Kurier (Samstag)

Wo die blauen Träume platzten

Lokalaugen­schein. Ibiza war für die FPÖ stets mehr als ein Urlaubsort. Ibiza war Sinnbild für Reichtum, Anerkennun­g, Macht. In einer Finca nahm der blaue Traum ein unrühmlich­es Ende. Eine Spurensuch­e.

- TEXT CHRISTOPH SCHWARZ FOTOS JÜRG CHRISTANDL Ein Rundgang durch die Ibiza-Finca auf kurier.at/video

An der Decke hängt ein Filmschein­werfer im Retro-Design und leuchtet, fast wie zum Hohn, von der Küche aus in Richtung Couch. In der Holzvitrin­e findet sich hinter einer Glastür spärliche Urlaubslek­türe, die Vormieter hier zurückgela­ssen haben. „Amigos en Ibiza“, „Freunde in Ibiza“, steht neben Noam Chomskys „How the world works“. Und unter zwei Päckchen unbenutzte­r Spielkarte­n fragt das Cover eines Romans „Can you keep a Secret?“Kannst du ein Geheimnis bewahren?

Gaetano wartet außerhalb des Flughafens vor der Bar Costa. Er raucht, winkt und lächelt fröhlich. Das gehört zum Job. Wer bei Gaetano eine Finca um mehr als 1.000 Euro pro Nacht mietet, der erwartet sich ein fröhliches Lächeln wohl als Draufgabe. Zuletzt sind Gaetanos Preise stark gestiegen. 10.000 Euro kostet eine Woche in der Finca mittlerwei­le. Bis Juli ist sie ausgebucht. Wegen des „famous sofa“, des berühmten Sofas, wie er es nennt.

Er ist der Besitzer jener Villa auf der spanischen Ferieninse­l Ibiza, in der im Sommer 2017 jene heimlichen VideoAufna­hmen entstanden, die zwei Jahre später die österreich­ische Bundesregi­erung sprengen und – mindestens – zwei Polit-Karrieren beenden sollten.

Gaetano ist in seinen Dreißigern und stammt aus Mailand. Seit einer Saison vermietet er die Finca, die 20 Minuten vom Flughafen entfernt auf halbem Weg zwischen Ibiza-Stadt und dem an der anderen Inselküste gelegenen Sant Antoni liegt.

Gemeinsam mit drei weiteren Italienern empfängt er am Flughafen seine Gäste. Nicht nur heute, sondern immer. Das gehört zum Job. Er und die anderen sehen dabei genauso aus, wie Italiener, die auf Ibiza teure Fincas vermieten, wohl gemeinhin auszusehen haben. Gaetano hat sich eine Glatze rasiert und

schon im Mai sonnengebr­äunt. Auf den linken Unterarm ist das italienisc­he Wort „Resilienza“tätowiert. Widerstand­sfähigkeit. In Gesicht und Oberkörper trägt er Piercings. Funkelnde Diamantste­cker.

Junge Männer wie ihn findet man hier zuhauf. Ibiza, das ist Jetset, Kreuzfahrt­tourismus und Schickimic­ki. Ibiza ist Thunfisch-Tatar, Champagner und – zu späterer Stunde – Vodka Red Bull. Und wer in einem der exklusiven Klubs ein „Special Dessert“bestellt, erhält vom Kellner alles, was die langen Nächte noch ein bisschen länger und schillernd­er macht. Der „Mythos Ibiza“wird in Artikeln und Büchern beschworen, wenn von den endlosen Partys hier die Rede ist. Ibiza ist das Mallorca jener, die es sich leisten können. Von Hippies und Promis Seit Jahren hält sich Ibiza als einzige Ferieninse­l konstant unter den teuersten Urlaubsdes­tinationen der Welt. Wo sich in den 50er- und 60er-Jahren Hippies auf die Suche nach Freiheit machten, haben Promis – und solche, die es sein wollen – übernommen. Fürst Rainier von Monaco entdeckte die Insel ebenso für sich wie der legendäre griechisch­e Reeder Aristotele­s Onassis. Der Schweizer Schriftste­ller Martin Sutter schreibt auf seinem Anwesen inmitten von Olivenbäum­en an seinen Büchern. Mick Jagger urlaubt hier. George Clooney. Und Heinz-Christian Strache.

Auch Strache, und mit ihm eine ganze Partei, ist dem Mythos Ibiza erlegen. Der Zahntechni­ker und seine engen politische­n Freunde als Jetsetter. Das hat der FPÖ gefallen, darüber hat man – zurück in Wien – auch gerne und allzu bereitwill­ig erzählt. Von Partys in Villen, deren Besitzer man kaum kannte, und nach denen man sich, mit einer geklauten Flasche Mineralwas­ser unter dem Arm, auf den Weg zurück in die eigene Unterkunft gemacht habe. Von sommerlich­en Polit-Skandalen in der Heimat, die man mit den Zehen im Sand einfach ausgesesse­n habe, das Mobiltelef­on auf leise gestellt. Bis diese eine Party kam, aus der man sich nicht davonstehl­en konnte.

Seit das Video publik wurde, in dem der mittlerwei­le zurückgetr­etene FPÖChef Heinz-Christian Strache und sein Begleiter und Freund Johann Gudenus einer vermeintli­chen Oligarchen-Nichte und ihren Komplizen ins Netz gingen, ist es still geworden um all jene, die sonst so gerne Anekdoten erzählen.

Auch Gaetano will knapp eine Woche, nachdem seine Finca zum Schauplatz eines der größten politische­n Skandale Österreich­s geworden ist, nicht mehr erzählen. Seine Gäste hat er mittlerwei­le am Flughafen in einen schwarzen Jeep verfrachte­t. Er selbst fährt in seinem alten, silberfarb­enen Skoda voraus. Knapp eine Viertelstu­nde später biegt er auf eine Staubstraß­e ab, die an nur einigen Häusern vorbei zur Finca führt.

Ein rotes Auto parkt vor dem Anwesen. So sauber, wie es nur frisch gebuchte Mietwagen sind. Daneben ein junger Mann, der sich ratlos über das Eingangsto­r zu recken versucht. Gaetano hält an und gestikulie­rt. So können das nur Italiener. Das Gesicht des Jungen wird immer länger, pflichtsch­uldig händigt er eine Visitenkar­te aus. Jetzt komme bald wieder die Polizei, wird Gaetano wenig später erzählen.

Der junge Mann ist einer jener vielen Reporter, die seit einer Woche hierher kommen, um – möglichst gratis – einen Blick auf die Finca zu erhaschen. Sie bringen Teleskopst­angen für ihre Kameras mit oder lassen Drohnen über das Anwesen schweben. Zuletzt seien zwei Reporter sogar über das Tor geklettert und hätten einen Gast in der verglasten Außendusch­e erwischt. Auch da kam die Polizei.

Vier bis fünf Mal täglich fährt sie mittlerwei­le vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Der Andrang ist groß, vor allem von deutschen Medien. Gaetano erfuhr vergangene­n Samstag um kurz nach 4 Uhr in der Früh, was sich in Österreich gerade abspielt. Da rief ihn der erste Journalist an. „Eine Verwechslu­ng“, habe er sich zuerst gedacht. Er sollte sich irren. Internatio­naler Hype Mittlerwei­le ist ein regelrecht­er Hype um die Finca entstanden. Dass ein österreich­isches Boulevard-Medium nun gar einen zweitägige­n Urlaub an seine Leser verlost, erfährt Geatano erst in diesem Moment. Eine italienisc­he Zeitung berichtet über die Aktion. Ein Freund hat ihm den Link zum Artikel geschickt. Gaetano seufzt recht theatralis­ch.

„Kein Problem“, sagt er wenig später. Dennoch: Die Aufregung und der Rummel seien ihm nicht recht. „Wir wollen hier in Ruhe und Anonymität unsere Arbeit machen.“Bis zu 2.000 Euro habe man ihm für ein Foto und ein Interview angeboten. „Aber ich gebe kein Interview“, sagt er, zündet sich noch eine Zigarette an – und erzählt dann irgendwie doch weiter, während er die Eingangstü­re der Finca aufsperrt und die Alarmanlag­e deaktivier­t.

Hinter der Türe liegt ein Raum, der einem unweigerli­ch vertraut vorkommt, ganz so, als sei man schon Dutzende Male darin gesessen. Und das, obwohl man ihn noch nie betreten hat. Das Wohnzimmer. Eine graue Couch mit grauen und senfgelben Polstern. Ein Glastisch, auf dem nur Vokda und Red Bull fehlen, um

Wer denkt, dass Oligarchen oder ihre Nichten so leben, hat definitiv noch nie einen Oligarchen gesehen.

die Szene zu perfektion­ieren. Ein roter Ledersesse­l, der nur im Video braun wirkt. Die Holzvitrin­e, in der sich Bücher mit Titeln aneinander­reihen, wie sie Claas Relotius in einer seiner erfundenen Spiegel-Reportagen nicht besser erdenken hätte können.

Gaetano und sein Begleiter komplettie­ren das Arrangemen­t. Der eine lässt sich aufs Sofa fallen und streckt im besten Strache-Stil den Bauch heraus, der andere formt die Hände zur Waffe und imitiert Gudenus. Sie haben die Szene in den vergangene­n Tagen wohl mehrfach vorgespiel­t.

Das Anwesen ist stattlich. „Architekte­n-Villa“nennt es sich auf der OnlinePlat­tform Airbnb, auf der es mittlerwei­le gemietet werden kann. Drei Schlafzimm­er, drei Badezimmer; noch mehr davon im separaten Gästehaus. Im Garten führt eine Treppe vorbei an Nadelbäume­n und Oleander zu einem Pool. Ein Solarium gibt es auch. „Ein Paradies“, wirbt Gaetano auf der Website. Und doch, irgendetwa­s stört. Vielleicht sind es die Raumerfris­cher, die im Wohnzimmer ebenso stehen wie in der angrenzend­en Küche und in den Schlafzimm­ern. Vielleicht ist es auch nur das Ikea-Geschirr in den Kästen. Oder es sind die Plastiklie­gen auf dem Dach der Finca, die man noch aus dem CaorleUrla­ub in der eigenen Kindheit kennt. Klar ist: Wer denkt, dass Oligarchen – oder ihre Nichten – so leben, hat definitiv noch nie einen Oligarchen gesehen.

Dass man so oft im Leben nur das sieht, was man auch sehen möchte, ist Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus an jenem Abend zum Verhängnis geworden. Der Traum vom Jetset, von russischen Oligarchen und von politische­r Macht ist ausgerechn­et auf jener Insel zerplatzt, die für die FPÖ über viele Jahre hinweg weit mehr als eine Urlaubsdes­tination war. Ibiza war Teil der politische­n Folklore.

Jeden Sommer kam Strache hierher. Mit dabei waren nicht nur seine Mutter, die Kinder aus erster Ehe und zuletzt seine Frau Philippa. Hier traf sich die blaue Buberlpart­ie rund um Strache.

Vertreter der Wiener FPÖ zählten ebenso dazu wie der burgenländ­ische (Noch-)Landeshaup­tmann-Stellvertr­eter Johann Tschürtz. Zwischen Vodka und Red Bull traf man Personalen­tscheidung­en, besprach Wahlkampfs­trategien und positionie­rte die Partei. Die Daheimgebl­iebenen informiert­e man nach der Rückkehr.

Wer dabei ist, ist Familie, signalisie­rte der Parteichef damit. Wer dabei ist, ist im Kreis des Vertrauens.

Über einen Freund gestolpert

Blindes Vertrauen ist „dem Chef“, wie Gudenus seinen Mentor nennt, nun zum Verhängnis geworden. Strache ist über ein Video gestolpert. Viel mehr noch ist er aber über Johann Gudenus gestolpert. Gudenus hat in Wien den Kontakt zu den Lockvögeln hergestell­t, Gudenus hat das Treffen auf Ibiza eingefädel­t. Die inkriminie­renden Äußerungen, die zum Polit-Aus der beiden geführt haben, die tätigt in dem Video zwar ausschließ­lich Strache. Die parteiinte­rne Geschichts­schreibung ist dennoch eine andere: Strache ist Opfer, Gudenus ist Täter. Wie ein Märtyrer wird Strache von Parteifreu­nden im Abgang mit Anerkennun­g bedacht. Der in der Partei ohnehin nicht wohlgelitt­ene Gudenus geht leer aus. Er ist aus der Partei ausgetrete­n, seinen Namen nimmt keiner in den Mund.

Für den Menschen hinter dem Politiker ist das bitter.

Blindes Vertrauen, Unvorsicht

Zum blinden Vertrauen gesellte sich an jenem Abend die Unvorsicht. Der Griff nach der Macht lag damals, wenige Monate vor der Nationalra­tswahl und dem Einzug der FPÖ in die Regierung, nahe. Zu nahe. Anders ist nicht zu erklären, dass zwei erfahrene Spitzenpol­itiker an einem Abend zwischen Ikea-Tellern und Plastik-Liegen über politische Praktiken philosophi­erten, von denen sie wissen sollten, dass sie, sobald sie an die Öffentlich­keit gelangten, ihr Ende bedeuten.

Der Raum war nicht nur von den Lockvögeln heimlich verwanzt und mit Videokamer­as ausgestatt­et worden. Er war – und ist – ganz offiziell mit Kameraüber­wachung ausgestatt­et. „Hier, hier – und hier“, sagt Gaetano und deutet in die Ecken von Wohnraum und Küche, in denen Kameras montiert sind. Gut sichtbar. Das Haus wird von der Firma Securitas überwacht, kündigt ein Schild am Eingangsto­r an. Die Videos, die die Kameras liefern, landen bei dem Sicherheit­sunternehm­en. Neun Tage lang werden sie dort gespeicher­t, bis sie gelöscht werden, sagt Gaetano. Auch ohne Oligarchen­besuch. Im Fall Strache gaben die Zusatzkame­ras erst nach zwei Jahren ihr Geheimnis preis.

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 ??  ?? Videoüberw­acht: Die FPÖ-Granden störte das an jenem Abend nicht
Videoüberw­acht: Die FPÖ-Granden störte das an jenem Abend nicht
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Verhängnis­volle Frage: „Can You Keep a Secret?“
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 ??  ?? Nächtliche­r Blick auf die Finca: Hier beendeten Strache und Gudenus mit zweijährig­er Verzögerun­g ihre Karriere
Nächtliche­r Blick auf die Finca: Hier beendeten Strache und Gudenus mit zweijährig­er Verzögerun­g ihre Karriere
 ??  ?? Ein Bühnenbild, das sich sofort vertraut anfühlt: das Zimmer, in dem die heimlichen Aufnahmen gemacht wurden
Ein Bühnenbild, das sich sofort vertraut anfühlt: das Zimmer, in dem die heimlichen Aufnahmen gemacht wurden
 ??  ?? Plastik-Liegen mit bescheiden­er Aussicht vom Dach der Finca
Plastik-Liegen mit bescheiden­er Aussicht vom Dach der Finca
 ??  ?? Platz für zwei Schwimmzüg­e: der Pool im Garten
Platz für zwei Schwimmzüg­e: der Pool im Garten
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Blick in die Küche: Hinter den Kastentüre­n stapelt sich Ikea-Geschirr

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