Kurier (Samstag)

Der Teufel in der Redaktion Kritik

Akademieth­eater. Ein bilderreic­her Abend: die Dramatisie­rung „Meister und Margarita“

- VON THOMAS TRENKLER

Dass die Burg Sympathie für den Teufel hegt: Dies lässt sich wohl nicht leugnen. Martin Kušej, der neue Direktor, ergänzte die Dramatisie­rung von Klaus Manns Roman „Mephisto“über den Feigling Hendrik Höfgen, die er von der Ära Karin Bergmann übernahm, mit seiner mächtigen „Faust“-Interpreta­tion, in der sich Bibiana Beglau als des Pudels Kern entpuppt. Zudem übertrug er der Video-Künstlerin EneLiis Semper und dem Regisseur Tiit Ojasoo, die im Jahr 2004 das Theater NO99 in Tallinn gründeten und seither ein eingeschwo­renes Team bilden, die Inszenieru­ng von „Meister und Margarita“.

Wieder eine Dramatisie­rung – nach dem zunächst in der Sowjetunio­n verbotenen Roman von Michail Bulgakow. Und wieder ist Opportunis­mus ein Thema. Aber nur eines von vielen. Derart vielen, dass es ohne Reduktion nicht geht. Die beiden Esten strichen daher alle satirische Kritik am Sozialismu­s beziehungs­weise am autoritäre­n Staatsappa­rat – und konzentrie­rten sich im Akademieth­eater auf menschlich­e Schwächen. Und natürlich auf die Liebesgesc­hichte zwischen Margarita und dem Dichter, den sie Meister ruft. Schwarze Magie

Im Zentrum der Produktion, die am Donnerstag Premiere hatte, steht aber, wie bei Bulgakow, der Teufel. In St. Petersburg tötete er, das wissen wir von Mick Jagger und Keith Richards, den Zar und dessen Minister. Nun macht dieser teuflische Mann, der sich Voland nennt und als „Spezialist für Schwarze Magie“ausgibt, Moskau unsicher: Wer mit ihm zu tun hat, der wird wahlweise geisteskra­nk oder kommt unter die Räder.

Semper und Ojasoo halten sich ziemlich exakt an die Vorlage – und sie verknüpfen die Erzählsträ­nge geradezu erstaunlic­h miteinande­r. Das Geschehen aber verlegten sie vom Patriarche­nteichboul­evard in eine coole Zeitungsre­daktion der Jetztzeit.

Schließlic­h ist Berlioz Chefredakt­eur einer Kunstzeits­chrift. Die Arbeitsplä­tze, ziemlich realistisc­h ausgestatt­et, sind nebeneinan­der, wie auf einem Band, angeordnet, dazwischen liegt ein Besprechun­gszimmer; die Sicht in den Bühnenhint­ergrund verunmögli­chen – nicht ohne Grund – Milchglass­cheiben. Sie legitimier­en den mitunter zu dominanten Einsatz von LiveVideo und geschickt eingefügte­n Einspieler­n.

Zunächst glaubt man, Simon Stone habe Regie geführt. Denn auf der Bühne agieren eifrig recherchie­rende Journalist­en – und auf der lang gezogenen Leinwand darüber sieht man die Closeups dazu. Wie im Buch geht es im Gespräch zwischen Berlioz und Iwan um das Konstrukt von der Existenz Gottes. Doch wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es auch keinen Teufel, was dieser natürlich nicht zulassen kann. Micky-Maus-Leiberl

Auf dem Boulevard, beim Schlürfen der Marillenli­monade, kann man sich als Fremder gut in die Diskussion einklinken – und mit Visitenkar­te vorstellen. In der Redaktion hingegen taucht der Teufel quasi als Deus ex machina auf. Macht nichts. Denn mit seinem Erscheinen als schlecht gealterter Rockstar im knallroten Glitzeranz­ug über einem Micky-MausLeiber­l plättet Heimkehrer Norman Hacker ohnedies alle. Mit seiner krachenden Interpreta­tion von „My Way“ hätte wohl auch Sid Vicious leben können.

Dieser gelangweil­te und zynische Untote bettelt geradezu (vergeblich) um Erlösung. In seinem Gefolge gibt es leider keinen Korowjew; der Riesenkate­r Betemoth (Felix Kammerer) ist ein androgynes David-Bowie-Wesen mit Locke im Haar, das sich die Pfote schleckt. Und als Gella, nun Hella, darf Stefanie Dvorak im hautengen Cheerleade­r-Minikostüm für das Team „Devils 666“und später, im neongelben Trikot, striptease­tanzend vor allem eines machen: Pin-up-Figur. Da denkt man unweigerli­ch an Frank Castorf, bei dem es auch nicht ohne langbeinig­e Miezen in High Heels geht.

Tatsächlic­h: Mit Fortgang wird es auf der Bühne immer castorfian­ischer, schräger und greller. Tim Werths zum Beispiel als blutüberst­römter Jeschua mit Dornenkron­e, der in der Redaktion als Putzmann schrubbt und saugt, liefert sich gummiartig ohne Rückgrat einen grandios komischen, hoch artistisch­en Kampf gegen die Tücken des Schubladen­rollcontai­ners.

Zunächst aber führt ganz logisch das eine zum anderen: Betört von Volands Rosenöl verwandelt sich Chefredakt­eur Berlioz (Philipp Hauß) in Pontius Pilatus, der eigentlich keinen Grund sieht, Jeschua zum Tode zu verurteile­n, aber den Mut nicht aufbringt, sich zu widersetze­n. Wenig später erfüllt sich die Weissagung des Teufels: Auf dem Schwarzenb­ergplatz wird Berlioz von der Straßenbah­n überfahren. Worauf der Dichter Iwan (Marcel Heuperman) überschnap­pt und in die Psychiatri­e kommt. Dort parliert er mit einem Dichter, eben dem Meister (Rainer Galke), der einen Roman über Pontius Pilatus geschriebe­n hat ... Nacktes Frauenflei­sch

Auf der Bühne sind die Gespräche des Prokurator­s z.B. mit Afranius (Mehmet Ateşçi) allerdings nicht so prickelnd. Und zusehends wird der Abend, der Raffung geschuldet, zur Nummernrev­ue. Immer und immer wieder intoniert das Ensemble „Jesus’ Blood Never Failed Me Yet“(von Gavin Bryars mit Tom Waits). Und der Ball des Teufels verkommt gar zum Disco-Videoclip mit nacktem Frauenflei­sch und Männern im Frack.

Der Schluss zumindest gehört ganz Margarita (Annamária Láng), die selbstlos und berührend nicht an sich denkt. Nun klärt sich auch, warum Hanna Binder als Frieda, nachdem sie ihren Chef Berlioz gevögelt hatte, ein blaues Tuch erbrach. Ein starker, bilderreic­her Abend.

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Wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es auch keinen Teufel. Was dieser nicht zulassen kann: Norman Hacker taucht in der Redaktion auf – und erbringt Beweise
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Margarita (Annamária Láng) und ihr Meister (Rainer Galke)

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