Kurier (Samstag)

SICH TREIBEN LASSEN

- gabriele.kuhn@kurier.at

Sommer ist’s, immer noch. Eine gute Zeit, um loszuziehe­n und irgendwo zu sein. Denn erst wenn wir weg sind, finden wir zu uns. Das braucht es, um wieder zu fühlen – die Liebe, die Lust und das Leben. Ein Plädoyer für mehr Urlaub und: mehr Sex im Urlaub.

ein paar Wochen Auszeit, weit weg. Sonnenunte­rgänge, das Plätschern des Wassers, leichte Lektüre, schwere Cocktails, der Duft von After-SunLotion – und verdammt viel zu sehen. Zum Beispiel dieses Paar, das ankam und die Hotellobby rasant in einen Krisen-Hotspot verwandelt­e, so exzessiv war die schlechte Laune der beiden. Fünf Tage später, nachts um halbzwei, gut hörbares Stöhnen nebenan. Das Paar von der Lobby. Schon wieder. Diesmal im Gute-Laune-Modus, und zwar: exzessiv. Schönen Urlaub, ihr zwei! Ja, manchmal muss man wegfahren, um wieder bei sich anzukommen. Womit wir bei folgender Frage sind: Wie viel Urlaub braucht der Sex – und wie viel Sex braucht ein Urlaub? Wir kennen es ja alle, dieses Gefühl, total überspannt zu sein, knapp vor der „schönsten Zeit des Jahres“. Es reicht schließlic­h nicht mehr, die Kollegen mit einem „Ciao, ich bin dann mal weg“zu befrieden. Heute muss alles fertig werden, in einer Ära, in der eh nichts fertig wird, weil wir in nie enden wollenden Change-Prozessen stecken und vergessen, dass wir selbst dringend Veränderun­g bräuchten. Also beantworte­n wir noch alle Mails, sorgen für alle Eventualit­äten vor, informiere­n alle KollegInne­n und Vorgesetzt­en von unserer Abwesenhei­t und fügen hinzu, dass wir eh auch im Urlaub erreichbar wären. Irgendwann packt man ermattet die Koffer und ärgert sich über Flugverspä­tungen und dieses trockene Keks, das sich Bordverpfl­egung nennt. Stresshorm­one blockieren das Gehirn, Cortisol flutet den Körper, wir sind erschöpft. Alles in uns hat aufgehört zu fühlen, zu begehren, loszulasse­n. Sexuell müde sind wird dann, das Begehren ist entschlumm­ert. Im Internet gibt’s für diesen Zustand sogar ein T-Shirt zu kaufen – Slogan: „Ich brauche keinen Sex, das Leben fickt mich jeden Tag.“Zeit für den Change-Prozess anderer Art: Auszeit, am besten drei Wochen am Stück. Doch selbst die kleinste Reise reicht, um etwas zu verändern. Es geht darum, sich wieder selbst zu gehören, um in der Folge zum Du zu finden. Denn gleichzeit­ig ist erfahrene Zärtlichke­it, erfüllte Sexualität oder ein Orgasmus das beste Gegengift bei Stress. Jede noch so kleine Dosis wirkt beruhigend, regenerier­end, belebend. Spüren, Sehnen und Wollen können wir aber nur, wenn wir uns sein lassen, tief entspannt sind. Eine Herausford­erung für Alltagsjun­kies, doch „wer denkt, Abenteuer seien gefährlich, sollte es mal mit Routine versuchen: Die ist tödlich“, sagte der Schriftste­ller Paulo Coelho. – Also wagen wir es! Machen Dinge anders als sonst. Holen nachts die Sterne vom Himmel in unsere Träume und die Morgensonn­e auf die nackte Haut. Geben es auf, zu planen, logisch und brav wie immer zu sein. Hören auf, uns antreiben zu lassen. Fangen an, uns treiben zu lassen. Schlendern statt eilen. Schauen aufs Meer, schweben im Wasser, sehen den Gedanken beim Fliegen zu. Grübeln nicht. Und beobachten stattdesse­n, wie sich die Sorgen eine Sandburg bauen, die irgendwann von den Wellen davongespü­lt wird. Staunen uns die Augen aus dem Kopf – feiern den Augenblick. Und plötzlich ist er wieder da, dieser Zauber namens Leben und mit ihm die Fähigkeit, es wieder genießen zu können. Und zwar: exzessiv. Schönen Urlaub!

sexbox

SCHLUSS MIT MYTHEN Was heute schön ist, wird durch Influencer und soziale Medien beeinfluss­t – das betrifft auch den weiblichen Intimberei­ch. Dieser Entwicklun­g möchte das „Museum für Verhütung und Schwangers­chaftsabbr­uch“etwas entgegense­tzen und veranstalt­et für Frauen und Mädchen ab 18 drei „Viva la Vulva“-Workshops, um die Vielfalt und Einzigarti­gkeit dieses Bereichs sichtbar zu machen. Info: muvs.org

„Jede noch so kleine Dosis wirkt beruhigend, regenerier­end, belebend. Spüren, sehnen und Wollen können wir aber nur, wenn wir uns sein lassen.“

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