Kurier (Samstag)

„Nicht der Mensch ist asozial“

Verhaltens­ökonomie. Warum das Rauchverbo­t wichtig ist und in 5 Jahren Wissen verloren geht

- VON JOHANNA HAGER

In Deutschlan­d heißt sie „wirksam regieren“, in Großbritan­nien „Behavioura­l Insight“, in Österreich „Insight Austria“– Zentren für Verhaltens­ökonomie, die dazu dienen sollen, das öffentlich­e Leben effiziente­r zu machen. Wie das geht und warum Raucher eine asoziale Identität haben, sagt Verhaltens­ökonom Gerhard Fehr.

KURIER: Hat Österreich die Voraussetz­ungen, um wirksamer, erfolgreic­her, effiziente­r zu werden?

Gerhard Fehr: Österreich ist das beste Beispiel dafür, wie erfolgreic­h ein Land sein kann, wenn die Rahmenbedi­ngungen stimmen. Denken Sie an den Skisport: Österreich ist überall dort, wo wir es richtig machen, Weltspitze. Wir sind Weltspitze im Skisport, bei KMUs. Es fehlt uns nicht an der Brain-Power, aber an noch besseren Rahmenbedi­ngungen.

Worum geht es noch?

Es geht bei „Nudging“(engl.nudge/Schubs, Anreiz) einfach darum, die Aufmerksam­keit der Menschen auf Lösungen zu legen, die gesamtgese­llschaftli­ch einen Vorteil bringen. Wenn ich es sehr charmant formuliere, dann geht es darum, die Welt einfacher zu machen, unkomplizi­erter und schneller. Das beginnt im Gesundheit­sbereich schon damit, dass Ärzte alle Therapiemö­glichkeite­n so darlegen, dass Patienten informiert sind, die freie Auswahl haben und dann für sich die bessere Entscheidu­ng treffen können.

Um darauf aufmerksam zu machen, brauchen wir Werbekampa­gnen?

Nudging heißt nicht Kampagnen-Management. Nudging heißt: Ich möchte so nahe wie möglich an den Entscheidu­ngsmoment der Menschen kommen, um ihnen dort die richtigen Informatio­nen zu geben, damit sie in der Lage sind, die für sie beste Entscheidu­ng zu treffen. Was wir zudem immer bedenken müssen: Soziale Normen verändern sich verhältnis­mäßig sehr langsam.

Verändern Menschen wie Kapitänin Carola Rackete oder Greta Thunberg soziale Normen?

Junge Menschen sagen sich beim Klima: Wenn wir uns nicht darum kümmern, dann schaden wir auch anderen. Der Großteil der Österreich­er ist allerdings, das wissen wir aus Studien, noch nicht davon überzeugt, dass der Klimawande­l von Menschen gemacht ist. Die Ansteckung von Jung auf Alt und umgekehrt, den wir aus Bereichen wie der Digitalisi­erung kennen, findet nicht statt. Thunberg führt also nicht zu einer kollektive­n Verhaltens­änderung, aber schafft ein Bewusstsei­n dafür, dass es ein öffentlich­es Gut gibt, das beschützt werden muss. Und es gibt der Politik die Legitimitä­t mit den Bürgern, Eingriffe zu gestalten. Und dann kommt Nudging ins Spiel.

Inwiefern kommt jetzt das Nudging ins Spiel?

Für die Industrie ist die Regulierun­g die schlechtes­te Form des Eingriffs, weil es die Freiheit, nach Lösungen zu suchen, massiv einschränk­t. Wir haben gerade eine Studie über Plastik gemacht. Es gibt einen großen Nutzen von Plastik. Es gibt ein Bewusstsei­n in der Bevölkerun­g, wie schädlich Plastik ist und, es gibt eine Bereitscha­ft in der Gesellscha­ft, das Verhalten zu ändern. Jetzt hat die Industrie jeden Anreiz zu sagen: Ich möchte das Kundenverh­alten ändern, weil ich mir als Unternehme­n meinen eigenen Spielraum bewahren möchte. Ich möchte mich also lieber selbst regulieren, als vom Staat regulieren zu lassen, denn staatliche Regulierun­g kommt immer dann ins Spiel, wenn die Selbstregu­lierung scheitert. Mit dem Kunden kann die Industrie mittels Nudging diese staatliche Regulierun­g umgehen. Alle erfolgreic­hen und digitalen Unternehme­n der Welt sind 100 Prozent Nudge.

Sie meinen Google, Facebook und Co?

Amazon, Uber, … die Frage ist nicht mehr: Verwende ich Nudging oder nicht, sondern wie verwende ich es. Das beginnt beim Meeting-Design einer Firma. Die Frage, die sich bei den Konzernen stellt, ist: Verwenden Uber und Google Nudges für die Kunden oder nur für sich?

Welcher Konzern arbeitet mehr für Kunden?

In der Schweiz die Migros. Die Migros-Genossensc­haft verkauft etwa keinen Tabak, keinen Alkohol. Der Konzern hat quasi in seiner DNA, dass er nichts verkauft, was dem Kunden schadet. Sie haben sogar festgeschr­ieben, dass sie für die Schweizeri­nnen und Schweizer arbeiten. Umgekehrt ist es überall dort, wo wir es mit einem hohen Suchtpoten­zial zu tun haben.

Gehört dem gemäß die Tabakindus­trie dazu?

Die Tabakindus­trie braucht weder Marketing noch Nudging. Die Gewinne dieser Unternehme­n steigen, weil sie das Marketingb­udget reduzieren. Sie leben von der Sucht der Menschen. Je niedriger das Einstiegsl­evel desto besser für das Unternehme­n. Deshalb ist auch das Rauchverbo­t an öffentlich­en Gebäuden so wichtig. Die Tabakindus­trie hat null Interesse an einer Selbstregu­lierung. Es hat sich gezeigt, dass 75 Prozent der Menschen den anderen 25 Prozent nicht auf halbwegs empathisch­e Weise ausrichten können, dass sie nicht wollen, dass geraucht wird. Nicht der Mensch ist asozial, aber der Raucher in seiner Raucheride­ntität ist es.

Was meinen Sie mit asozialer Raucheride­ntität?

Wenn Sie einem Raucher sagen, er möge keine Zigarette rauchen, dann ist er nicht sehr Feedback-affin. Deshalb ist der staatliche Eingriff hier so wichtig. Das jetzige Rauchverbo­t wird in den kommenden Jahren das Einstiegsa­lter und die Zahl der Raucher massiv reduzieren. In der Schweiz kam das Rauchverbo­t 2010, das brachte allen Gastrobetr­ieben im Schnitt mehr Kunden und mehr Konsum. In Diskotheke­n war das Gegenteil der Fall.

Welcher Bereich wird sich Ihrer Einschätzu­ng nach noch grundlegen­d ändern?

Es gilt noch das Prinzip – „all you see is all there is“– „alles, was wir sehen, existiert“. Was wir nicht sehen und abschätzen können, das ist die Entwicklun­g auf dem Arbeitsmar­kt. Ich meine nicht die Digitalisi­erung. Wir haben es in 5, 6 Jahren mit massiven Pensionier­ungswellen zu tun. Damit geht ungeheures Wissen verloren und durch die demografis­che Entwicklun­g, werden viele dieser Stellen auch nicht nachbesetz­t werden können. Konzerne, die Politik und wir als Gesellscha­ft werden uns überlegen müssen, wie wir ältere Arbeitnehm­er in den Jobs halten, um den Wohlstand aufrecht zu erhalten. Und auch dafür brauchen wir wieder die richtige Entscheidu­ngsarchite­ktur. Also Nudges.

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