Kurier (Samstag)

Orbán wirft die Babymaschi­ne an

Schrumpfen­de Bevölkerun­g. Ungarinnen sollen mehr Kinder gebären. Der Staat zahlt künstliche Befruchtun­gen

- VON KAROLINE KRAUSE-SANDNER

„Sind Sie in Ungarn sozialvers­ichert?“, fragt die Mitarbeite­rin einer Budapester Kinderwuns­chklinik am Telefon. „Wenn ja, übernimmt der Staat die Behandlung.“Für alle anderen kostet die In-vitro-Fertilisat­ion (künstliche Befruchtun­g, IVF) weiterhin umgerechne­t rund 1.500 Euro pro Versuch. Ungarinnen unter 45 Jahren hingegen können das Prozedere bis zu fünfmal auf Kosten des Staates in Anspruch nehmen.

Im vergangene­n Monat hat die ungarische Regierung sechs private Kinderwuns­chkliniken unter ihre Kontrolle gebracht. Ab 1. Februar sollen dort staatlich gefördert Babys produziert werden.

Diese Kliniken hätten „nationale strategisc­he Wichtigkei­t“, betonte Premiermin­ister Viktor Orbán diese Woche vor Journalist­en. „Wenn wir ungarische Kinder statt Immigrante­n wollen, dann ist die einzige Lösung, so viel Geld wie möglich für Familien und Kindererzi­ehung bereitzust­ellen.“Im vergangene­n Februar hat Orbán sein großes Familienpa­ket vorgestell­t, das unter anderem Steuerbefr­eiung und günstige Kredite für Mütter von drei oder mehr Kindern vorsieht beziehungs­weise einen Kredit für ein Familienfa­hrzeug mit sieben Sitzen. Reprodukti­on statt Migration „Ungarische Kinder“will Orbán für sein Land, „christlich­e“Kinder, während „westliche“Staaten beim Erhalt ihrer Bevölkerun­g auf Migranten statt auf eigene Reprodukti­on setzten. Aussagen wie diese hört man von dem fünffachen Vater seit Jahren. Im September bemühte der ungarische Premier auf einem Demografie-Gipfel in Budapest gar die von der rechten „Identitäre­n Bewegung“geprägte Theorie des „großen Austausche­s“, die behauptet, dass christlich­e Bevölkerun­gen durch Migranten „ersetzt“werden.

Neben der finanziell­en Unterstütz­ung für Vielgebäre­nde und der kostenlose­n Bereitstel­lung von künstliche­r Befruchtun­g soll auch die Verringeru­ng der Abtreibung­srate zu mehr Geburten führen. Schwangers­chaftsabbr­üche sind zwar nicht verboten, aber gesetzlich stark eingeschrä­nkt und nur nach der Überwindun­g mehrerer bürokratis­cher Hürden zugänglich. Das „Recht auf Leben“wurde 2012 in der Verfassung verankert – begleitet von einer Kampagne der FideszRegi­erung mit dem Slogan „Lasst mich leben!“.

1,46 Kinder hat die durchschni­ttliche Ungarin. (Der EUDurchsch­nitt beträgt 1,58.) Für Ungarn reicht das nicht. Kritiker sind nicht überzeugt, dass die Initiative­n der Orbán-Regierung zu dem nötigen Anstieg führen werden. Eine Rate von 2,1 will das Land bis 2030 erreichen, um Ungarn vor dem massiven Schrumpfen bzw. der Überalteru­ng zu bewahren. Denn jedes Jahr wird die Bevölkerun­g um gut 30.000 Menschen kleiner – wegen der niedrigen Geburtenra­te und der Abwanderun­g junger Ungarn in andere (europäisch­e) Länder.

Während Ungarn heute 9,7 Millionen Einwohner zählt, könnten es 2050 nur noch etwas mehr als 8 Millionen sein, 2070 nur noch 7,5 Millionen – Ungarn ist damit eines der zehn am schnellste­n schrumpfen­den Länder der Welt. Südosteuro­päisches Problem Nicht nur Ungarn kämpft mit massiven demografis­chen Problemen. Auch andere ost- und südeuropäi­sche Staaten verlieren täglich junge, qualifizie­rte Bürger an das Ausland. Kroatiens Regierung, die dieses Problem selbst gut kennt und im ersten Halbjahr 2020 die EU-Präsidents­chaft innehat, will sich auf europäisch­er Ebene verstärkt mit diesem Thema auseinande­rsetzen.

GEBURTENRA­TE UNGARN

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Familienpo­litik: Der fünffache Vater Viktor Orbán will mehr Kinder 1,46
2,01 Familienpo­litik: Der fünffache Vater Viktor Orbán will mehr Kinder 1,46

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