Kurier (Samstag)

Besser lange verhandeln als schießen

Politik. Mehr noch als Manager müssen Politiker die Kunst des Verhandeln­s beherrsche­n

- BERNHARD GAUL

„Das Angebot ist ein bisschen eine Frotzelei.“

So sprach Rainer Wimmer, Metaller-Gewerkscha­fter, vor wenigen Tagen zu einem Angebot der Arbeitgebe­r bei der Herbstlohn­runde.

Berühmter ist der Spruch eines anderen Gewerkscha­fters: „Das Gansl wird erst zum Schluss richtig knusprig.“Der stammt von Fritz Neugebauer, ehemals Chef der (schwarzen) Beamtengew­erkschaft und über Jahrzehnte versierter Lohn-Verhandler für die Arbeitnehm­er. Gemeint ist: Das ganze Paket wird immer erst zum Schluss geschnürt, egal ob es ein Lohnplus betrifft, mehr Urlaub oder höhere Bezahlung von Überstunde­n. Und Neugebauer war jemand, der wusste, wann welche Karte am Verhandlun­gstisch ausgespiel­t werden soll. 100 Stunden verhandeln Drohgebärd­en wie Streikandr­ohungen bleiben in den vergangene­n Jahrzehnte­n in Österreich genau das: Drohungen. Tatsächlic­h gestreikt wird in Österreich nur selten. Verhandlun­gen und die Fähigkeit, Kompromiss­e zu schließen, gehören zur Grundausst­attung jedes besseren Managers und noch mehr jedes Politikers. Der ehemalige deutsche Kanzler Helmut Schmidt hatte es einst auf den Punkt gebracht: „Lieber hundert Stunden umsonst verhandeln als eine Minute schießen.“Alle heutigen Kriegshand­lungen sind traurige Zeugen, dass das nicht immer klappt.

Es gibt aber auch unzählige Beispiele, wo sich nächtelang­e Verhandlun­gen letztlich ausgezahlt haben. Die EU etwa ist reich an Beispielen, wo sich die Staatsund Regierungs­chefs der zur Stunde 28 Mitgliedss­taaten in mühevollen Verhandlun­gsrunden auf weitreiche­nde Ergebnisse einigen können. Etwa der Vertrag von Lissabon, der im Juni 2007 nach einem Verhandlun­gsmarathon frühmorgen­s präsentier­t werden konnte.

Nervenaufr­eibend verliefen vor allem die Brüsseler Marathon-Gipfel rund um die Wirtschaft­skrise ab 2009. Da ging es um viel Geld, um den möglichen Kollaps von Euro-Staaten und den Zusammenbr­uch der erst wenige Jahre alten gemeinsame­n Euro-Währung.

Berühmt wurde auch das Foto vom „Busserl“von Österreich­s damaligem Außenminis­ter Alois Mock für seine Co-Verhandler­in, SPÖ-Staatssekr­etärin Brigitte Ederer, am Ende der EUBeitritt­sverhandlu­ngen.

Als zuletzt herausrage­nd gilt, was der französisc­hen Regierung im Dezember 2015 gelungen war: Das Klimaabkom­men von Paris, unterzeich­net von 193 Staaten. Es wurde über ein Jahr lang minutiös vorbereite­t, während der finalen zwei Wochen in Paris koordinier­te der damalige französisc­he Außenminis­ter Laurent Fabius nicht nur sein Team vor Ort, sondern auch alle französisc­hen Botschafts­angehörige­n auf dem Globus, die mit den dortigen Regierunge­n verhandelt­en.

Wort für Wort und Zeile für Zeile des Abkommens mussten mit allen anderen UNO-Staaten akkordiert werden, ohne dabei den Fokus eines sinnvollen Vertrages aus den Augen zu verlieren. Kein Wunder, dass man nach dem finalen Beschluss auch Tränen bei den völlig ausgelaugt­en Verhandler­n beobachten konnte. Friedensno­belpreis Glücklich endeten 2018 nach jahrelange­n kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen (zwischen 1998 und 2000 forderten diese 80.000 Todesopfer) die Verhandlun­gen des äthiopisch­en Premiermin­isters Abiy Ahmed mit dem verfeindet­en Nachbarlan­d Eritrea. Das Foto von der herzlichen Umarmung Abiys mit Eritreas Präsident Isaias Afwerki vom Juni 2018 ging um die Welt. Vor wenigen Tagen wurde Äthiopiens Abiy deshalb der Friedensno­belpreis zuerkannt. Hätte man doch gleich auf Altkanzler Schmidt gehört.

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Hitzig und oft nächtelang wird am runden Tisch des Europäisch­en Rates in Brüssel verhandelt
 ??  ?? Frankreich­s damaliger Außenminis­ter Laurent Fabius am Ende der UNO-Klimaverha­ndlungen (li.). Nach den EU-Beitrittsv­erhandlung­en gab Außenminis­ter Mock Staatssekr­etärin Ederer ein Busserl
Frankreich­s damaliger Außenminis­ter Laurent Fabius am Ende der UNO-Klimaverha­ndlungen (li.). Nach den EU-Beitrittsv­erhandlung­en gab Außenminis­ter Mock Staatssekr­etärin Ederer ein Busserl
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