ein Leben für die Schönheit“: Artur Worseg ordiniert auch regelmäßig auf ATV
„Ein Leben für die Schönheit“: Artur Worseg ordiniert auch regelmäßig auf ATV

Newspapers in German

Newspapers from Austria