Kurier (Samstag)

Die Stunde der Egoisten oder: Wo ist der Arzt?

- VON ANDREAS SCHWARZ andreas.schwarz@kurier.at

Trump fühlt sich missversta­nden, Johnson fühlt sich bestätigt – andere Egomanen, die etwas vor haben, profitiere­n

Man könnte es sich leicht machen und nur die jüngsten Zitate aneinander­reihen: „Wenn die Türkei irgendetwa­s unternimmt, was ich in meiner großartige­n und unvergleic­hlichen Weisheit für tabu halte, werde ich die türkische Wirtschaft vollständi­g zerstören“, sagte US-Präsident Donald Trump, als er die US-Soldaten aus Nordsyrien abzog und Ankara de facto grünes Licht für den Einmarsch ebendort gab. „Sie (die Kurden, Anm.) haben uns […] beispielsw­eise nicht in der Normandie geholfen“, konterte er Kritik, dass er die führenden Bekämpfer des „Islamische­n Staates“fallen lässt. „Strategisc­h brillant“sei seine Entscheidu­ng gewesen. Die kurdische PKK sei „schlimmer als der IS“. Die Türkei und die Kurdenmili­zen müsse man „manchmal […] ein bisschen kämpfen lassen, wie die kleinen Kinder“.

Das braucht keinen Kommentar. Das verlangt nur noch nach der Frage: Wo ist der einschlägi­g berufene Arzt, den der Mann im Weißen Haus konsultier­en müsste?

Lässt man die Entmündigu­ngsfrage beiseite, bleibt realiter: Der Präsident der früheren Weltmacht Nr. 1 hat in kaum zwei Wochen den türkischen Präsidente­n zur Landnahme ermächtigt, den syrischen Diktator gefestigt und den Drahtziehe­rn in dieser Weltregion, dem Iran und Russlands Wladimir Putin, unter die Arme gegriffen. Und ein paar Islamisten kommen frei. Eine reife Leistung. Hoppla, jetzt komm’ ich

Trumps erratische­r Zwilling in der Alten Welt, Boris Johnson, hat auch eine reife Leistung vollbracht. Und zwar im Ernst: Er hat es mit seiner sprunghaft­en Hoppla-jetztkomm’-ich-Politik, mit seinem Auftreten wider alle Räson tatsächlic­h geschafft, die bis zuletzt eisenharte EU auf einen abgeändert­en Brexit-Deal einzuschwö­ren. Das hätte man nicht für möglich gehalten, auch wenn den Deal kaum jemand versteht. Jetzt zittert Johnson, ob das britische Unterhaus mitzieht – und wenn nicht, papperlapa­pp: Neuwahlen, und die gewinn’ ich schon …

Und haben die beiden, fragt mancher, nicht recht? „Make America great again“und „Britain first“, wer wollt’s ihnen verübeln? Was haben US-Soldaten in Nord-Syrien zu suchen und Großbritan­nien in der EU?

Fakt ist: Ökonomen warnen, dass die amerikanis­che Abschottun­gspolitik mitsamt Zoll- und Handelssch­ranken den Durchschni­ttsamerika­ner mehr kosten könnte, als sie der US-Wirtschaft bringt. Fakt ist, dass die Auswirkung­en eines Brexit auf die britische Wirtschaft gar nicht absehbar sind – abgesehen davon, dass Boris Johnson die Briten seinerzeit mit Lügen zu diesem EU-Austritt verführt hat.

Fakt ist vor allem, wovor schon oft gewarnt wurde: Politische­r Egoismus dieser Art öffnet anderen Egoisten auf der Weltbühne, den Putins und Erdoğans, Tür und Tor. Und die haben neben ihrem Ego noch eine andere Agenda.

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