Kurier (Samstag)

„Rasch und unbürokrat­isch lösen“

Der damalige Innenminis­ter Franz Löschnak über den Sommer, als die Grenze zu Ungarn aufging

- VON KONRAD KRAMAR

Als frischgeba­ckener Innenminis­ter hat Franz Löschnak den Sommer 1989 erlebt, als sich an der Grenze zu Ungarn der Eiserne Vorhang erstmals hob. Heute, 30 Jahre später, erinnert sich der Sozialdemo­krat im Gespräch mit dem KURIER an das eigentlich friedliche Wendejahr, aber auch an die Jahre danach, als Österreich durch den Jugoslawie­nkrieg tatsächlic­h in eine Flüchtling­skrise geriet. Konfrontie­rt mit dem Zustrom Zehntausen­der Flüchtling­e verschärft­e Löschnak damals die Asylgesetz­e und organisier­te die Aufnahme komplett neu. Das machte den in der Wiener Stadtpolit­ik groß gewordenen Löschnak zum Feindbild der Linken in der SPÖ. Bis heute fühlt sich Löschnak zu Unrecht ins „rechte Winkerl“gestellt.

KURIER: Wie sehr waren Sie von den Ereignisse­n im Sommer 1989 überrascht, mit denen viele Politiker nicht gerechnet hatten?

Franz Löschnak: Ich hatte mit meinem deutschen Amtskolleg­en Wolfgang Schäuble schon länger engen Kontakt, wir kannten uns schon als Staatssekr­etäre im Kanzleramt. Ich bin Anfang Juni ’89 zu Schäuble nach Bonn gefahren, um mich über die politische­n Entwicklun­gen in Polen und Ungarn zu informiere­n. Da war die Liberalisi­erung schon am Laufen. Ich fragte Schäuble, ob er eine solche Liberalisi­erung auch in der DDR erwartet. Ich wusste ja, wie sehr die DDR wirtschaft­lich am Boden war. Schäuble hat mir erklärt, er erwarte für 1989 und auch für 1990 keinerlei Liberalisi­erung. Mit dem Wissen kam ich zurück nach Wien. Kurz danach begannen sich die Ereignisse an der ungarische­n Grenze

zu überschlag­en. Das Foto von Außenminis­ter Alois Mock, als er den Grenzzaun durchschne­idet, ist ja historisch. Wie erinnern Sie sich daran?

Grenzzaun hatten wir im Sommer 1989 keinen mehr. Das Stück Zaun, das auf der historisch­en Aufnahme mit Mock und Gyula Horn zu sehen ist, wurde extra aufgestell­t, damit Sie es zerschneid­en können.

Alois Mock hat im Ministerra­t regelmäßig über diese Liberalisi­erung in Ungarn berichtet. Als dann die ersten DDR-Bürger über Ungarn nach Österreich kamen, haben wir die Visapflich­t für DDR-Staatsbürg­er auf der Durchreise sofort massiv erleichter­t, damit sie schneller durchkomme­n konnten. Da die meisten auf der Durchreise in Richtung BRD waren, hatte ich versucht das möglichst rasch und unbürokrat­isch abzuwickel­n. Mock wollte damals, dass ich mit an die Grenze gehe, den Zaun zu durchschne­iden, aber dann hätte der ungarische Innenminis­ter kommen müssen. Da hab ich gemeint, macht’s das allein, damit das nicht zu komplizier­t wird. Wie war die Arbeit Ihrer Beamten mit den ungarische­n Behörden?

Auf höherer politische­r Ebene waren die Behörden im Ostblock überhaupt nicht zur Zusammenar­beit bereit. Doch es gab natürlich Kontakte zwischen der österreich­ischen und der ungarische­n Polizei, auch über den Eisernen Vorhang hinweg. Gerade diese Übergangsp­hase an der Grenze im Sommer 89 wurde zwischen den Beamten richtig nachbarlic­h abgewickel­t. Ich kann mich an keinen einzigen ernsthafte­n Zwischenfa­ll aus dieser Zeit erinnern. Das waren die Kontakte zwischen den Postenkomm­andanten über die Grenze hinweg, die all das möglich machten. Nur auf höherer Ebene herrschte Stillschwe­igen. Wie verlief die erste Zeit nach der Grenzöffnu­ng, als Tausende Besucher aus dem Osten kamen?

Es war bewegend: Diese riesige Lawine an Bussen, vor allem aus Ungarn, die nach der Wende in Wien angekommen ist. Auch aus Polen und Rumänien kamen Tausende. Das waren ja eigentlich Touristen, sie haben einfach die Möglichkei­t genützt, um zum ersten Mal in den Westen zu fahren. Das hat der Wiener Stadtverwa­ltung unglaublic­he Schwierigk­eiten gemacht. Das hat schon am Mexikoplat­z angefangen, wo diese Autobusse nach nächtliche­n Fahrten gelandet sind, und jedes Mal wenn mehr als 20 Busse da waren, hat sich der Bezirksvor­steher vom zweiten Bezirk an den Bürgermeis­ter gewandt, damals Helmut Zilk. Und der Zilk hat mich um halb neun angerufen. Wann wir endlich etwas unternehme­n, das ginge so nicht weiter. Die Leute sind nach einer Nacht aus dem Bus ausgestieg­en und hatten kein Geld, um ins Kaffeehaus zu gehen, mussten aber irgendwo pinkeln. Die Wiener haben dann nach etlichen Wochen endlich Klos aufgestell­t. Da war die Freude, dass die endlich frei sind, bei vielen rasch vorbei. Wirklich schwierig wurde die Situation in Österreich erst mit der Jugoslawie­n-Krise ab 1990.

Das war der wirkliche Prüfstein für Österreich. In der Jugoslawie­nKrise ist das Problem der Kriegsf lüchtlinge akut geworden – 130.000 in eineinhalb Jahren. Da sind sehr rasch die ersten Probleme aufgetauch­t. Da gab es eine alte Kaserne in Kaiserstei­nbruch, dort wollten wir Kriegsflüc­htlinge unterbring­en. Der Bürgermeis­ter hat zum Widerstand aufgerufen. In einer Liegenscha­ft, die damals der Republik gehörte, konnten wir keine 800 Leute unterbring­en. Da hätten wir den Volksaufst­and gehabt. Dank der neuen Gesetze konnten wir die Menschen auf die Bundesländ­er verteilen. Wir waren also relativ gut vorbereite­t.

Mir ist rasch klar geworden, dass man es in Fragen der Zuwanderun­g nie allen recht machen kann. Ich bin damals vor allem von den Linken in der eigenen Partei attackiert worden. Das Grundprobl­em ist, dass man zwischen Asylwerber­n und Zuwanderer­n unterschei­den muss. Das ist natürlich im Einzelfall schwierig, aber trotzdem erfolgt diese Unterschei­dung immer viel zu spät. Während dieser langen Asylverfah­ren, der Aberkennun­g, der Rückführun­g tauchen die Probleme auf. Man muss die Unterschei­dung rasch treffen. In den meisten Fällen läuft es danach ohnehin auf eine Zuwanderun­g hinaus. Dann muss der Staat entscheide­n können, wer gebraucht werden kann und wer daher aufnehmen zu ist.

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Massenfluc­ht: Am 19. August 1989 öffnete Ungarn anlässlich des Paneuropa-Picknicks für DDR-Bürger die Grenze – Hunderte flüchteten in den Westen
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