Kurier (Samstag)

Indianer lernen auf YouTube, wie ihre Ahnen getanzt haben

Der überfällig­e Roman über Indianer, die in Städten leben. Ein Chor, erstmals hörbar.

- PETER PISA

Dort ist kein Dort mehr dort (wie Gertrude Stein erstmals festgestel­lt hat, 1937).

Das heißt: Der Ort, der in der Kindheit oder noch früher Heimat war, hat sich verändert – was ja alle betrifft, aber zu denjenigen, die sich am lautesten beklagen dürfen darüber, gehören die Indianer.

Sind sie nur noch dafür da, sich zu Tode zu saufen?

Orvil Red Feather ist 14. Er würde gern beim kommenden Zusammentr­effen der Völker, dem Powwow in Oakland, Kalifornie­n, zur wummernden großen Trommel in Tracht so tanzen, wie es die Ahnen getan haben.

Er findet niemanden, der’s ihm beibringen kann.

Red Feather muss die Tänze im Internet auf YouTube studieren.

„Dort dort“ist ein überfällig­er Chor von Stimmen, die man sonst nicht hört – zusammenge­stellt von Tommy Orange, einem Cherokee. Er war damit im Finale um den Pulitzer Prize 2019.

Es sind Stimmen von urbanen Indianern. Es ist die erste Generation, die in Städten geboren wurde. 70 Prozent leben in Städten. Vollblut. Halbblut. Viertel. Achtel. Registrier­t. Nicht registrier­t. Das Rauschen des Freeway ist ihnen vertrauter als jenes der Flüsse. Predigt Das Buch beginnt mit einem „Bombenessa­y“, wenn man das in aller Begeisteru­ng so sagen darf.

Eine Predigt aus der Hölle, ein bisschen Geschichte, Kevin Costner rettet die Indianer, und John Wayne erschießt sie ...

Danach wird aus dem Leben von zwölf Native Americans erzählt. Fast immer kommen Alkohol und Arbeitslos­igkeit vor, da hilft ein Studium selten. Und alleinerzi­ehende Mütter sind präsent. Väter nur hie und da – einmal macht jemand im Internet erstmals Bekanntsch­aft mit dem Vater.

„Schick mir Foto! Scheiße, du bist ja wirklich mein Sohn!“

Sie alle kämpfen mit ihrer Identität, genau wie Tommy Orange (Vater Indianer, die Mutter weiß):

Oft fühlen sie sich ... beides ... und nichts.

Sie sind ... zu viel ... und nicht genug.

Mit großer Energie steuert dieser Debütroman auf den Powwow im Stadion zu. Auf parkenden Autos steht: „Wir sind noch da.“

Aber es wird keine Tänze geben. Es wird geschossen. Es wird erschossen.

Einige haben dann hier kein Hier mehr hier.

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Tommy Orange ist 37. Manchmal fühlt er sich – beides, dann nichts
 ??  ?? Tommy Orange: „Dort dort“Übersetzt von Hannes Meyer. Hanser Berlin. 288 Seiten. 22,70 Euro. KURIER-Wertung:
Tommy Orange: „Dort dort“Übersetzt von Hannes Meyer. Hanser Berlin. 288 Seiten. 22,70 Euro. KURIER-Wertung:
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