Die Stunde der Egoisten oder: Wo ist der Arzt?
Trump fühlt sich missverstanden, Johnson fühlt sich bestätigt – andere Egomanen, die etwas vor haben, profitieren
Man könnte es sich leicht machen und nur die jüngsten Zitate aneinanderreihen: „Wenn die Türkei irgendetwas unternimmt, was ich in meiner großartigen und unvergleichlichen Weisheit für tabu halte, werde ich die türkische Wirtschaft vollständig zerstören“, sagte US-Präsident Donald Trump, als er die US-Soldaten aus Nordsyrien abzog und Ankara de facto grünes Licht für den Einmarsch ebendort gab. „Sie (die Kurden, Anm.) haben uns […] beispielsweise nicht in der Normandie geholfen“, konterte er Kritik, dass er die führenden Bekämpfer des „Islamischen Staates“fallen lässt. „Strategisch brillant“sei seine Entscheidung gewesen. Die kurdische PKK sei „schlimmer als der IS“. Die Türkei und die Kurdenmilizen müsse man „manchmal […] ein bisschen kämpfen lassen, wie die kleinen Kinder“.
Das braucht keinen Kommentar. Das verlangt nur noch nach der Frage: Wo ist der einschlägig berufene Arzt, den der Mann im Weißen Haus konsultieren müsste?
Lässt man die Entmündigungsfrage beiseite, bleibt realiter: Der Präsident der früheren Weltmacht Nr. 1 hat in kaum zwei Wochen den türkischen Präsidenten zur Landnahme ermächtigt, den syrischen Diktator gefestigt und den Drahtziehern in dieser Weltregion, dem Iran und Russlands Wladimir Putin, unter die Arme gegriffen. Und ein paar Islamisten kommen frei. Eine reife Leistung. Hoppla, jetzt komm’ ich
Trumps erratischer Zwilling in der Alten Welt, Boris Johnson, hat auch eine reife Leistung vollbracht. Und zwar im Ernst: Er hat es mit seiner sprunghaften Hoppla-jetztkomm’-ich-Politik, mit seinem Auftreten wider alle Räson tatsächlich geschafft, die bis zuletzt eisenharte EU auf einen abgeänderten Brexit-Deal einzuschwören. Das hätte man nicht für möglich gehalten, auch wenn den Deal kaum jemand versteht. Jetzt zittert Johnson, ob das britische Unterhaus mitzieht – und wenn nicht, papperlapapp: Neuwahlen, und die gewinn’ ich schon …
Und haben die beiden, fragt mancher, nicht recht? „Make America great again“und „Britain first“, wer wollt’s ihnen verübeln? Was haben US-Soldaten in Nord-Syrien zu suchen und Großbritannien in der EU?
Fakt ist: Ökonomen warnen, dass die amerikanische Abschottungspolitik mitsamt Zoll- und Handelsschranken den Durchschnittsamerikaner mehr kosten könnte, als sie der US-Wirtschaft bringt. Fakt ist, dass die Auswirkungen eines Brexit auf die britische Wirtschaft gar nicht absehbar sind – abgesehen davon, dass Boris Johnson die Briten seinerzeit mit Lügen zu diesem EU-Austritt verführt hat.
Fakt ist vor allem, wovor schon oft gewarnt wurde: Politischer Egoismus dieser Art öffnet anderen Egoisten auf der Weltbühne, den Putins und Erdoğans, Tür und Tor. Und die haben neben ihrem Ego noch eine andere Agenda.