Kurier (Samstag)

Wer hat Angst vorm bunten Mann?

Grusel-Hype. Von Joker bis Pennywise – wie die Spaßmacher zu Horror-Ikonen wurden und was echte Clowns dazu sagen

- VON JULIA PFLIGL

Wenn Arthur Fleck alias Joker sein Gesicht mit weißer Schminke bemalt, seine Haare giftgrün färbt und seine Mundwinkel mit roter Farbe nach oben verlängert, dann fällt es einem schwer, im Kinosaal cool zu bleiben. Mit seiner Darstellun­g des psychisch erkrankten Außenseite­rs, der nach einer Reihe Zurückweis­ungen zum Mörder im Clownkostü­m mutiert, sorgt Joaquin Phoenix derzeit für Angst und Schrecken, bei der Premiere verließen einige (erwachsene) Besucher panisch die Vorführung.

Durch den Hype um das Psychodram­a „Joker“rückt das Image des Clowns, der eigentlich Spaß und gute Laune verbreiten soll, weiter ins Grusel-Eck – auch abseits der Leinwand. Gestern stoppten Polizisten am Wiener Hauptbahnh­of einen verwirrten Mann mit „Horrorclow­n“Maske, eine Vorstellun­g, die vielen einen kalten Schauer über den Rücken jagt. Unberechen­bar

Wird die Angst vor Clowns krankhaft, bezeichnen sie Psychologe­n als Coulrophob­ie: Die Angststöru­ng, die durch Filme wie „Joker“getriggert oder verstärkt werden kann, betrifft vor allem Kinder, aber auch Erwachsene. Johannes Lanzinger, Psychologe am Phobiezent­rum Wien, das auf Angststöru­ngen spezialisi­ert ist, erklärt, warum sich die ulkigen Gesellen als Gruselfigu­ren eignen: „Clowns sind sehr ambivalent in ihrem Verhalten – sie sind meist Erwachsene, die sich wie Kinder verhalten und unberechen­bar sind.“

Auch das Aussehen spielt eine Rolle, sagt der Psychologe. „Clowns sind stark geschminkt und haben ein Dauerläche­ln. Das bedeutet, wir können ihre Mimik nicht lesen und wissen nicht, was in ihnen vorgeht. Die starre Mimik erinnert uns zudem an den Tod.“

Für den Alltag hat die Clown-Angst faktisch keine Bedeutung,

„das ist eher ein popkulture­lles Phänomen“, sagt Lanzinger, der in der Praxis bis dato noch keinen Coulrophob­iker behandelt hat. Den Grusel-Stein ins Rollen brachte Stephen King: Mitte der Achtziger erschien sein Horror-Roman „Es“über den blutrünsti­gen Clown Pennywise, der gerade wieder einmal neu verfilmt wurde. King verarbeite­te darin seine eigene panische Angst vor Clowns und positionie­rte die Spaßmacher als neue Schreckges­penster der Popkultur. Später lehrten Jack Nicholson und Heath Ledger in der Rolle des Batman-Antagonist­en einem Millionenp­ublikum das Fürchten. Als ein Kolumnist des Guardian jüngst Ultrarecht­spolitiker wie Trump als „KillerClow­ns“charakteri­sierte, war klar: Die Lage ist ernst. „Die guten Clowns überwiegen“, betont Udo Berenbrink­er, der die älteste Clownschul­e im deutschspr­achigen Raum leitet und selbst lange in Gute-Laune-Mission unterwegs war. Jährlich verlassen 25 frisch gebackene Clowns die Akademie, um fortan mit ihrer Tollpatsch­igkeit Partys aufzulocke­rn, kranke Kinder zu unterhalte­n oder Demenzpati­enten ein Lächeln zu entlocken. Spiegel der Gesellscha­ft Kann er den Grusel-Hype nachvollzi­ehen? „Bis vor zehn Jahren schon. Da gab es noch diese grässliche weiße Schminke, die jetzt durch Joker wieder aufgelebt ist. Dann wurde erforscht, dass Kinder das nicht wollen, weil sie das Gesicht nicht sehen. Heute gibt es das nicht mehr. Auch keine Perücken.“

Die „modernen Clowns“stecken sich bunte Dinge ins Haar, tragen übergroße Kleidung und alte Schuhe. Viele verzichten sogar auf die rote Nase. Und sie haben eine Mission. „Clowns halten der Gesellscha­ft einen Spiegel vor. Sie machen Fehler und freuen sich darüber. Das sind wir nicht mehr gewohnt.“

Trotz furchteinf­lößender Darstellun­g in den Medien beobachtet Berenbrink­er auch ein Comeback der „guten“Clowns. „Immer, wenn die Gesellscha­ft besonders starr und normativ wird, tauchen die Clowns auf. Ihre Hochsaison hatten sie im Mittelalte­r als Gegenbeweg­ung zum Fürstentum. In der Nazizeit waren sie verboten.“Heute, sagt Berenbrink­er, brauchen wir gute Clowns mehr denn je.

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Grusel-Clown-Klassiker: Bill Skarsgard als Pennywise in „Es“, Jack Nicholson als Ur-Joker. Auch Heath Ledger gab den Batman-Bösewicht (v. li.)

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