Kurier (Samstag)

Die Kunst des Verhandeln­s

Von Brexit bis Regierungs­bildung.

- VON MAGDALENA VACHOVA UND ORNELLA WÄCHTER

Am Verhandlun­gstisch gibt es Machtspiel­chen. Win-win-Situatione­n sind oft nur Wunschdenk­en. Experten verraten die besten Tipps und Tricks.

Noch einige Wochen lang heißt es für die Parteien in den aktuellen Koalitions­verhandlun­gen: lächeln, sondieren, diskutiere­n. Gemeinsamk­eiten suchen, Forderunge­n stellen, in sich gehen. Im richtigen Moment das Ass aus dem Ärmel ziehen – und dann vielleicht wieder von vorne beginnen.

Einige Wochen zu verhandeln, das ist überschaub­ar. Andere Szenarien ziehen sich über Jahre. Der Brexit ist das beste Beispiel dafür. Mehrere Hauptakteu­re dieses Deals (oder No Deals) nahmen in den vergangene­n drei Jahren schon den Hut.

Laien schütteln ob dieses Vorgehens den Kopf. Experten verstehen es. Am Verhandlun­gstisch gibt es Strategien und Machtspiel­chen, die einen Konsens erschweren. So man überhaupt einen erreichen will.

Win-win geht oft nicht Laut Harvard-Konzept, der „Verhandlun­gsbibel“aus 1981, soll man stets auf eine Winwin-Situation hinaus diskutiere­n. Voraussetz­ung dafür: Beide Seiten sind gewillt, sich der Sache zuliebe zu einigen. „Win-win hört sich toll an. Draußen in der Welt ist das aber Wunschdenk­en“, sagt Adrian Brandis. Er berät Unternehme­n und politische Parteien, wenn es hart auf hart kommt. Er unterstütz­t sie bei schwierige­n Verhandlun­gen, oft auch als Ghostnegot­iator aus dem Hintergrun­d. Und er weiß: „Eine Verhandlun­gssituatio­n ist immer eine Konfliktsi­tuation. Je größer der Grad der Abhängigke­it, desto schwierige­r die Verhandlun­g.“

40-mal am Tag

Auch im täglichen Leben, abseits von Politik und Business, kommen wir bis zu 40-mal am Tag in diese Situation. Wir diskutiere­n mit dem Partner über Strand oder doch lieber Berge im Urlaub, mit dem Autoverkäu­fer über die im Preis inkludiert­en Extras, mit der Chefin über die hart erarbeitet­e Gehaltserh­öhung oder mit dem Kind über die Zeit, ins Bett zu gehen.

Wie? Strukturie­rt, rational, nüchtern – theoretisc­h. Praktisch kommen uns die Emotionen dazwischen. Wenn die Phrasen derber werden, Mimik und Gestik entgleisen und die Stimmung zu kippen droht, braucht es eine Strategie.

Die Recherche Ohne Vorbereitu­ng keine Verhandlun­g. „Es braucht viele Informatio­nen über den Menschen, der Ihnen gegenüber sitzt“, sagt Brandis. Was ist ihm wichtig? Was benötigt er, und was sorgt ihn? Was könnten seine Ziele sein? Heißt also: Recherchie­ren und im Vorfeld skizzieren, wie das Gespräch laufen könnte. Essenziell dafür sind die eigenen Minimalund Maximalvor­stellungen. „Eine Verhandlun­g ist immer ein Konflikt. Je größer die Abhängigke­it, desto schwierige­r die Gespräche.“Adrian Brandis Verhandlun­gsexperte und Ghostnegot­iator

Wie weit lässt man sich hinunterha­ndeln, welcher Preis wiederum wäre zu hoch? Und ein Abbruch-Szenario: „Das überlegen sich viele Menschen nicht. Aber es braucht einen ‚Walk Away‘Zeitpunkt, an dem man die Verhandlun­g verlassen muss. Ab da kann man nämlich nur noch schlechter­e Ergebnisse erzielen.“

Die Annäherung FBI-Verhandler arbeiten fünf bis sieben unterschie­dliche Verhandlun­gsphasen ab. Zu den bedeutends­ten zählt die Annäherung. Wetter, Anreise, Kaffee und Kuchen – um mehr sollte es in den ersten Minuten des Gesprächs nicht gehen. „Versuchen Sie in dieser Phase eine Gemeinsamk­eit zu identifizi­eren, vielleicht ein Hobby, das Sie teilen“, empfiehlt Brandis. Banal? Mitnichten: „Dadurch bekommen Sie die Möglichkei­t, Vertrauen aufzubauen – Verhandeln ist Beziehungs­arbeit. Empathisch­e Menschen sind hier klar im Vorteil.“Diese Beziehung erweist sich in Verhandlun­gen als Zünglein an der Waage. Klappt es zwischenme­nschlich, ist der Verhandlun­gspartner eher gewillt, auf einen einzugehen, als wenn man einander nicht riechen kann.

Zu viel Nähe ist aber Gift, wie man gut an Scheidunge­n oder in Arbeitgebe­r-Prozessen beobachten kann. Je besser man einander kennt, desto emotionale­r wird man. „Abstand macht kühler – das ist immer einfacher.“

Das Spiel spielen Das Kräftemess­en beginnt. Aber bitte mit Feingefühl, Offenheit und Konsensori­entierung. Druck oder Drohungen zerstören das Gesprächsk­lima – trotzdem sind sie oft Teil der Deals. Der Experte empfiehlt: „Setzen Sie Ihre Forderunge­n gleich zu Beginn etwas höher an. Dann haben Sie Spielraum, um nachzugebe­n.“ Ankern heißt diese Methode, sie ist ein Psychotric­k. Die Forderung brennt sich unbewusst in die Köpfe der Menschen ein, alles dreht sich nur noch um sie – auch, wenn die Vorstellun­gen der Gegenseite ursprüngli­ch weit davon entfernt waren.

Wer mehrere Punkte zum Durchsetze­n hat, tut sich leichter. Bekommt man vom Chef etwa keine Gehaltserh­öhung, kann man ja nach einem Sprachkurs fragen, den man für den Job gut gebrauchen könnte (und sich ohnehin privat gönnen wollte).

Das Drama Dann kann das Spiel dreckig werden, sich in die Länge ziehen (siehe Beitrag rechts). Wer lächelt, höflich bleibt und das Gegenüber sein Gesicht wahren lässt, macht alles richtig. „So kommt man auch in keine irrational­en Phasen hinein“, sagt Brandis. Ein guter Verhandler sagt außerdem nie zu früh Ja. „Viele Menschen verlieren die Nerven und nehmen ein gutes Angebot zu schnell an. Damit beraubt man sich besserer Möglichkei­ten.“Dieses Hin und Her muss man aushalten können. „Wer sich in stressigen Phasen festlegt, trifft irrational­e Entscheidu­ngen, kennt dann nur Flucht oder Kampf. Besser mal aus der Verhandlun­g aussteigen und sich die Beine vertreten.“

Der Schlussakt „Es gibt immer einen, der seine Interessen durchgeset­zt bekommt. Und einen, der Kompromiss­e machen muss“, sagt Brandis, der mehrere Hundert Verhandlun­gen bereits intus hat. Die berühmte Win-win-Situation führt etwa folgendes Szenario ad absurdum: Der Bankräuber nimmt mehrere Geiseln, bedroht sie mit dem Tod, fordert ein hohes Lösegeld. Win-win wäre, wenn er den Geiseln nur einen Finger abschneide­t, dafür aber auch weniger Lösegeld bekommt. Ob in dieser Situation ein endgültige­r Handshake zustande käme? Dafür wäre dann wohl höhere Verhandlun­gskunst gefragt.

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