Wo Journalisten Regie führen
Deutschland. Sprecher der Regierung und Ministerien stellen sich seit 70 Jahren dreimal wöchentlich der Presse
Die Kulisse ist vielen aus Zeitung und Fernsehen bekannt, was aber Wenige wissen: Die Politiker, die in dem Saal vor der blauen Wand sitzen, sind dort bloß Gäste. Die Journalisten der Bundespressekonferenz bestimmen, wer und zu welchem Thema sprechen und befragt werden darf.
In einem Bürogebäude, einige hundert Meter von Bundestag und Kanzleramt entfernt, findet ein Format statt, das in vielen Ländern unmöglich erscheint: Einer der drei Regierungssprecher sowie einer pro Ministerium stehen auf Einladung der Journalisten dreimal wöchentlich Rede und Antwort – und das seit mehr als 70 Jahren.
Gegründet wurde die Bundespressekonferenz 1949 in Bonn, als Deutschland begann, seine Demokratie wiederaufzubauen. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) beantwortete dort gerne Fragen, musste er doch sonst alles mit den Vertretern der Besatzungsmächte abstimmen. Aus Zeitgründen schickte er schließlich seine Sprecher.
Zwar gab es zuletzt auch in Österreich einen Regierungssprecher, doch der Unterschied zu Deutschland ist groß: Der Sprecher der Regierung sitzt wie alle Minister neben einem Journalisten am Tisch, der das Wort erteilt, Fragen aufnimmt oder interveniert, wenn ein Gast behauptet, zu einem Thema darf nicht gefragt werden. Überhaupt bleiben alle so lange sitzen, bis die letzte Frage gestellt wurde. „Gelebte Pressefreiheit Für Gregor Mayntz ist das „gelebte Pressefreiheit“. Er ist Vorsitzender der Bundespressekonferenz und berichtet als Parlamentskorrespondent für die Rheinische Post, früher aus Bonn, seit 1999 aus Berlin. Er hat viele Regierungen und deren jeweiligen Kommunikationsstil erlebt und einen Rat für die Österreicher parat: „Ich würde dringend empfehlen, dass man in Wien eine
Bundespressekonferenz ins Leben ruft, wo alle Sprecher der Ministerien und des Kanzlers dreimal die Woche Rede und Antwort stehen.“
Finanziert wird der Verein von Mitglieder-Beiträgen. „Es gibt keine öffentliche Alimentierung oder Stiftung“, erklärt Mayntz dem KURIER. Insgesamt sind mehr als 900 Parlamentskorrespondenten dabei und 440 Journalisten aus 60 Ländern, die im Verein der Auslandspresse organisiert sind. Er hilft mit, die Kosten der Saalmiete zu decken. Im Gegenzug haben Auslandsjournalisten volles Teilnahmeund Fragerecht.
Allerdings sind die Antworten nicht immer ergiebig. An manchen Tagen versuchen sich Sprecher mit Floskeln zu retten, doch das motiviert Journalisten erst recht. Wird einer vertröstet, hakt ein anderer nach, was sportlichen Charakter bekommt.
Oft wären die Regierungen kommunikativ schlecht aufgestellt, mal ist es umgekehrt, erzählt Journalist Mayntz: „Wenig anwesende Kollegen, die hartnäckig die wichtigen Fragen stellen.“
Hört man sich unter Journalisten um, nennen sie Zeitmangel als Grund. Die Konferenz verfolgen sie via LiveStream. Andere hätten das Gefühl, nichts Exklusives zu erfahren. Für die andere Seite wird es dadurch bequem – sie verschafft sich ohnehin anders Öffentlichkeit: Parteien bauen sich Newsrooms und nutzen Social-Media-Kanäle. Merkel macht sich rar Auch die Kanzlerin ist dort häufiger zu sehen als in der Bundespressekonferenz, was der Deutsche Journalistenverband kritisierte. Genauso wie die geheimen Gesprächszirkel mit ausgewählten Medienvertretern im Kanzleramt. Überhaupt gibt sie immer weniger Interviews in Rundfunk und Presse. Im vergangenen Jahr war Merkel nur mit 22 Interviewbeiträgen in deutschen Medien vertreten gewesen. In den Jahren zuvor waren es durchschnittlich 60 Einzel-Beiträge.
Gregor Mayntz bedauert ihre raren Auftritte, die deutlich unter Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) liegen: „Sie hat die wesentlichen Entscheidungen zu Eurorettung oder Energiewende stets im Kanzleramt kommuniziert und ist nicht in die Bundespressekonferenz gekommen, obwohl sie eine stete Einladung hat.“
Zuletzt auch nach den Koalitionsverhandlungen 2017. Zwar ist es üblich, dass die Parteiführer danach in die Bundespressekonferenz kommen, doch Mayntz’ Nachfragen wurden immer zurückhaltender beantwortet, bis man ihm absagte. Daraufhin lud er für Montag alle Vorsitzenden der Oppositionsparteien ein, um den Koalitionsvertrag zu bewerten. „Der Bundesregierung ist klar geworden, dass es an dem Tag, wo sie im Mittelpunkt stehen würde, nur die Sicht der Opposition geben würde.“Eine
Stunde nachdem die Einladungen draußen waren, bekam er einen Anruf – plötzlich war ein Termin gefunden.
Doch es gibt nach wie vor Politiker, die sich vor der Bundespressekonferenz drücken. Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) war so einer. Er wurde eingeladen, um sich zu den Plagiatsvorwürfen in seiner Doktorarbeit zu erklären. Doch er holte nur ausgewählte Journalisten zu sich ins Ministerium, was sein Sprecher zeitgleich in der Bundespressekonferenz verkündete, erinnert sich Gregor Mayntz. Die Hauptstadtjournalisten verließen daraufhin den Saal: „Wir haben damit klargemacht, dass wir uns das nicht gefallen lassen.“
Überhaupt wären seltene Auftritte ein schlechtes Omen: Man habe festgestellt, dass Ministerinnen und Minister, die selten kommen, meist nicht lange im Amt sind. Insofern könne er nur jedem empfehlen, sich den Fragen zu stellen.