Kurier (Samstag)

REPORTAGE

- VON UWE MAUCH (TEXT) UND FRANZ GRUBER (FOTOS)

Ein Schritt Anlauf nur, dann springt er sportlich auf die Bühne. Seine 62 Jahre sieht man ihm dabei kaum an. An der Hüfte kein Gramm zu viel, und im Vortrag eine Art Messias, der genau weiß, was bei den Leuten ankommt und was nicht. In Deutschlan­d füllt Roland Liebscher-Bracht seit Jahren große Hallen, in Wien immerhin den neobarocke­n Festsaal namens Albert Hall. Mehr als 250 Menschen haben hier Platz genommen, um ihn live zu sehen. Kein Sitzplatz frei.

Die meisten kennen seine Videos aus dem Internet – mit seiner scharfen Kritik an unserem Gesundheit­ssystem und seinen leicht verständli­chen Übungsanle­itungen. Die frohe Kunde will er auch an diesem Abend bekräftige­n: „Der Schmerz ist unser Freund.“

Das sehen nicht alle so im Saal. Das Publikum von Roland Liebscher-Bracht lässt sich grob in drei Gruppen einteilen: Jene, die mit dem kranken Rücken Geld verdienen – Interessie­rte aus diversen Gesundheit­sjobs. Jene, die mit ihrem Rücken zu kämpfen haben – die Mehrheit aus der modernen SitzGesell­schaft. Und jene, die so wie der Mann auf der Bühne in Weiß gekleidet sind – das sind die von ihm Ausgebilde­ten.

Hütet euch vor Operatione­n!

Der studierte Maschinenb­auer und passionier­te Kampfsport­ler ist der klassische Quereinste­iger. Er trifft einen Nerv der Zeit: Endlich ist da jemand, der sich Zeit für uns nimmt! Und endlich erklärt uns jemand, welche unbändigen Kräfte wirken, wenn wir Rückenmusk­eln, Bandscheib­en und Faszien (vulgo Bindegeweb­e) einseitig beanspruch­en, während die Muskeln Beuger und Strecker im Oberschenk­el verkümmern!

So viel Zeit für eine Diagnose kann sich kein Kassenarzt nehmen. Auf die Ärzte ist RLB, so nennen ihn seine Fans, auch nicht gut zu sprechen. Seine Botschaft ist unmissvers­tändlich: „Hütet euch vor der Schulmediz­in! Neunzig Prozent der Rückenbesc­hwerden könnt ihr, wenn ihr auf meine Methode vertraut, ohne Schmerzmit­tel und ohne Operation einfach beseitigen! Schuld für eure Beschwerde­n sind nicht die Bandscheib­envorfälle, sondern die zu große Spannung, die auf Muskeln und Faszien lastet.“

Der körperaffi­ne Techniker ist ständig unterwegs auf der Bühne, bringt dabei perfekt alle Muskeln, die er besitzt, in seine gut trainierte Körperspra­che ein. Sein Publikum muss derweil das tun, wovor er es eigentlich warnt: lange sitzen.

Nach 25 Minuten eine erste Auflockeru­ngsübung, an der sich alle freudig beteiligen. Auchnoch, als sie von der Bühne Appelle hören: „Nicht aufhören, wenn es wehtut! Und: „Nur was quält, das zählt.“

Ein im Saal anwesender Physiother­apeut sagt offen: „Die Übung ist jetzt nicht unbedingt neu.“

Skeptisch bewertet er auch das Verspreche­n von Liebscher-Bracht, dass man durch einfaches Drücken von 72 Punkten an den Knochen die Schmerzsig­nale im Gehirn einfach löschen kann. Auch deshalb, weil er auf nähere Informatio­nen über diese Verheißung an diesem Abend erneut vergeblich wartet.

Hilft’s nicht, kostet’s nichts

Andere in der Albert Hall finden es lobenswert, dass der Vortrag ebenso wie die Übungsvide­os gratis sind. Sie wollen Roland LiebscherB­racht auch nicht ehrliche Ambitionen absprechen. Der gibt sich bei seinem Auftritt in Wien entspannt: „Probiert es doch einfach aus. Und wenn es nicht hilft, könnt ihr euch ja noch immer an der Bandscheib­e operieren lassen.“

Sein Geld verdient der Influencer für die Generation der arg Bürogeschä­digten anderswo: mit dem Verkauf seiner beiden Bestseller­Bücher, seiner Trainingsu­tensilien, der von seiner Frau entwickelt­en Nahrungser­gänzungsmi­ttel und vor allem mit dem Verkauf seines Wissens in Form einer viertägige­n Ausbildung zum sogenannte­n Schmerzspe­zialisten, die er für rund 3000 Euro anbietet.

Die Gratis-Vorträge dienen somit auch dazu, das ausgedehnt­e Portfolio an den Mann und an die Frau zu bringen. Liebscher-Bracht lässt sein Wiener Publikum wissen, dass er im Salzburger Unfallchir­urgen Egbert Ritter einen repräsenta­tiven Fürspreche­r gefunden hat. Der Angesproch­ene erzählt dem KURIER, dass er anfangs selbst skeptisch war, jedoch schnell eines Besseren belehrt worden sei. Weil er von der positiven Wirkung der alternativ­en Behandlung überzeugt ist, empfiehlt sie Ritter längst weiter. Inzwischen hat er sogar seinen Arbeitgebe­r, die mächtige AUVA, überzeugt, eine Studie über die Liebscher-Bracht-Methode zu starten.

Der Vortragsab­end in Wien zieht sich in die Länge. Manches wiederholt sich, anderes hat man schon woanders gehört. Liebscher-Bracht kommt erst nach zweieinhal­b Stunden zu einem Ende. Nicht alle können oder wollen so lange bleiben.

Denn der Experte für Schmerzen hat natürlich recht: Sitzen ist nicht per se schlecht, langes Sitzen jedoch sehr belastend.

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