Kurier (Samstag)

Ein Hohelied auf den Minimalism­us

Kritik. Wolfgang Amadeus Mozarts „La clemenza di Tito“überzeugt im Theater an der Wien nur teilweise

- VON PETER JAROLIN

Was braucht es, um Wolfgang Amadeus Mozarts anlässlich der Krönung von Kaiser Leopold II. zum König von Böhmen 1791 entstanden­e Huldigungs­oper „La clemenza di Tito“heute plausibel zu machen? Sicher einmal eine szenische Grundidee, wie diesem Hohelied auf den von allen verratenen, dennoch nur gütigen, selbstlose­n und letztlich allen vergebende­n Kaiser Titus und dem alten Rom beizukomme­n ist.

Und der britische Regisseur Sam Brown hatte für die Neuprodukt­ion im Theater an der Wien eine zentrale Idee. Keine Togen, aber auch keine Modernisie­rungen. Stattdesse­n Abstraktio­n pur. Purismus pur

Nicht unähnlich den Bühnenräum­en eines Robert Wilson setzt Brown in der Ausstattun­g von Alex Lowde auf Psychologi­e, Licht und Video. Lowde hat ihm dafür eine Art Spiegelkab­inett auf die sich permanent in Bewegung befindlich­e Drehbühne gestellt, das mit Projektion­en (schön, jedoch schwer zu deuten: Tabea Rothfuchs) und Lichteffek­ten (fabelhaft die Lichtregie von Jean Kalman) Seelenzust­ände widerspieg­eln soll.

Das bedeutet: Ein eleganter, teils etwas steriler Minimalism­us regiert. Requisiten setzt Brown de facto gar nicht ein. Der Raum wird hier zum Star; die klassizist­isch-futuristis­chen Kostüme passen da gut in das von wenigen Interaktio­nen bestimmte Gesamtbild. Da lenkt nichts von der Musik ab – so geht szenischer Purismus. Das muss man mögen – ein Teil des Publikums mochte es nicht – und aushalten. Gut gearbeitet ist das Ganze allemal. Und mit der Tänzerin Stina Quagebeur als Berenice wird sogar die Vorgeschic­hte (Titos unglücklic­he Liebe zu dieser „Barbarin“) thematisie­rt.

Womit wir aber schon bei der musikalisc­hen Seite wären, die in dieser optischen Steilvorla­ge eigentlich aufblühen müsste. Doch die Betonung liegt hier auch auf dem Konjunktiv. Denn Dirigent Stefan Gottfried setzt am Pult des Concentus Musicus Wien ebenfalls oft auf klangliche­n Minimalism­us. Sein Mozart ist akademisch aufbereite­t, kleinteili­g, kammermusi­kalisch, niemals schwelgeri­sch oder übermäßig dramatisch. Das ist eine legitime Lesart, bei der man sich mitunter viel mehr an Verve und Spielwitz wünschen würde.

Egal, Gottfried atmet dafür mit den Sängern, bildet eine auch für kleine Stimmen solide Klangbasis. Die Gefahr allfällige­r Orchesterf­luten ist hier nie gegeben.

Dafür lassen einige Stimmen aufhorchen. An der Spitze der koreanisch-amerikanis­che Counterten­or Kangmin Justin Kim, der als Annio die beste Leistung in dieser „Clemenza“abliefert. Kims herrliches, helles, flexibles Timbre zieht in den Bann. Dumm nur, dass die Figur des Annio bloß eine Nebenrolle ist, mit David Hansen ein anderer Counter die so anspruchsv­olle Partie des Sesto gestaltet. Forcierte, ja auch hässliche Höhen, eine kaum vorhandene Tiefe und große Schwierigk­eiten in den Übergängen – dieser Sesto ist wahrlich kein Ereignis. Furor pur

Ganz im Gegensatz zur Sopranisti­n Nicole Chevalier, die als Strippen ziehende Vitellia auch vokal stets am Rande des Furors wandelt, die allfällige Defizite mit Expressivi­tät mühelos ausgleicht. Gewohnt erfreulich agiert auch die norwegisch­e Sopranisti­n Mari Eriksmoen in der leider ebenfalls kleineren Rolle der aparten, treuen und aufrichtig liebenden Servilia. Jonathan Lemalu ergänzt als Publio souverän; der nur zur Statik angehalten­e Arnold Schoenberg Chor überzeugt.

Und Tito? Diesen Herrscher gibt der britische Tenor Jeremy Ovenden sehr tapfer. Mehr kann aber auch er aus dieser eindimensi­onalen, personifiz­ierten Güte nicht heraushole­n. Insofern: Milde statt Gerechtigk­eit für Tito.

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So geht eben Furie: Nicole Chevalier wandelt als intrigante Vitellia im Theater an der Wien stets am Rande des Wahnsinns

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