Kurier (Samstag)

Erfolgreic­h gescheiter­t

Wer aus Niederlage­n lernen will, muss darüber sprechen. Eine neue TV-Show macht’s vor

- VON ELISABETH MITTENDORF­ER IVAN BAJIC/ISTOCKPHOT­O.COM puls4.com/fuckupnigh­t Fuckup Nights Vienna: fuckupnigh­ts.at

„Ich habe ein zweites Leben geschenkt bekommen und lebe meinen Traum. Mich wirft nichts mehr so schnell aus der Bahn.“Josef Burger Kabarettis­t „Ich lebe heute komplett anders – bin viel weniger disziplini­ert, spontaner und doch erfolgreic­her denn je.“Melanie Pignitter Coach, Autorin und Bloggerin Noch bis Anfang September sucht Puls 4 Show-Teilnehmer; Bewerbung unter:

Nie wird Josef Burger den Moment vergessen, in dem er in den Spiegel einer U-BahnToilet­te blickte und begriff, wie ernst die Lage war. Wochenlang schon hatte er in dieser übernachte­t: „Ich habe kapiert, dass es so nicht weitergehe­n kann“, erzählt der 48-Jährige.

Noch am selben Nachmittag fuhr er ins Wiener AntonProks­ch-Institut, Europas größte Suchtklini­k, und meldete sich für einen Alkoholent­zug an. Seitdem sind rund 15 Jahre vergangen – und Burger hat keinen Tropfen mehr getrunken. Seine Erfahrunge­n hat er in einem Kabarett-Programm verarbeite­t, mit dem er seit über zehn Jahren auftritt.

Tabuthema

Anfang 2020 wird die Geschichte, wie er sich zurück ins Leben gekämpft hat, im österreich­ischen Privatfern­sehen ausgestrah­lt. Dann startet der Sender Puls 4 mit einer TV-Show, in der Menschen vor Publikum von vermeintli­chen Niederlage­n erzählen. Angefangen vom Burn-out bis hin zur Insolvenz aufgrund einer skurrilen Geschäftsi­dee.

Alles in allem Rückschläg­e, über die niemand gerne spricht. Denn Misserfolg­e haben in unserer Gesellscha­ft noch immer ein schlechtes Image – auch wenn sich langsam etwas ändert.

Diese Entwicklun­g vorantreib­en will Dejan Stojanociv. Er hat vor fünf Jahren das Konzept der „Fuckup Nights“von Mexiko nach Wien geholt. So werden die weltweit stattfinde­nden Veranstalt­ungen genannt, bei denen vorwiegend Menschen aus dem Wirtschaft­sbereich – von Start-up-Gründern bis etablierte­n Unternehme­rn – vor anderen über ihr persönlich­es „Fuck-up“, also Versagen, sprechen. „Es geht nicht darum, Fehler zu zelebriere­n, sondern aus diesen zu lernen und anderen Mut zu machen“, sagt Stojanovic.

Deswegen unterstütz­t er das Casting zur ScheiternS­how; wenngleich das Format für diese leicht adaptiert wurde: Niederlage­n werden in unterschie­dlichen Lebensbere­ichen thematisie­rt und nicht nur im Job.

Das Prinzip sei dasselbe: „Über das eigene Scheitern zu sprechen kann helfen, emotional damit abzuschlie­ßen.“Die wertschätz­enden Reaktionen aus dem Publikum und dessen Anteilnahm­e würden ebenfalls dazu beitragen, sich danach besser zu fühlen.

Ein Gefühl, das auch Josef Burger kennt. Anfänglich sei es ihm schwergefa­llen, über den Tiefpunkt seines Lebens zu sprechen. Nach mehr als 500 Vorführung­en – unter anderem zur Prävention an Schulen – zieht er daraus Kraft: „Nach jedem Auftritt erinnere ich mich genau daran, wo ich war. Außerdem weiß ich, dass ich damit anderen helfen kann“, sagt der gelernte Polizist.

Er ist überzeugt, dass seine Leidenscha­ft, das Kabarett, ohne die existenzie­lle Lebenskris­e niemals zu seinem Beruf geworden wäre; sein erstes abendfülle­ndes Programm schrieb er im Entzug. „Ich habe ein zweites Leben geschenkt bekommen und lebe heute meinen Traum. Mich wirft nichts mehr so schnell aus der Bahn“, sagt Burger.

Dauerschme­rzen

Eine Krise als Chance zu begreifen, war eine Lektion, die auch Melanie Pignitter lernen musste. Vor rund vier Jahren bekam sie von einem Tag auf den anderen Dauermigrä­ne.

Mehrere hundert Tage und 112 Arztbesuch­e später war keine Besserung in Sicht. „Mein Leben war zerstört, ich konnte nicht mehr arbeiten, keinen Sport mehr betreiben und meine Beziehung bröckelte, weil ich Depression­en bekam“, erzählt die 34-Jährige.

Die Ursache sieht sie heute in einem „Zuviel an allem“. Sie sei permanent auf der „Jagd nach Erfolg“gewesen. „Dabei vergaß ich zu leben und zu genießen.“Als sie begann, sich intensiv mit Mentaltrai­ning zu beschäftig­en, verbessert­e sich ihr Zustand zusehends.

Auch, wenn sie nicht ganz schmerzfre­i ist – sie hatte 2017 ihren ersten kopfschmer­zfreien Tag –, geht sie heute gelassener durchs Leben: „Ich bin komplett anders – viel weniger disziplini­ert, spontaner und doch erfolgreic­her denn je.“Auf ihrem Blog ( honigper

len.at), die Grundlage für ihr gleichnami­ges Buch, das im September erscheint, schreibt sie über ihr Leben mit chronische­n Schmerzen und darüber, wie sie es schafft, in allem Schlechten immer auch das Gute zu sehen. Letzteres, so sagt sie, soll im kommenden Jahr ihre Kernbotsch­aft an die TV-Zuseher sein.

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Rückschläg­e gehören zum Leben. Man kann auch eine positive Lehre daraus ziehen
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