Der Teufel in der Redaktion Kritik
Akademietheater. Ein bilderreicher Abend: die Dramatisierung „Meister und Margarita“
Dass die Burg Sympathie für den Teufel hegt: Dies lässt sich wohl nicht leugnen. Martin Kušej, der neue Direktor, ergänzte die Dramatisierung von Klaus Manns Roman „Mephisto“über den Feigling Hendrik Höfgen, die er von der Ära Karin Bergmann übernahm, mit seiner mächtigen „Faust“-Interpretation, in der sich Bibiana Beglau als des Pudels Kern entpuppt. Zudem übertrug er der Video-Künstlerin EneLiis Semper und dem Regisseur Tiit Ojasoo, die im Jahr 2004 das Theater NO99 in Tallinn gründeten und seither ein eingeschworenes Team bilden, die Inszenierung von „Meister und Margarita“.
Wieder eine Dramatisierung – nach dem zunächst in der Sowjetunion verbotenen Roman von Michail Bulgakow. Und wieder ist Opportunismus ein Thema. Aber nur eines von vielen. Derart vielen, dass es ohne Reduktion nicht geht. Die beiden Esten strichen daher alle satirische Kritik am Sozialismus beziehungsweise am autoritären Staatsapparat – und konzentrierten sich im Akademietheater auf menschliche Schwächen. Und natürlich auf die Liebesgeschichte zwischen Margarita und dem Dichter, den sie Meister ruft. Schwarze Magie
Im Zentrum der Produktion, die am Donnerstag Premiere hatte, steht aber, wie bei Bulgakow, der Teufel. In St. Petersburg tötete er, das wissen wir von Mick Jagger und Keith Richards, den Zar und dessen Minister. Nun macht dieser teuflische Mann, der sich Voland nennt und als „Spezialist für Schwarze Magie“ausgibt, Moskau unsicher: Wer mit ihm zu tun hat, der wird wahlweise geisteskrank oder kommt unter die Räder.
Semper und Ojasoo halten sich ziemlich exakt an die Vorlage – und sie verknüpfen die Erzählstränge geradezu erstaunlich miteinander. Das Geschehen aber verlegten sie vom Patriarchenteichboulevard in eine coole Zeitungsredaktion der Jetztzeit.
Schließlich ist Berlioz Chefredakteur einer Kunstzeitschrift. Die Arbeitsplätze, ziemlich realistisch ausgestattet, sind nebeneinander, wie auf einem Band, angeordnet, dazwischen liegt ein Besprechungszimmer; die Sicht in den Bühnenhintergrund verunmöglichen – nicht ohne Grund – Milchglasscheiben. Sie legitimieren den mitunter zu dominanten Einsatz von LiveVideo und geschickt eingefügten Einspielern.
Zunächst glaubt man, Simon Stone habe Regie geführt. Denn auf der Bühne agieren eifrig recherchierende Journalisten – und auf der lang gezogenen Leinwand darüber sieht man die Closeups dazu. Wie im Buch geht es im Gespräch zwischen Berlioz und Iwan um das Konstrukt von der Existenz Gottes. Doch wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es auch keinen Teufel, was dieser natürlich nicht zulassen kann. Micky-Maus-Leiberl
Auf dem Boulevard, beim Schlürfen der Marillenlimonade, kann man sich als Fremder gut in die Diskussion einklinken – und mit Visitenkarte vorstellen. In der Redaktion hingegen taucht der Teufel quasi als Deus ex machina auf. Macht nichts. Denn mit seinem Erscheinen als schlecht gealterter Rockstar im knallroten Glitzeranzug über einem Micky-MausLeiberl plättet Heimkehrer Norman Hacker ohnedies alle. Mit seiner krachenden Interpretation von „My Way“ hätte wohl auch Sid Vicious leben können.
Dieser gelangweilte und zynische Untote bettelt geradezu (vergeblich) um Erlösung. In seinem Gefolge gibt es leider keinen Korowjew; der Riesenkater Betemoth (Felix Kammerer) ist ein androgynes David-Bowie-Wesen mit Locke im Haar, das sich die Pfote schleckt. Und als Gella, nun Hella, darf Stefanie Dvorak im hautengen Cheerleader-Minikostüm für das Team „Devils 666“und später, im neongelben Trikot, stripteasetanzend vor allem eines machen: Pin-up-Figur. Da denkt man unweigerlich an Frank Castorf, bei dem es auch nicht ohne langbeinige Miezen in High Heels geht.
Tatsächlich: Mit Fortgang wird es auf der Bühne immer castorfianischer, schräger und greller. Tim Werths zum Beispiel als blutüberströmter Jeschua mit Dornenkrone, der in der Redaktion als Putzmann schrubbt und saugt, liefert sich gummiartig ohne Rückgrat einen grandios komischen, hoch artistischen Kampf gegen die Tücken des Schubladenrollcontainers.
Zunächst aber führt ganz logisch das eine zum anderen: Betört von Volands Rosenöl verwandelt sich Chefredakteur Berlioz (Philipp Hauß) in Pontius Pilatus, der eigentlich keinen Grund sieht, Jeschua zum Tode zu verurteilen, aber den Mut nicht aufbringt, sich zu widersetzen. Wenig später erfüllt sich die Weissagung des Teufels: Auf dem Schwarzenbergplatz wird Berlioz von der Straßenbahn überfahren. Worauf der Dichter Iwan (Marcel Heuperman) überschnappt und in die Psychiatrie kommt. Dort parliert er mit einem Dichter, eben dem Meister (Rainer Galke), der einen Roman über Pontius Pilatus geschrieben hat ... Nacktes Frauenfleisch
Auf der Bühne sind die Gespräche des Prokurators z.B. mit Afranius (Mehmet Ateşçi) allerdings nicht so prickelnd. Und zusehends wird der Abend, der Raffung geschuldet, zur Nummernrevue. Immer und immer wieder intoniert das Ensemble „Jesus’ Blood Never Failed Me Yet“(von Gavin Bryars mit Tom Waits). Und der Ball des Teufels verkommt gar zum Disco-Videoclip mit nacktem Frauenfleisch und Männern im Frack.
Der Schluss zumindest gehört ganz Margarita (Annamária Láng), die selbstlos und berührend nicht an sich denkt. Nun klärt sich auch, warum Hanna Binder als Frieda, nachdem sie ihren Chef Berlioz gevögelt hatte, ein blaues Tuch erbrach. Ein starker, bilderreicher Abend.