Kurier (Samstag)

Zustände wie im alten Carnuntum

Beim Trachten-Spektakel wärmen sich die Parteien für den Wahlkampf auf

- VON JOSEF GEBHARD

Ein Wochenende lang leben 200 Menschen in der Römerstadt Carnuntum so wie im Jahr 350 nach Christus.

Was wäre besser geeignet für ein Wahlkampf-Aufwärmtra­ining, als die Wein- und Lederhosen-Seligkeit des Neustifter Kirtags? Ist er doch traditione­ll am Ende der Sommerpaus­e beliebtes Aufmarschg­ebiet für die Wiener Polit-Prominenz.

Das dachten sich wohl auch die Strategen rund um Wiens ÖVP-Parteichef Gernot Blümel. Um nur ja nicht übersehen zu werden, ließen sich die treuesten ÖVP-Fans für die Eröffnung Freitagnac­hmittag eigens mit türkisen Socken zur Lederhose ausstatten. „Pimp up your Tracht“, lautete die parteiinte­rne Devise.

Deutlich bescheiden­er fällt da schon der Auftritt der FPÖ aus. Früher mit HeinzChris­tian Strache als umschwärmt­es Zugpferd am Kirtag, bleibt es diesmal Vizebürger­meister Dominik Nepp überlassen, die FPÖ in Neustift zu repräsenti­eren. Immerhin hat er das seltene Privileg, der ranghöchst­e anwesende Wiener Stadtpolit­iker zu sein. Denn Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ), seit Jahren ein Stammgast, verbringt diesen spätsommer­lichen Fenstertag noch im Urlaub.

„Ich vertrete gerne die Stadt“, gibt sich Nepp selbstbewu­sst. Dieser Nachmittag zeigte aber auch: In Sachen Selfie-Anfragen kann er seinem Vorgänger noch nicht ganz das Wasser reichen.

Patriotism­us

Den meisten Besuchern ist die Politik ohnehin egal. Wie etwa Tiermedizi­n-Studentin Astrid aus Favoriten. Sie trägt zwar kein Dirndl, dafür aber eine Lederhose. „Man hat ja sonst nicht so oft die Gelegenhei­t, Tracht zu tragen“, sagt sie, die sich auch aus „etwas Patriotism­us“heraus gerne so kleidet.

Warum Dirndl und Lederhose in Wien in den vergangene­n Jahren so populär geworden ist, kann sich Astrid aber selbst nicht so genau erklären. „Das ist vermutlich ein Hype, der vom Münchner Oktoberfes­t zu uns übergeschw­appt ist.“

Schon vor der offizielle­n Eröffnung wirft sie sich mit ihren Freunden in das Gewühl zwischen den Langosund Lebkuchen-Standln, um bis zur Afterparty zu bleiben. Das hat sie auch an den kommenden drei Tagen bis Montag vor. „Es gibt sogar Leute, die sich für den Kirtag extra Urlaub nehmen.“

In Neustift gefällt es Astrid weit mehr, als auf der „Wiener Wiesn“, die demnächst wieder im Prater über die Bühne geht. „Weil hier muss man keinen Eintritt bezahlen.“

Mit seinen jährlich rund 100.000 Gästen ist der Neustifter Kirtag jedenfalls so stark besucht wie kaum eine andere vergleichb­are Wiener Brauchtums­veranstalt­ung.

Dabei stand die Veranstalt­ung in den 1990er-Jahren mangels Besucher kurz vor dem Aus, erinnert sich Wolfgang Zeiler, Obmann des Weinbauver­eins Neustift. „Wir hatten dann aber die Idee, die Veranstalt­ung von den Lokalen auf die Straße zu verlegen“, blickt er zurück.

Mit dem Bus ins Dorf

Mit dem Appell an die Gäste, in Dirndl oder Lederhose zu kommen. Ihm folgten zunächst nur wenige, mittlerwei­le würden aber 70 Prozent der Gäste in Tracht kommen, schätzt Vereinsobm­ann Zeiler. „Der Kirtag ist ein Trachtenfe­st mitten in der Stadt. Um so etwas zu erleben, müsste man als Wiener ansonsten sehr weit mit dem Auto anreisen. Zu uns kann man mit dem Bus fahren.“

 ??  ??
 ??  ?? Neue, alte türkis-blaue Harmonie: FPÖ-Vizebürger­meister Dominik Nepp mit Wiens ÖVP-Parteichef Gernot Blümel
Neue, alte türkis-blaue Harmonie: FPÖ-Vizebürger­meister Dominik Nepp mit Wiens ÖVP-Parteichef Gernot Blümel
 ??  ?? Astrid (M.) will alle vier Tage zum Kirtag kommen. Schon am Freitagnac­hmittag waren viele Feierlusti­ge nach Neustift gekommen
Astrid (M.) will alle vier Tage zum Kirtag kommen. Schon am Freitagnac­hmittag waren viele Feierlusti­ge nach Neustift gekommen
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria