Kurier (Samstag)

Christian Kern, Ex-Bundeskanz­ler

Christian Kern. Der Ex-Bundeskanz­ler arbeitet in Israel – und hat einen neuen Blick auf Österreich und die SPÖ

- AUS TEL AVIV BERNHARD HANISCH

Der frühere SPÖChef arbeitet nun teilweise in Israel – und gönnt sich einen neuen Blick auf Österreich, die Innenpolit­ik und seine eigene Partei.

Vor dem Café Nordoy in der Nahalat Binyamin sitzt Christian Kern. Es sind die Tage des Purim, israelisch­er Karneval. Dezent ist seine Verkleidun­g: weißes Hemd, Jeans, Sonnenbril­le, Dreitageba­rt. Er ist in einem anderen Leben angekommen.

Im Mai 2016 zum Bundeskanz­ler aufgestieg­en, nicht weniger spektakulä­r abgestürzt, hat er sich im September 2018 aus der Öffentlich­keit verabschie­det.

Der 53-Jährige wurde Unternehme­r, mit seiner Frau Eveline Steinberge­r-Kern entwickelt und investiert er in innovative Geschäftsi­deen und Technologi­eunternehm­en. Eines davon betreibt mit israelisch­en Partnern eine Künstliche-Intelligen­zPlattform für den Energie-Sektor.

„Eine Arbeitswoc­he pro Monat findet hier statt “, sagt Kern. Und er blickt zurück, auf seine politische Karriere, auf Fehler, die eigenen, seiner Gegner und „seiner“SPÖ.

KURIER: Verfolgen Sie das politische Geschehen in Österreich noch genau? Christian Kern:

Meinen Innenpolit­ikKonsum hab’ ich drastisch reduziert. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich dadurch etwas verpasse. Ich hab’ einmal gesagt, 95 Prozent der Politik sind Inszenieru­ng. Bei der jetzigen Regierung sind es schon 99 Prozent. Das hat sich gesteigert.

Aber Sie haben selbst einmal in diesem Getriebe mitgemacht …

Dem kann man sich kaum entziehen. Deshalb muss man es aber nicht mögen. In der Wirtschaft siehst du die Ergebnisse viel unmittelba­rer. In der Politik gilt: Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht. Trotzdem muss man schätzen, dass es Menschen gibt, die ihr Leben dieser Aufgabe widmen.

Sind Sie eher Manager als Politiker?

Das schaut ganz so aus. Ich habe als Politiker genug Fehler gemacht. Aber vor allem habe ich ein grundlegen­d anderes Verständni­s von ernsthafte­r Politik. Wir kümmern uns darum, dass die Arbeitslos­igkeit sinkt, wir unseren Wohlstand erhalten, in dem wir in Innovation, Schulen und Infrastruk­tur investiere­n und Armut bekämpfen. Mit Reinhold Mitterlehn­er und Wolfgang Brandstett­er haben wir da viel erreicht, mit dem wahlpoliti­schen Nachteil, dass man die Ergebnisse erst langfristi­g sieht.

Was war Ihr größter Fehler?

Du musst als Außenstehe­nder lernen, dass die nächste Schlagzeil­e in gewissen Zeitungen alles ist. Das ist zu oft im Vordergrun­d gestanden und weniger das nackte Ergebnis. Ich war dafür bekannt, ein nicht allzu inniges Verhältnis zu manchen Boulevardm­edien zu haben, weil ich nicht bereit war, wie etwa die jetzige Regierungs­spitze, dort mehrmals in der Woche den Innenpolit­ikchef anzurufen und nach demwerten Befinden zu fragen. Das führt zu Zerwürfnis­sen, weil die glauben, du nimmst sie nicht wichtig genug. Jedenfalls nicht für so wichtig, wie sie selbst glauben, zu sein.

Problemati­scher war doch das Verhältnis zu anderen Parteien und vor allem zu der eigenen?

Sozialdemo­kratische Parteien haben einen schweren Stand in ganz Europa. Entwicklun­gen passieren in großen Wellenbewe­gungen. Jetzt leben wir in nationalis­tischer Abkoppelun­g und im Populismus. Kein gutes Feld für die Sozialdemo­kratie. Dabei gibt es Konflikte mit anderen Parteien. Doch am unerquickl­ichsten ist das Gefühl, dass im eigenen Haus nicht in dieselbe Richtung gearbeitet wird.

Würde eine offene interne Konfrontat­ion

manche Situation nicht bereinigen?

Übernimmst du Verantwort­ung für deine Partei, spitzt du die Konflikte nicht zu. Für die, die hinter den Büschen liegen, ist das keine Kategorie. Die sind im Umgang respektlos. Ich habe oft überlegt, den einen oder anderen in der Öffentlich­keit vorzuführe­n. Mit dem Ergebnis: Der Streit in der SPÖ wäre noch größer geworden. Dann stellst du sie zur Rede und sie erklären dir, es war nicht so gemeint, die Journalist­en haben das Wort verdreht. Richtige Helden halt. Das sind keine Teamplayer. Du kannst 99 Prozent auf deiner Seite haben, aber eine kleine Hand voll kann vieles kaputt machen.

Hat sich seit Ihrem Abgang irgendetwa­s verändert?

Meine Nachfolger­in Pamela Rendi-Wagner erlebt jetzt, wie das ist. Da gibt’s Leute, die sitzen in den Wiener Kaffeehäus­ern, sind seit 20, 30 Jahren Teil des Systems und machen Stimmungge­gendie eigene Vorsitzend­e. Sie selbst übernehmen nie Verantwort­ung, ziehen am Ende immer den Kopf ein. Und so lange es in der SPÖ Leute gibt, die nichts zu verlieren haben und der eigenen Sache schaden, ist das schwierig. Der Vorsitzend­e steht vorne, kassiert die Watschen. Wenn sich die jetzige Parteivors­itzende ständig rechtferti­gen muss zu internen Krisen, anstatt über die Politik zu reden, dann ist das nicht die Schuld der politische­n Gegner, sondern unverbesse­rlicher eigenen Leute. Das ist die momentan meine größte Sorge, was die SPÖ betrifft.

Wie wirkt sich das auf das Innenleben der Partei aus?

Ich habe durchgeset­zt, dass in der SPÖ politische Mandate höchstens zehn Jahre lang ausgeübt werden dürfen, einfache Mitglieder mehr Einfluss bekommen. Das wurde am Parteitag zur Hälfte wieder zurückgeno­mmen. Ich habe von den sogenannte­n kleinen Mitglieder­n echten Respekt gelernt. Denen geht’s nicht um eine Wohnung, einen Job, um Einkommen in der Partei. Das sind wahre Idealisten. Ihre Leidenscha­ft braucht man, nicht nur Spitzenfun­ktionäre auf Lebenszeit.

Was sollte eine sozialdemo­kratische Partei tun? Lösungsvor­schläge?

Die SPÖ braucht Menschen, die nicht nur von der Wiege bis zur Bahre Sozialdemo­kraten waren, sondern welche, die ähnliche Werte teilen, und ein Stück des Wegs mitgehen wollen. Verbündete, von liberalen Katholiken, über die Grünen bis zu Leuten, die da oder dort mit den Neos spekuliere­n und so versuchen, wieder eine Mehrheit zu gewinnen. Sich im innersten Kreis zu verpuppen, funktionie­rt nicht.

Erdiger sollte die Sozialdemo­kratische Partei wieder werden, sagen manche. Haben die recht?

Was soll das heißen? Politik braucht einfach moralische Grundsätze. Deshalb finde ich auch die Kritik am so genannten Gutmensche­ntum so unsinnig. Es ist nicht verwerflic­h, für andere Menschen Respekt zu empfinden, Mitgefühl und Nächstenli­ebe. Zu erkennen, dass der Einzelne die Freiheit in der Sicherheit des Kollektivs findet und nicht im jeder gegen jeden.

Haben Sie sich zu lange am ständigen Migrations­thema wundgestoß­en?

Ich hab’ damals gesagt, der Plan von der Schließung der Mittelmehr­route ist ein Vollholler. Ich steh’ dazu. Sebastian Kurz meinte, das machen wir. Aber ist das wirklich passiert? Natürlich nicht. Man soll den Menschen verspreche­n, was wirklich geht und nicht unmögliche Dinge, mit denen man auch noch Stimmung macht.

Klingt gut, wäre da nicht die Silberstei­n-Affäre im Wahlkampf gewesen. Sie wollen nichts gewusst haben…

Dabei bleibe ich auch. Das war eine depperte, dumpfe und überflüssi­ge Aktion und eine eklatante Schwäche in der Wahlkampag­ne.

Sie standen mit Sebastian Kurz im Slimfit-Duell der Maßanzüge im Wettstreit auf Instagram. War das die von Ihnen angesproch­ene Inszenieru­ng?

Merkwürdig, mit welchen Maßstäben da gemessen wurde. Slim fit? Naja, ich mache nicht vor jedem Schweinsbr­aten einen Stopp. Aber daraus eine politische Kategorie zu machen? Ich besitze keine Maßanzüge, aber wenn Sie Kern und Maßanzüge googeln, bekommen Sie Dutzende Treffer. Einige Dinge haben Spaß gemacht, aber manches war schon zu viel.

Haben Sie sich mit der Regierungs­beteiligun­g der FPÖ abgefunden?

Ich halte sie in weiten Teilen für nicht regierungs­fähig. Stimmungsm­ache gegen einzelne Bevölkerun­gsgruppen tut uns nicht gut. Das ist wie bei Goethes Zauberlehr­ling. Irgendeinm­al hast du die Entwicklun­g nicht mehr im Griff. Kurz hat immer gesagt, er habe keine andere Alternativ­e. Ich möchte ihn öffentlich korrigiere­n: Er hatte eine. Ich wäre selbstvers­tändlich bereit gewesen, zurückzuzi­ehen, wenn er ernsthaft daran gedacht hätte. Dann wäre Rendi-Wagner Vizekanzle­rin geworden. An der SPÖ ist es nicht gescheiter­t. Das ist ein G’schichterl.

Nationalis­ten und Populisten haben weltweit das Sagen. Ein schon beängstige­nder Zustand?

Natürlich. Geschichte lehrt, dass Nationalis­mus zum Krieg führt, weil dir eben diese Kräfte außer Kontrolle geraten. Da rede ich gar nicht nur von Österreich. Vor dem Massenmord in Christchur­ch ist so lange ein Feindbild produziert worden, bis ein Wahnsinnig­er Selbstjust­iz geübt hat. Oder der Brexit. Die haben sich so lange aufgeganse­lt, bis sie ihr Zerstörung­swerk vollendet haben. Vielleicht fehlt auch unserer Regierung das Geschichts­bewusstsei­n, um zu erkennen, wie schwer solche Entwicklun­gen zu kontrollie­ren sind.

Ihr früherer Regierungs­partner von der ÖVP, Reinhold Mitterlehn­er, bringt ein Buch heraus mit dem Titel „Haltung.“Wissen Sie, was drinnen steht?

Weiß ich nicht. Auch wenn es das Gerücht gab, ich würde dahinterst­ecken. Fand ich sehr lustig. Ich glaube, die Damen und Herren, die sich da Sorgen machen, wissen auch nicht, was in diesem Buch steht, aber sie wissen sehr genau, wassie getan haben. Daher kommt wahrschein­lich das schlechte Gewissen.

Wenn Sie heute auf der Straße gehen – wie begegnen Ihnen die Menschen, auch mit Ressentime­nts?

Im Gegenteil. Jeden Tag passieren ein Dutzend Selfies. Aber es ist anders. Früher war es eine Rund-umdie-Uhr-Beschäftig­ung mit diesen Mechanisme­n. Ausstieg aus der Politik ist so, wie wenn du einen Segeltörn machst und glaubst Wind, Sonne und Meer – das ist es. Dann nimmst du Taucherbri­lle und Schnorchel, tauchst in die Tiefe und stellst fest, welch fasziniere­nder Kosmos mit neuen Eindrücken sich da auftut. Insofern bin ich froh, wieder aus diesem politische­n Rad draußen zu sein.

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 ??  ?? Ex-Kanzler Christian Kern denkt in Tel Aviv zurück an Wien: „Der Vorsitzend­e steht vorne, kassiert die Watschen“
Ex-Kanzler Christian Kern denkt in Tel Aviv zurück an Wien: „Der Vorsitzend­e steht vorne, kassiert die Watschen“
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Teamplayer: Ex-Vizekanzle­r Mitterlehn­er und Kern
 ??  ?? In Szene gesetzt: Kern mit Gattin und Landeschef Kaiser
In Szene gesetzt: Kern mit Gattin und Landeschef Kaiser

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