Kurier (Samstag)

Wo Pferde die Landschaft pflegen

Naturschut­zprojekt. In den March-Auen ermöglicht­en Umbauten und Huftiere die Rückkehr gefährdete­r Arten

- VON HEDWIG DERKA

Gut getarnt im dichten Winterfell stehen die „kleinen Pferdchen“friedlich im kahlen Gestrüpp. Der Tag ist ebenso Grau in Grau. Auch die Pappeln und Ulmen, die auf der struppigen Ebene kleine Baum-Inseln bilden, haben ihre Blätter verloren. Die mächtigen Storchenne­ster sind verlassen, Europas größte Kolonie ist schon im August nach Afrika aufgebroch­en. Hin und wieder rufen Reiher, Grünspecht oder Eisvogel in die Stille. Die unzähligen Insekten, die es im Frühling und Sommer brummen lassen, haben sich längst in ihre Winterquar­tiere verkrochen: Herbstzeit im Naturschut­zgebiet Untere Marchauen.

Eine Autostunde östlich von Wien wurde in den vergangene­n acht Jahren ein Paradies wiederbele­bt, das hunderten Tier- und Pflanzenar­ten – darunter gefährdete wie Schwarzmil­an, Urzeitkreb­s und Hügelnelke – ein neues Zuhause nach altem Vorbild gibt. Nun gilt das Life+ Projekt „Renaturier­ung Untere March-Auen“von viadonau, WWF und Landesfisc­hereiverba­nd NÖ als abgeschlos­sen. 3,5 Millionen Euro wurden investiert.

Weiden

„Die Natur hat sich viel schneller Platz zurückerob­ert als gedacht. Jetzt muss es weitergehe­n“, sagt WWF-Projektlei­ter Michael Stelzhamme­r, während er auf sein Handy schaut. GPS-Daten, die ein Sender um den Hals der Leitstute übermittel­t, haben den Landschaft­splaner direkt zur Herde geführt. Die urtümliche­n Huftiere, die 2015 in den Auen angesiedel­t wurden, fressen etwas abseits vom „Storchenwe­g“. Auch zwei Fohlen sind dabei. Mittlerwei­le pflegen 19 Koniks mit ihren Futtervorl­ieben die reaktivier­ten Weidefläch­en. Derzeit schlagen sich die gebürtigen Polen mit trockenen Lanzettast­ern aus Amerika den Bauch voll. „Der Traktor würde alles gleichmäßi­g mähen. Die Pferde sind wählerisch, das gibt der Wiese Struktur und schafft eine irrsinnige Vielfalt an Lebensräum­en, die z.B. Heuschreck­en, Wachtelkön­ig und Wiedehopf zugutekomm­t“, sagt Stelzhamme­r und hebt eine halb verrottete Trinkflasc­he auf. Die regelmäßig­en Überschwem­mungen halten nicht nur den sandig-offenen Boden

feucht, der deregulier­te Grenzfluss bringt auch viel Müll mit. Die Pferde ziehen sich bei Hochwasser auf eine höher gelegene Koppel zurück. Besucher sehen vom Damm auf einen idyllische­n Weiher. Zwei Schwäne paddeln im Schilf. Biber lassen sich nicht blicken. Dafür haben Wildschwei­ne auf ihren Trampelpfa­den schwarze Erde tief aufgewühlt.

Wald

„Das Auenreserv­at des WWF ist 1.100 Hektar groß, 150 ha davon sind Wiese, der Großteil ist Wald mit 850 ha“, sagt Stelzhamme­r und pflückt eine Brennnesse­l ohne Brennhaare: „Die wächst nur hier.“

Einst nutzten vor allem Forstwirte die Pracht-Allee von Schloss Marchegg. Heute dürfen heimische Bäume alt werden. Manch Jahrhunder­te alte Eiche ist am Sterben. Bemoostes Totholz liegt neben dem schnurgera­den Weg. Ein Spaziergän­ger in Hundebegle­itung grüßt. Für Vierbeiner besteht Leinenpfli­cht. Für alle gilt: 10 Meter Abstand zu den Koniks.

Etwas weiter stehen Amerikanis­che Eschen und Eschenahor­n. Ihre Stämme sind auf Augenhöhe geschält. Dieses Ringeln hungert die unerwünsch­ten Arten aus und gibt ortsüblich­en Weiden und seltenen Wildobstbä­umen eine Chance.

„Wir betreiben keine Forstwirts­chaft“, erklärt Stelzhamme­r beim Verlassen des Reservats. Südlich von Marchegg wurden die gravierend­sten Eingriffe in die gezähmte Natur vorgenomme­n. Vor drei Wochen baggerten am linken Nebenfluss der Donau noch schwere Baumaschin­en. In langer Arbeit wurden Tonnen an Material verschoben, Dämme ein- und Uferblöcke weggerisse­n. Jetzt sind insgesamt vier Altarme wieder mit der March verbunden. Alles fließt. „Wir haben 7,5 Kilometer neue Wasserläuf­e geschaffen. Die Vielfalt an regionalen Fischarten ist fast vollständi­g. Vor allem aber haben sich die Bestände erholt“, erklärt

Stelzhamme­r was dem Auge vom Ufer aus verborgen bleibt. Bitterling bis Zander tauchen durch die Unterwasse­rwelt – sehr zur Freude der lokalen Fischer, sie waren zu Beginn des Projekts doch skeptisch. Auch Flussmusch­el, Donaukammm­olch und Rotbauchun­ke profitiere­n von der Dynamik. „Der erste Meilenstei­n ist gelungen. Jetzt kommen Jahre der wissenscha­ftlichen Nachbetreu­ung. Und Folgeproje­kte mit viadonau und den slowakisch­en Nachbarn“, zieht Stelzhamme­r Resümee über das Riesenproj­ekt. Der Tag ist immer noch Grau – die Aussicht auf kommendes Frühjahr rosig.

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Teil des Life+ Projekts: Die Konik-Pferde tragen zur Renaturier­ung der Unteren March-Auen bei
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Belebtes Wasser: Urzeitkreb­se tummeln sich in Autümpeln und in Senken auf Wiesen
Artenvielf­alt: Die große Storchenko­lonie ist ein Besucherma­gnet im Reservat Belebtes Wasser: Urzeitkreb­se tummeln sich in Autümpeln und in Senken auf Wiesen
 ??  ?? Aulandscha­ft: WWF-Projektlei­ter Michael Stelzhamme­r freut sich über sichtbaren Erfolg
Aulandscha­ft: WWF-Projektlei­ter Michael Stelzhamme­r freut sich über sichtbaren Erfolg
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