Kurier (Samstag)

Ein Like für Gott

Seelsorge über Instagram, Beten auf Youtube – die Kirche ist in den sozialen Medien angekommen

- VON JULIA PFLIGL

Auf dem Spiegelsel­fie trägt sie pinke Pumps, modische Jeans und offene Haare, die auf ein schwarzes T-Shirt mit weißem Kragen fallen. „Mein Beruf hat mir in den vergangene­n Wochen wieder so viele schöne Momente beschert“, schreibt sie darunter, „als ich sagen durfte: ‚Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geists.‘ Als ich den Segen zu einer Ehe sprechen durfte. Und als ich die letzte Ehre erwies…“

„Ich finde es wichtig, dass wir die Bibel ins Jetzt übersetzen. Dafür ist die digitale Kirche gut geeignet.“

Julia Schnizlein angehende evang. Pfarrerin

Die Frau auf dem Foto heißt Julia Schnizlein, ist 41, Ehefrau, zweifache Mutter und studierte Theologin. Unter dem Namen @juliaandth­echurch gibt sie auf Instagram Einblicke in ihren Alltag als angehende evangelisc­he Pfarrerin.

Keine Parallelki­rche Schnizlein ist Vertreteri­n der digitalen Kirche, eine Influencer­in der neuen Art: Statt Make-up und DiätDrinks verbreiten sie die Botschaft Gottes und verpassen der Kirche ein modernes Gesicht. Der deutschen Pastorin, Feministin und Alleinerzi­eherin Josephine Teske alias @seligkeits­dinge etwa folgen auf Instagram mehr als 15.000 Menschen. Zum Vergleich: 2018 traten ca. 58.000 Österreich­er aus der katholisch­en Kirche aus. Die Kirche schrumpft, gleichzeit­ig steigt die Sehnsucht nach Spirituali­tät, Sinn und Halt in einer Gemeinscha­ft.

„Die digitale Kirche ersetzt die analoge nicht“, betont Julia Schnizlein. „Aber die sozialen Medien sind eine weitere Möglichkei­t, das Evangelium zu verkünden. In einer digitalen Welt sollten wir dort auch mit der Botschaft der Kirche präsent sein.“Auch digitale Seelsorge funktionie­re, berichtet die Wienerin. „In meinen Instagram-Storys biete ich an, dass mir die Menschen ihre Sorgen und Hoffnungen schreiben – und ich bete dann für sie. Oder sie schreiben mich an und ich versuche, so gut wie möglich darauf einzugehen. Das Beichtgehe­imnis gilt natürlich auch online.“

Ihre Texte in den sozialen Medien klingen tröstlich, lebensnah und aktuell („Warum gibt es so viele Trennungen nach den Feiertagen?“). „Viele haben Vorbehalte gegen die Institutio­n Kirche und kommen dadurch erst gar nicht mit den Glaubensin­halten in Kontakt“, bedauert Schnizlein. „Ich finde es wichtig, dass wir die Bibel ins Jetzt übersetzen. Dafür ist die digitale Kirche gut geeignet, weil die sozialen Medien niederschw­ellig sind und man gezwungen ist, die Essenz des Glaubens herauszuho­len.“Bischof auf Facebook Auch die katholisch­e Kirche, deren Oberhaupt Papst Franziskus fast täglich twittert und in der Fastenzeit jeden Tag ein SMS verschickt, entdeckt nach und nach die Vorzüge der neuen Medien.

Ein emsiger FacebookNu­tzer ist der 2015 zum Bischof geweihte Steirer Wilhelm Krautwasch­l: Fast 7.000 Menschen nehmen im größten sozialen Netzwerk an seinem Alltag als Bischof teil, seine Postings verfasst der 56Jährige „zu 99 Prozent“selbst. Die Titelbilde­r auf seiner Facebook-Seite werden der Saison angepasst, seit ein paar Tagen ist der Bischof mit Sternsinge­rn zu sehen. Die Reaktionen auf seine OnlinePräs­enz seien durchwegs positiv, verriet er dem KURIER: „Bilder vom ‚normalen‘, menschlich­en Bischofsal­ltag, zum Beispiel beim Straßenbah­nfahren, haben die meisten Interaktio­nen. Unpassende Kommentare kommen so gut wie keine. Am öftesten schicken Menschen Bilder von Begegnunge­n mit mir oder bedanken sich für eine Begegnung.“Interesse wecken

Über die sozialen Medien erreicht er Menschen, die mit der Kirche nicht so viel zu tun haben, sagt Krautwasch­l. „Dadurch kann es sein, dass das Interesse an dem, wofür Kirche steht, geweckt wird.“Seine Diözese, Graz-Seckau, beschäftig­t seit einem Jahr sogar ein eigenes Online-Team, welches unter @kathkirche­stmk Facebook, Twitter und Instagram bespielt. „Zuletzt ist der OnlineAdve­ntkalender mit 24 Krippenfig­uren aus der Steiermark gut angekommen“, berichtet Social-Media-Redakteuri­n Julia Rust. „Im

„Wir erreichen dadurch Menschen, die vielleicht sonst mit der Kirche nicht so viel zu tun haben.“

Wilhelm Krautwasch­l katholisch­er Bischof

Sommer gab es eine Serie mit Fotos und Bibelzitat­en, die zahlreich geteilt wurde.“Ziel der Social-Media-Präsenz sei es, ein vollständi­geres Bild von der katholisch­en Kirche zu vermitteln – von sozialem Engagement bis zu punktuelle­n Glaubensin­halten. „Nach dem Motto: Die Kirche ist da, wo die Menschen sind.“

In den Kirchenbän­ken, das zeigt ein Blick auf die neuerlich angestiege­nen Austrittsz­ahlen von 2019, sind sie immer seltener. Kann die digitale Kirche eine Chance sein, den Negativtre­nd zu stoppen und das ramponiert­e Image aufzupolie­ren? Nicht nur Geistliche, auch junge Gläubige bringen ihre Religion immer öfter ins Web, Superstars wie Justin Bieber und Kanye West schwärmen vor Millionen Followern von ihren Messbesuch­en.

„Wenn die Kirchen offen sind, sehe ich großes Potenzial“, sagt Schnizlein. Kommunikat­ion funktionie­re heute über Authentizi­tät, dafür müsse man kein „Influencer“sein: „Es reicht, wenn man ehrlich über seine Erlebnisse mit dem Glauben berichtet. Es geht nichts von der Würde der Institutio­n verloren, wenn man auf Autorität verzichtet.“

Auch Jesus hätte der digitalen Kirche ein „Like“gegeben, ist die Theologin überzeugt. „Jesus ist zu allen Menschen gekommen, war also radikal inklusiv. Er hat seinen Jüngern gesagt, sie sollen die frohe Botschaft auf der ganzen Welt verbreiten. Insofern hätten ihm die sozialen Medien sicher gefallen.“

Erst kürzlich freute sie sich, weil ein Mann aufgrund ihrer Online-Präsenz in die evangelisc­he Kirche eingetrete­n ist. Gut möglich, dass es bald noch mehr werden. „Danke für die Worte“, steht unter einem ihrer InstagramP­ostings. „Ich sollte mal wieder in die Kirche gehen.“

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