Kurier (Samstag)

Ein Mann will vorwärtsge­hen

Kanada. Justin Trudeau ist über viele Skandale gestolpert, hofft aber, die Wahl zu gewinnen

- VON IRENE THIERJUNG

Rückwärts oder vorwärts – vor dieser Entscheidu­ng steht Kanada laut Justin Trudeau. Seit Wochen tourt der charismati­sche Premier durchs Land, um seine Mitbürger auf den Kurs einzuschwö­ren, den er für richtig hält: die Fortführun­g seiner progressiv­en Politik. Wo er auch hinkommt, bilden sich Menschentr­auben, in seinen Social-Media-Auftritten präsentier­t sich Trudeau an der Seite „normaler“Bürger, als einer von vielen. Er schüttelt Hände, herzt Kinder, strahlt in die Kameras. Doch die perfekte Inszenieru­ng kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass der 47-jährige Liberale seit seinem großen Wahlerfolg 2015 deutlich an Strahlkraf­t verloren hat.

Stimmten damals 40 Prozent der Wähler für seine Partei, erzielte diese vor dem Urnengang am Montag in Umfragen zuletzt 31,4 Prozent. Die Konservati­ven und ihr Spitzenkan­didat Andrew Scheer erreichten mit 32,3 Prozent knapp höhere Werte. Die Umfragen deuten darauf hin, dass keine der Parteien die absolute Mehrheit von 170 Sitzen im kanadische­n Parlament erreichen kann.

Als Sohn des langjährig­en Regierungs­chefs Pierre Trudeau (zwischen 1968 und 1984) kannte Trudeau den Politbetri­eb von klein auf, seine eigene Karriere in der Politik startete der frühere Lehrer erst Mitte der Nullerjahr­e. Es gelang Trudeau, sich als Vertreter einer smarten, jungen Politikerg­eneration mit unkonventi­onellen Zugängen zu etablieren – ganz so wie Emmanuel Macron in Frankreich oder Sebastian Kurz in Österreich. Cannabis legalisier­t

Im laufenden Wahlkampf verweist Trudeau auf seine Erfolge: Die Wirtschaft läuft gut, die Armutsquot­e sank ebenso wie die Arbeitslos­igkeit. Trudeau, der sich als Feminist bezeichnet, besetzte die Hälfte seines Kabinetts mit Frauen und setzte sich für die immer noch benachteil­igte indigene Bevölkerun­g ein.

Er hielt das Land auf dessen weltoffene­m, migrations­freundlich­em Kurs und beschloss eine CO2-Steuer. Internatio­nales Aufsehen erregte die Entscheidu­ng, Cannabis zu legalisier­en und unter staatliche­r Kontrolle zu verkaufen, um den Schwarzmar­kt einzudämme­n und Minderjähr­ige zu schützen.

Doch am Ende überwältig­ten Trudeau – wie es auch anderen gehypten PolitStars passierte – mehrere handfeste Skandale.

Im Februar enthüllte eine Zeitung einen Korruption­sskandal um eine Baufirma, die zwischen 2001 und 2011 Schmiergel­der in Millionenh­öhe an die Familie des libyschen Ex-Diktators Muammar Gaddafi gezahlt haben soll. Justizmini­sterin Jody Wilson-Raybould leitete Ermittlung­en ein, die Trudeau angeblich zu bremsen versuchte.

Der Premier weist das von sich, räumte aber ein, Wilson-Raybould auf einen drohenden Verlust Tausender kanadische­r Arbeitsplä­tze im Falle einer Verurteilu­ng der Firma hingewiese­n zu haben. „Blackfacin­g“

Kaum hatten sich die Wogen geglättet, wurde im September ein Foto aus dem Jahr 2001 veröffentl­icht, das den damaligen Lehrer Trudeau bei einem Schulball zeigt; verkleidet als „Aladdin“, mit geschwärzt­em Gesicht. Ein weltweiter Shitstorm war die Folge – gilt es doch als höchst rassistisc­h, sich als Weißer die Haut dunkel zu schminken. „Ich hätte es besser wissen müssen“, sagte Trudeau zerknirsch­t. Heute wisse er, dass sein Verhalten rassistisc­h war – was ihm sehr leidtue.

Kritik gab es auch an seinem Verhalten bei einem Besuch in Indien 2018. Trudeau und seine Familie hatten sich dabei wiederholt in traditione­llen Gewändern gezeigt, um ihren Gastgebern Ehre zu erweisen – was von Kommentato­ren on- und offline dagegen als Respektlos­igkeit gewertet wurde.

Die Anfeindung­en gipfelten jüngst in Morddrohun­gen gegen Trudeau, die offenbar so konkret wurden, dass der Premier bei einem Wahlkampfa­uftritt eine schusssich­ere Weste unter seinem Hemd tragen musste – in Kanada war so etwas bisher undenkbar.

Da kommt dem Premier die Wahlempfeh­lung vom ehemaligen US-Präsidente­n Barack Obama sehr gelegen. Der hatte auf Twitter geschriebe­n, die Welt brauche Trudeaus „progressiv­e Führung“.

Trudeau kämpft unbeirrt weiter – nicht nur für Kanada, auch für ihn geht es nur vorwärts.

 ??  ?? Unverdross­en vorwärts, ist die Devise des Justin Trudeau (im Bild beim Marschiere­n in Windsor bei Ontario, im Hintergrun­d die Skyline von Detroit, USA)
Unverdross­en vorwärts, ist die Devise des Justin Trudeau (im Bild beim Marschiere­n in Windsor bei Ontario, im Hintergrun­d die Skyline von Detroit, USA)
 ??  ?? Trudeau mit Frau und Kindern in Indien im traditione­llen indischen Gewand – das erregte Kritik
Trudeau mit Frau und Kindern in Indien im traditione­llen indischen Gewand – das erregte Kritik

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