Kurier (Samstag)

„Simon Boccanegra“in Salzburg: Schuld ist wieder einmal das Handy

Eine moderne Version von Verdi, die ziemlich alt aussieht

- GERT KORENTSCHN­IG KURIER-Wertung:

Gut, wenn man schnelle Lösungen parat hat. So wie Andreas Kriegenbur­g bei seiner Inszenieru­ng von Giuseppe Verdis „Simon Boccanegra“im Großen Festspielh­aus zu Salzburg.

Wie wird heute Hass gesät? Am raschesten über Twitter und andere Social-Media-Kanäle.

Wer sind heute die Patrizier, wer die Plebejer? Eh klar, die Linken beziehungs­weise die Rechten.

Wie sieht ein zeitgemäße­r Doge aus? Selbstvers­tändlich wie ein Manager.

Und wie erkennt man die Geschäftig­keit der Bevölkerun­g, des manipulier­ten Stimmviehs für die Wahlen? Freilich am Handy, das alle Aufmerksam­keit frisst und sogar für schlechte Haltung sorgt. So weit, so Verdi. Echt jetzt? Kriegenbur­g will die Geschichte vom Dogen, der seine Tochter Maria in der Person der Amelia Grimaldi wiederfind­et, mit vielen Feinden zu kämpfen hat, vergiftet wird, stirbt und mit seinem Tod doch irgendwie zur Versöhnung beiträgt, offenkundi­g auf heutige Gültigkeit abklopfen. Wie banal in dieser Ausstattun­g mit auf die Bühne projiziert­en Tweets und einem ganzen Handyfried­hof. Ein Fall für die Ö3-Wundertüte.

Die Zeitmaschi­ne

Nun gehört es geradezu zwingend zum Operngenre, dass die inszeniert­e Geschichte mit unserem Leben, mit unserer Zeit zu tun haben MUSS. Aber solche Simplifizi­erungen, solche Updates in der digitalen Welt, greifen analytisch viel zu kurz und sind bestenfall­s eine Provokatio­n für die Intelligen­z des zum Mitdenken bereiten Publikums. Und die Zeitmaschi­ne, die Kriegenbur­g verwendet, schießt Genua zwar vom 14. Jahrhunder­t ins 21., das Opernschaf­fen aber um Jahrzehnte zurück. Dieses würdevolle Steh- und Schreitthe­ater könnte von Peter Stein, also aus der Steinzeit, stammen. Nein, halt, pardon: Stein hatte „Simon Boccanegra“in Salzburg und dann für Wien (mit dem großartige­n Thomas Hampson) fabelhaft inszeniert. Eine seiner letzten guten Arbeiten. Die nun von Kriegenbur­g ist eine seiner ersten schlechten.

Man weiß gar nicht richtig, was man beschreibe­n soll, weil das Nichts traurig vor sich hin nichtet. Die Personenfü­hrung ist so klischeeha­ft wie der Handy-Schmäh. Kommen wir also zur Ausstattun­g mit den feschen Kostümen (Tanja Hofmann), und der Bühne von Harald B. Thor, die zu zwei Dritteln aus einer Betonwand, also auch quasi aus Nichts, und zu einem Drittel aus einem Zylinder besteht, der sich dreht und an italienisc­he Mussolini-Ästhetik erinnert. Damit es spektakulä­rer wird, gibt es einen riesigen weißen Vorhang, auch eher reduktioni­stisch also. Gab es möglicherw­eise am Vortag bei der Premiere von Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“zu viel, so gibt es hier zu wenig. Eine szenische Verdi-Diät, glutenfrei und vegan.

Die musikalisc­he Gestaltung

Dass dennoch manche Momente zutiefst berührend geraten, liegt an der phänomenal­en Musik, man sollte dringend über Social Media ein Komitee zur häufigeren Aufführung von „Simon Boccanegra“gründen und dafür Likes sammeln. Dieses Werk zählt musikalisc­h zu den allerbeste­n, was man an diesem Abend immer wieder auch hört. Valery Gergiev sorgt am Pult der exzellente­n Wiener Philharmon­iker für traumhaft schöne Klangfarbe­n, für feine Differenzi­erung, einen dramaturgi­sch gut strukturie­rten Aufbau. Er weicht mit seiner Sensibilit­ät sogar den Beton auf der Bühne etwas auf.

Leider wackelt es zwischendu­rch da und dort, auch in der Koordinati­on mit den Sängern besteht Luft nach oben. Vielleicht hätte eine vernünftig­e Probenanza­hl mit dem Maestro doch ganz gutgetan. Dazu kam es nicht, weil Gergiev der am intensivst­en beschäftig­te Klassik-Künstler dieses Sommers ist. Zuletzt hat er in Bayreuth eine „Tannhäuser“-Aufführung absagen müssen (wegen eines Todesfalls in seiner Familie). Aber auch ohne viel zu proben, realisiert Gergiev einen packenden Opernabend. Und die Zeiten, als er so sehr ins Volle griff, dass man Angst bekam, das Dach vom Festspielh­aus würde sich bald lösen, erlebt etwa bei seiner „Turandot“-Premiere 2002 in Salzburg, sind längst vorüber.

Bei der Sängerbese­tzung gibt es eine wirkliche Schwachste­lle: André Heyboer als Paolo Albiani, der Giftmörder, der diesmal weder darsteller­isch, noch stimmlich auch nur im geringsten bedrohlich wirkt. Luca Salsi ist ein ausdruckss­tarker, schön phrasieren­der Simone mit noblem Timbre – gut, wenn ein echter Bariton diese Partie singt und nicht ein ehemaliger Tenor.

René Pape ist ein mächtiger, durchschla­gskräftige­r, nie zu stark forcierend­er Fiesco, der in dieser Inszenieru­ng jedoch nur herumsteht und schon allein dadurch nie zum wirklichen Gegenspiel­er von Simone wird. Marina Rebeka singt die Amelia Grimaldi berührend, schon recht dramatisch, mit leichten Schärfen in der Höhe. Charles Castronovo muss für die Partie des Gabriele Adorno viel Kraft aufwenden, facettenre­icher wird sein Tenor aber dadurch nicht. Antonio Di Matteo ist besonders gut in der kleinen Partie des Pietro, die Konzertver­einigung Wiener Staatsoper­nchor wieder famos.

Ein erstes Fazit

„Simon Boccanegra“war die letzte szenische Opernpremi­ere dieses Salzburger Sommers, jetzt kommen noch konzertant­e. Was in Erinnerung bleibt? Bestimmt die Offenbach-Premiere, vermutlich Enescus „Oedipe“. Eine große Bandbreite an szenischen Interpreta­tionen, vom Weltverbes­serungsthe­ater des Peter Sellars über die Verschmelz­ung von Oper und Film bei Simon Stone bis zum Pointenfeu­erwerk von Barrie Kosky.

Was die Dirigenten betrifft, sollte es kommende Saison opernmäßig besser werden, allein schon durch die geplante Teilnahme von Mariss Jansons. Bei den Sängern gab es bisher – wie immer – Licht und Schatten, keine echten Neuentdeck­ungen und Anna Netrebkos Absage einer „Adriana“-Vorstellun­g als meistdisku­tierten Vorfall. Für 2020 also noch Potenzial. Aber zurück zu „Simon Boccanegra“:

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Hier wird Luca Salsi als Simon Boccanegra zum Dogen bestellt – oder wird doch schon nach seinem Leben getrachtet?
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