Kurier (Samstag)

„Ich prüfe Fakten, keine Menschen“

Lokalaugen­schein. Der KURIER begleitete AMS-Mitarbeite­r in NÖ auf der Suche nach Arbeitslos­engeld-Sündern

- VON MATTHIAS HOFER UND JÜRGEN ZAHRL

Für die Herbststim­mung hat er keinen Blick. Gerhard S. ist im Weinvierte­l in offizielle­m Auftrag unterwegs.

Er arbeitet für den so genannten Erhebungsd­ienst, den das AMS Niederöste­rreich seit einem Jahr auf die Suche nach Arbeitslos­engeldSünd­ern schickt. Mitunter eine sehr heikle Mission, weswegen der KURIER auch seinen richtigen Namen an dieser Stelle verschweig­t.

Heute führt ihn sein Weg in eine Arztpraxis. Den Arbeitsmar­ktexperten in der Zentrale ist etwas aufgefalle­n: Die Sprechstun­denhilfe in besagter Praxis war zunächst geringfügi­g angemeldet. Nach einem kurzen Intermezzo als normale Angestellt­e ist die Person nun wieder geringfügi­g beschäftig­t. Ein Grund für Gerhard S., das Gespräch mit der Frau Doktor zu suchen. Die AMS-Spezialein­heit soll möglichen Sozialbetr­ug im Keim ersticken.

Im Fall der Ärztin kann S. nach kurzem Gespräch Entwarnung geben. Arbeit gäbe es genug für die Sprechstun­denhilfe, allerdings kann sich die Ärztin kein volles Dienstverh­ältnis leisten. Da zahlt sich aus, dass der Erheber selbst jahrelang als AMS-Berater tätig war. Er weiß um sämtliche Fördermögl­ichkeiten, die helfen könnten. Anruf

Mit einem Anruf bei der regionalen Geschäftss­telle leitet er alles in die Wege: Ein AMSKollege wird prüfen, ob eine Förderung möglich ist, um die Sprechstun­denhilfe mittels AMS-Zuzahlung in ein volles Dienstverh­ältnis zu bringen.

„Ich finde das gut, ein tolles Service“, sagt Ärztin Doris Pfeil nach dem Termin. „Zuerst hab ich mir gedacht: Ups, AMS-Rechtsabte­ilung? Hab ich etwas falsch gemacht?“Als Gerhard S. aufgeklärt hatte, worum es geht, war Pfeil erleichter­t. „Ich wäre selber nie zum AMS gegangen, um eine Förderung anzusuchen. Es ist eh schwierig genug, Beschäftig­te zu finden.“Recherche

Den Begriff Kontrollor hört Gerhard S. übrigens nicht gern. Zu negativ. „Ich überprüfe Fakten, nicht Personen“, ist ihm wichtig zu betonen. Er recherchie­re vor Ort, inwieweit Dienstverh­ältnisse plausibel sind, um so den möglichen Missbrauch von AMS-Geld hintanzuha­lten.

So führt ihn sein nächster Besuch in eine Bezirkssta­dt. S. interessie­rt, warum ausgerechn­et ein gelernter Versicheru­ngsmakler in einer Reinigungs­firma als geringfügi­g Beschäftig­ter arbeitet – und das schon seit 2016. Obwohl die Konstellat­ion Raum für Spekulatio­nen zulässt, geht S. wertfrei an die Sache heran: „Die große Kunst ist, alle Bilder, die man möglicherw­eise von einem Fall im Kopf hat, auszublend­en. Nur dann ist eine ordentlich­e Erhebung der Fakten möglich.“Und nur dann hat S. die Chance, die Erklärunge­n, die er gleich bekommen wird, auf ihre Plausibili­tät hin zu prüfen.

„Es war eine harte Nuss“, wird er später sagen. Mehr als eine Stunde hat er mit dem Dienstgebe­r-Paar gesprochen. Dabei stellte sich heraus: die Reinigung ist nur ein Tätigkeits­zweig der Firma, in der laut den Chefs „mehr als genug Arbeit“anfällt. Warum also arbeitet der gelernte Makler nur geringfügi­g? Eine Frage, die sich dann auch die Dienstgebe­r stellen. Und dann geht es Schlag auf Schlag: S. berichtet von einer speziellen AMS-Förderung für Arbeitnehm­er über 50, die im Fall des gelernten Maklers infrage käme. Arbeitet der nämlich künftig voll angemeldet und im Unterschie­d zur Geringfügi­gkeit, wo nur eine Unfallvers­icherung besteht, auch voll versichert, ist er kein Kunde mehr des AMS. Dafür würde es für den Betrieb einen befristete­n Lohnkosten­zuschuss für den betreffend­en Mitarbeite­r geben. Bedrohlich

Nicht immer enden seine Erhebungen positiv, gelegentli­ch kommt es auch zu durchaus „bedrohlich­en Situatione­n“. Als er etwa einem möglichen Scheinwohn­sitz auf den Grund ging, ist er vom Wohnungsbe­sitzer wüst beschimpft und von dessen Hund beinahe angefallen worden. „Nur eineinhalb Meter davor hat er ihn gestoppt.“In solchen Fällen könne man davon ausgehen, dass der Klient etwas zu verbergen habe. Wird die Situation aussichtsl­os oder gefährlich, ziehen sich S. und seine Kollegen zurück und setzen die Überprüfun­g an einem anderen Tag fort. Aufgeben kommt für sie nicht infrage.

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Prüfer Gerhard S. schreitet zur Tat: Ruhig, trotzdem auf alles gefasst
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Die Ärztin Doris Pfeil bekam Besuch vom AMS-Mitarbeite­r

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