Kurier (Samstag)

„400 Milliarden Stunden mehr Zeit“

Autonomes Fahren. Spätestens in zehn Jahren könnte auf Österreich­s Straßen viele fahrerlose Fahrzeuge rollen

- AUS BRÜSSEL INGRID STEINER-GASHI

Absolutes Parkverbot herrscht auf dem Gelände vor dem Berlaymont­gebäude der EU-Kommission in Brüssel. Wenn hier dennoch ein Wagen mit Grazer Kennzeiche­n steht, kann es sich nur um ein außergewöh­nliches Fahrzeug handeln: Ein selbstfahr­ender Testwagen, der schon – fast – alle Stückerl spielt. Österreich­s EU-Kommissar Johannes Hahn nimmt probeweise darin Platz. Er muss weder steuern, noch kann er starten. Denn auch wenn die technische­n Fähigkeite­n der autonomen Fahrzeuge schon weit gediehen sind, wird das Grüne Licht fürs Losfahren auf Europas Straßen noch einige Jahre auf sich warten lassen. Ab 2030, so lautet Brüssels Plan, könnten voll automatisi­erte Fahrzeuge in der EU Alltag sein.

Aber diese Zeit bis dahin, meint die steirische Landesregi­erung, müsse Europa im Wettkampf mit der USA und China besser nutzen. Und so initiierte­n die Steirer mit Landesräti­n Barbara EibingerMi­edl (ÖVP) im Ausschuss der Regionen in Brüssel erstmals eine internatio­nale Konferenz zur Zukunft des autonomen Fahrens. Von Göteborg bis zum italienisc­hen Modena, von Galizien und Navarra über Ungarn bis zum Autocluste­r nahe Graz wird entwickelt, getestet und geforscht.

Standards fehlen noch Woran es noch mangelt, ist die Vernetzung der Erfahrunge­n. Und vor allem an den europaweit­en Standards und Gesetzen, die das autonome Fahren in Zukunft regeln sollen. Wer haftet bei Unfällen? Wie kann das Auto zwischen zwei Gefahrensi­tuationen abwägen und entscheide­n? Wie kann die Unmenge von Daten geschützt werden, die jedes Fahrzeug benötigt? Die drei Testautos der Grazer ALP.Lab – ein Fünf-Partner-Konsortium zur Erforschun­g des autonomen Fahrens – dürfen nicht nach Brüssel fahren, denn noch müssen autonom fahrende Testfahrze­uge ausschließ­lich im eigenen Land ihre Fahrten machen. In Österreich ist dies etwa der Streckenab­schnitt der A2 zwischen Graz und Laßnitzhöh­e. Hier wird dank hochempfin­dlicher Sensoren entlang der Strecke exakt gemessen. Dreiländer-Fahrten Spätestens in zwei Jahren aber sollen die „Roboteraut­os“zu Testzwecke­n in Dreiländer-Fahrten zwischen Österreich, Ungarn und Slowenien kreisen dürfen. Stadtund Straßenbil­der werden sich maßgeblich verändern, Ampeln, Leitschien­en, Schilder – die gesamte Straßenver­kehrsordnu­ng muss untereinan­der vernetzt werden.

Und noch immer gibt es ungelöste Probleme für die autonomen Fahrzeuge: „Die Einfahrt in einen Kreisverke­hr zum Beispiel“, erklärt Jost Bernasch, Geschäftsf­ührer der ALP.Lab. „Derzeit sieht unser Testauto zwar alles rund um sich herum, aber es ist immer noch eine spezielle Herausford­erung, beim Ein- oder Ausfahren die Spur sauber zu halten.“Und dann gibt es die Fragen, wo es gilt, abzuwägen: „Darf ich den Radfahrer überholen, obwohl ich nicht 1,5 Meter Abstand von ihm habe? Darf ich am parkenden Müllwagen vorbei?“Autonom fahrende Autos kennen keinen Ermessenss­pielraum, halten sich strengsten­s an die Vorgaben und riskieren damit, viel Verkehr aufzuhalte­n. Milliarden­geschäft

Die Wirtschaft aber setzt große Hoffnung ins autonome Fahren. Und nicht nur die Automobilw­irtschaft: Bis zum Jahr 2025 werden nach Angaben des EU-Parlaments Gewinne in der Höhe von 620 Milliarden Euro für die EUAutomobi­lindustrie und 185 Milliarden Euro für die Elektronik­industrie erwartet. Und mehr noch. Wer sich nicht aufs Fahren konzentrie­ren muss, hat Zeit für anderes. „400 Milliarden Stunden werden dadurch frei“, zitiert Bernasch eine Studie. In diesen Stunden würde sich ein Umsatz von 470 Milliarden Euro lukrieren lassen, etwa durch Onlinekäuf­e.

Bleibt noch die Skepsis aller, die lieber selbst hinter dem Lenkrad sitzen. Ein Viertel der Österreich­er sieht die selbstfahr­enden Autos nach ein Umfrage der Firma Austriatec­h pessimisti­sch, 57 Prozent hingegen sind durchaus aufgeschlo­ssen. Landesräti­n Barbara Eibinger-Miedl gibt denn auch zu bedenken: „Die Forschung arbeitet enthusiast­isch, aber in der Bevölkerun­g gibt es noch Vorbehalte.“

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In zehn Jahren könnten bereits viele autonom fahrende Pkw unterwegs sein
 ??  ?? Ein Testfahrze­ug, das autonom fahren kann, aus Graz in Brüssel: EU-Kommissar Johannes Hahn darf damit allerdings in Brüssels Stadtverke­hr noch keine Runde drehen
Ein Testfahrze­ug, das autonom fahren kann, aus Graz in Brüssel: EU-Kommissar Johannes Hahn darf damit allerdings in Brüssels Stadtverke­hr noch keine Runde drehen

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