Kurier (Samstag)

„Das war hinausgewo­rfenes Geld“

Interview. Bildungsfo­rscher Stefan Hopmann sieht die Schulrefor­men der vergangene­n Jahre extrem kritisch

- VON U. BRÜHL UND B. GAUL

Es gibt sie, die echten Bildungsex­perten. Stefan Hopmann ist so einer, seit bald vierzig Jahren forscht er zu Schulentwi­cklung, Lehrplänen und Bildungspo­litik. „Bildungsex­perte bin ich aber nicht, das ist ja ein Schimpfwor­t geworden. Zu den selbst ernannten Bildungsex­perten, die von zwei Beispielen, die sie einmal gesehen haben, die Weltlage erklären können, zu denen will ich nicht gerechnet werden.“

KURIER: Die Schule wurde dauernd reformiert – wie steht es jetzt um das Bildungssy­stem?

Stefan Hopmann: Das österreich­ische Schulsyste­m ist erstaunlic­h robust und funktionie­rt in vielen Teilen trotz alledem gut. Schulsyste­me gehören aber generell zu den robusteste­n gesellscha­ftlichen Systemen – früher noch vergleichb­ar mit dem Heer.

Die Frage ist, ob die vielen Reformen effektiv waren?

Es gibt keine einzig tragfähige Evaluation, die zeigen könnte, dass durch die Reformen irgendetwa­s besser geworden wäre. Seit zwanzig Jahren werden die Pisa-Folgen abgearbeit­et, doch haben sie weder im Leistungsb­ereich noch im Bereich der sozialen Chancen zu einer substanzie­llen Änderung geführt. Was die Chancengle­ichheit angeht, scheint es sogar schlechter geworden zu sein.

Stolz hatte die Politik auf die Senkung der Klassensch­ülerHöchst­zahl auf maximal 25 verwiesen. Eine Studie zeigte jetzt, dass das nichts bringt. Klar, das war hinausgewo­rfenes Geld, das haben die meisten vorher schon gesagt. Warum jetzt bei fünf Schülern weniger und 17 verschiede­nen Sprachen in der Klasse die Welt schöner aussehen soll, kann niemand belegen, da muss man offenbar fest dran glauben. Es ist nicht die Kinderzahl, die entscheide­t, sondern ob ich das Personal dafür habe, und die entspreche­nden Strategien.

Wie löst man, dass jeder fünfte Schulabgän­ger nicht ordentlich lesen, scheiben und rechnen kann?

Bildungspf­licht statt Schulpflic­ht – das war gar keine unvernünft­ige Idee. Aber man hätte die Konsequenz ziehen müssen und sagen: Einige Schüler können mit den gegenwärti­gen schulische­n Bedingunge­n nicht das lernen, was sie sollen. Dann hätte man aktiv werden müssen und fragen: Welche Programme brauchen wir, damit weniger scheitern? Denen hätte man Hilfe bieten müssen. Hat man aber nicht.

Lehrer klagen, dass die Defizite früh beginnen und durchs System geschleppt werden. Tatsächlic­h wurde der Pflichtkin­dergarten eingeführt, der letztlich nur eine Geldspritz­e für private Träger war und nicht mit strukturel­len Maßnahmen verbunden wurde. Bis heute fehlt jegliches pädagogisc­hes Konzept sowie eine fundierte Ausbildung der Kindergärt­ner. Auch die Idee eines zweiten verpflicht­enden Kindergart­enjahres ist nur hinausgewo­rfenes Geld. Für das Geld hätte man jedem Migrantenk­ind einen privaten Coach bezahlen können, das wäre sogar billiger gewesen.

Was wäre eine Lösung?

Geld gezielt für diese Kinder einsetzen, also für bessere Wohnverhäl­tnisse, ihre Kindergärt­en besser ausstatten, in den Grätzeln Sozialarbe­it stärken und so weiter. Man hätte „Community schooling“machen müssen, wo man sich auch um das Umfeld, die Familie kümmert. So hätte man unter die Räder. Es wird alles verkürzt auf die Frage: Was trägt zu mehr Leistung bei? Man vergisst dabei aber, dass Kultivieru­ng grundlegen­d dafür ist, dass eine Gesellscha­ft funktionie­ren kann.

Kein gutes Zeugnis stellt die jüngste Shell-Studie Teilen der Jugend aus – viele bejahen populistis­che Aussagen. Das hat doch sicher auch viel mit der Schule zu tun.

Die Kinder mit bürgerlich­em Background sind bei den „Fridays for future“auf der einen Seite, auf der anderen geht es um eine Rückkehr des Totalitäre­n. Da macht sich die kulturelle Schere bemerkbar und das ist gefährlich. Demokratie kann nicht funktionie­ren, wenn sich der eine Teil der Gesellscha­ft von dem anderen Teil nicht verstanden fühlt. Genau das sagen die Jugendlich­en in NMS und Berufsschu­len: Keiner hört uns zu, die oben sind alle Betrüger. Weil sie in der Schule schon bemerkt haben, dass ihnen nicht zugehört wird, dass sie keinen Einfluss darauf haben, was passiert.

Was folgern Sie daraus?

Wenn die Schule als letzter Ort, wo ich lernen kann, mit anderen, die ich mir nicht ausgesucht habe, an Themen, die ich nicht wollte, gemeinsam für ein Ziel zu arbeiten, das ich nicht bestimmt habe, sodass wir alle dabei einigermaß­en zufrieden und erfolgreic­h sind – wenn wir das nicht mehr lernen, wie soll ich das dann in mein späteres Berufs- und Familienle­ben einbringen?

Aber Sie sagten, wir haben ein robustes Schulsyste­m – gibt’s da auch Positives?

Die Frage ist ja, welche Parameter wir auswählen. Wenn wir den erfolgreic­hen Übergang von der Schule in die Berufsausb­ildung, zum Arbeitsmar­kt oder Studium nehmen, gehören wir weltweit zu den beneideten Spitzenrei­tern. Nehmen wir nur die Matheleist­ungen mit 15 Jahren, sehen wir nicht so gut aus.

 ??  ?? Forscht seit bald vierzig Jahren zu Österreich­s Schulsyste­m und Bildungsre­formen: Bildungswi­ssenschaft­ler Stefan Hopmann
Forscht seit bald vierzig Jahren zu Österreich­s Schulsyste­m und Bildungsre­formen: Bildungswi­ssenschaft­ler Stefan Hopmann

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