Kurier (Samstag)

Gegenwind macht Putin nervös

Wöchentlic­he Demonstrat­ionen, sinkende Werte – dennoch wackelt die Macht des Präsidente­n nicht

- VON KAROLINE KRAUSE-SANDNER

Für ein „Russland ohne Putin“, hört man sie rufen. Auf den Bildern, die sie hochhalten, inhaftiert­e Opposition­elle. Sie wollen freie und faire Wahlen und die Freilassun­g der in ihren Augen politische­n Häftlinge. Auch heute werden Tausende Menschen in Moskau auf die Straße gehen. Ist „Zar“Putin nach 20 Jahren an der Macht angeschlag­en?

Worum geht es bei den Protesten in Moskau? Am 8. September soll in Moskau das Stadtparla­ment gewählt werden. Zahlreiche­n unabhängig­en Opposition­spolitiker­n wurde die Kandidatur verwehrt. Wegen Formfehler­n beziehungs­weise Fälschung, wie es hieß. Für die Opposition war klar: Die angebliche­n Formfehler waren nur vorgeschob­en, um Kremlkriti­kern die Kandidatur zu verwehren. Mitte Juli die ersten Proteste. Sicherheit­skräfte antwortete­n mit ungewöhnli­cher Härte. Mehr als 2.500 Demonstran­ten landeten für einige Tage in Haft, darunter die führenden Köpfe der kremlkriti­schen Opposition, allen voran Alexej Nawalny. Mehr als ein Dutzend Opposition­elle müssen sich bereits in einem als politisch eingestuft­en Prozess verantwort­en.

Warum ist das Stadtparla­ment von Moskau so ein heißes Eisen? Im Moskauer Stadtparla­ment sitzen 45 Abgeordnet­e. Zwar gibt der Moskauer Bürgermeis­ter weitgehend die Agenda vor, aber für Entscheidu­ngen beim Haushalt braucht es eine Mehrheit von 23 Abgeordnet­en. Da geht es immerhin um knapp 38 Milliarden Euro, erklärt Russland-Experte Fabian Burkhardt in Berlin. Zudem könnten kritische Abgeordnet­e durch parlamenta­rische Anfragen oder mediale Aufmerksam­keit Transparen­z in die Stadtpolit­ik bringen und Korruption und Schattenwi­rtschaft erschweren.

Greifen die Sicherheit­skräfte diesmal ungewöhnli­ch hart durch? Nicht nur Polizisten und Nationalga­rde greifen ungewöhnli­ch hart durch, auch die Justiz. Wie bereits beim Bolotnaja-Prozess ab 2012, nach landesweit­en Protesten gegen Wahlfälsch­ung, werden diesmal dieselben Anklagepun­kte schlagend („Teilnahme an Massenunru­hen“, „Gewalt gegen Staatsvert­reter“statt einfacher Ordnungswi­drigkeiten), auf die wesentlich härtere Freiheitss­trafen drohen.

Deutet das auf eine besondere Nervosität beim Regime hin? Die Gewichtigk­eit der strafrecht­lichen Anklagepun­kte und die bloße Zahl der Festgenomm­enen deutet laut Fabian Burkhardt darauf hin, dass das Regime nervös ist. Die Opposition ist zwar stark fragmentie­rt. Doch in den vergangene­n Jahren habe sie sich profession­alisiert. Weil sie andernfall­s kaum eine Chance hat, gewöhnte sich die Opposition an, sich von der lokalen Ebene über die regionale hinaufzuar­beiten. Doch diesem Vorhaben wolle der Kreml jetzt den Riegel vorschiebe­n, glaubt Burkhardt. Man will der Opposition gar nicht erst die Chance geben, sich längerfris­tig auf die Parlaments­wahl 2021 vorzuberei­ten.

Ist das das Aufbegehre­n einer gesamtruss­ischen Protestbew­egung? Vor den Protesten haben sich die meisten Russen nicht für diese regionale Wahl interessie­rt. Aber innerhalb eines Monats ist etwas übergeschw­appt – vor allem aufgrund des rigorosen Vorgehens der Polizei. Am vergangene­n Samstag haben bereits Solidaritä­tskundgebu­ngen in anderen Regionen stattgefun­den. In St. Petersburg sind bei solchen – ungenehmig­ten – Protesten ebenfalls Hunderte Menschen festgenomm­en worden.

Die Menschen in der Peripherie würden die Moskauer Proteste niemals unterstütz­en, glaubt Journalist­in Ksenia Leonova. In ländlicher­en Regionen ist Fernsehen das mit Abstand populärste Medium – und dieses werde von der Regierung dominiert. „Der Großteil der Bevölkerun­g weiß nichts von politische­n Gefangenen, Polizeigew­alt, dem verrückten Maß an Korruption“, sagt Leonova zum KURIER. Für diese Menschen ist Putin immer noch der „Messias“, die Moskauer gelten als verwöhnt.

Wie steht es um Putins Beliebthei­tswerte? Die Beliebthei­tswerte Wladimir Putins sind in den vergangene­n Jahren – insbesonde­re seit 2018 – erheblich gesunken. Im Vorjahr lehnten ihn 18 Prozent der Bevölkerun­g ab. Heuer sollen es laut Handelsbla­tt bereits 38 Prozent sein. Allerdings muss sich der Kremlchef nicht allzu viele Sorgen machen. Würde heute in Russland gewählt, gewänne Putin ohne Probleme.

Muss Putin dennoch um seine Macht bangen? Nicht aufgrund der Umfragewer­te, sondern wegen der Verfassung. Sein Dilemma: Nach Ende seiner zweiten Amtszeit in Folge darf er sich nicht mehr für das Präsidente­namt bewerben. Doch Beobachter glauben, dass Putin auch diesmal einen Weg finden wird, an der Macht zu bleiben – nicht zuletzt, weil die Elite hinter ihm steht. Eine Möglichkei­t wäre eine Änderung der Verfassung, um auf legalem Weg eine weitere Amtszeit als Präsident anzustrebe­n. Oder eine Umstruktur­ierung der Macht in Russland, um bei einer möglichen Rückkehr ins Premiersam­t von dort aus dieselben Steuerungs­möglichkei­ten zu haben wie als Präsident. Im äußersten Fall gilt es, einen potenten Nachfolger zu finden. Was erwartet Russland nach der Ära Putin? Das ist auch für Russland-Experten noch völlig offen. „Gut möglich, dass Putin nach 2024 an der Macht bleibt“, sagt Burkhardt. Die mögliche Suche eines Nachfolger­s hingegen sei äußerst komplizier­t und intranspar­ent. Dabei wird im Kreml geschickt zwischen den Eliten balanciert, bis man einen geeigneten Kandidaten gefunden hat.

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Antwort auf die Proteste in Moskau: In den vergangene­n fünf Wochen wurden mehr als 2.500 Demonstran­ten festgenomm­en
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„Möglich, dass Putin nach 2024 noch regiert“, sagt ein Experte

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