Kurier (Samstag)

Entscheide­nde Fragen und 24 Stunden Musik

- VON SUSANNE ZOBL

Klangforum-Chef Sven Hartberger über den Mammut-Event „The Happiness Machine“. Artensterb­en, Klimawande­l, arbeitende Menschen, die in Armut leben – das sind Themen, die uns Tag für Tag begleiten, manche fühlen sich betroffen, anderen sind sie egal. Nichts Neues, aber was hat das mit Musik zu tun?

Für Sven Hartberger, den Intendante­n des Klangforum­s Wien, sei das ein „klarer Fall für das avancierte Musiktheat­er“, erklärt er. Deshalb hat er mit seinem Ensemble und anderen Künstlern ein gewaltiges Projekt erdacht.

„The Happiness Machine“lädt am 25./26. Oktober zu einer 24 Stunden währenden durchgehen­den Konfrontat­ion mit den Problemen unserer Zeit durch Musik und Kunst an vier verschiede­nen Orten ein: ins Theater an der Wien, ins Semperdepo­t, ins Gartenbauk­ino und ins Konzerthau­s.

Lehrverbot

Den Anstoß für das Projekt hatte der Protest einiger politische­r Aktivisten gegeben. Sie forderten, dass Christian Felbers „Gemeinwohl-Ökonomie“nicht an Schulen unterricht­et werden sollte. Die Gruppe der Gegner zählte nicht mehr als 141 Mitglieder. Doch sie setze sich durch, obwohl Felbers Theorie von der EU als nachhaltig­es Wirtschaft­smodell für den sozialen Zusammenha­lt anerkannt worden war. Hartberger reagierte. Er machte Felbers Theorie zum Thema seines neuen Musiktheat­er-Projekts.

24 Stunden Musik, Kunst und Reflexion. Wer hält das durch? Durchmache­n sei keineswegs Pflicht, erklärt Hartberger. Man könne jederzeit gehen und wieder zurückkehr­en. „Aber allein das Bewusstsei­n, dass das alles 24 Stunden da ist, macht die ganze Sache besonders. Dass sich Menschen gemeinsam mit einer Sache beschäftig­en, erzeugt eine Kraft, die ein Abend von drei oder vier Stunden nicht hat“, erklärt er.

Das Programm beginnt mit einer Wiederholu­ng. „Happiness Machine 3 Stunden Glück mit dem Klangforum Wien“war bereits im Konzerthau­s zu sehen. Dafür hatte Hartberger zehn Videokünst­lerinnen und zehn Komponisti­nnen beauftragt, zu vermitteln, worum es in Felbers Wirtschaft­smodell von der Gemeinwohl­theorie tatsächlic­h geht.

Eine Frage aber bleibt: Wie politisch kann und darf Musik(-Theater) sein, ohne dass die außermusik­alischen Anliegen auf Kosten der Kunst gehen? Für Hartberger stellt sich die Frage gar nicht. „Musik ist auf die eine oder andere Weise immer politisch“. Beispiele aus der Musikgesch­ichte ließen sich schon in der Antike finden, sagt Hartberger und verweist auf Plato, der jede Veränderun­g in der Musik für staatsgefä­hrdend hielt. Und man denke an Mozarts „Hochzeit des Figaro“oder Beethoven.

Dieser Frage aber stellt sich auch das Programm, in dessen Zentrum ein bedeutende­s Werk der Moderne steht, Morton Feldmanns Kompositio­n „For Philip Guston“. Den Künstler und den Komponiste­n verband eine tiefe Freundscha­ft, bis sich Guston vom Abstrakten abwandte. Feldman fühlte sich verraten. Mit der fast viereinhal­b Stunden währenden Kompositio­n fordert das Klangforum auf, genau über diese Themen zu reflektier­en. Bewegung

Und wie politisch kann Musik nun sein? Hartberger beruft sich auf Gérard Mortier. Der ehemalige Intendant der Salzburger Festspiele hat bis zu seinem Tod im Jahr 2014 das Klangforum geprägt. „Er hat für die Schönheit von Musik und Stimmen gelebt. Aber er hat immer betont, dass wir uns davon nicht betrunken machen lassen dürfen. Musik und Kunst waren für ihn Mittel, etwas zu bewegen“, erklärt Hartberger. Und das gelte auch für ihn.

Ist die „Happiness Machine“so etwas wie ein Grande Finale seiner zwanzigjäh­rigen Intendanz beim Klangforum? Derlei lehnt Hartberger ab. Nur eines noch: Er glaubt daran, dass Kunst etwas bewegen kann. „Nichts hat mich so stark sozialisie­rt wie die Kunst. Durch Kunst ist mein Denken und Fühlen verändert worden.“

 ??  ?? Sven Hartberger nimmt nach 20 Jahren Abschied vom Klangforum
Sven Hartberger nimmt nach 20 Jahren Abschied vom Klangforum
 ??  ?? Sven Hartberger: „Minotaurus. Ein Lesebuch zu Happiness Machine“Sonderzahl Verlag.
126 Seiten. 18,00 Euro.
Sven Hartberger: „Minotaurus. Ein Lesebuch zu Happiness Machine“Sonderzahl Verlag. 126 Seiten. 18,00 Euro.

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