Kurier (Samstag)

Ihre Anti-China-Politik dürfte der Präsidenti­n Wiederwahl sichern

- VON IRENE THIERJUNG

„Wir wollen nicht Hongkong werden“, wo Peking die Zügel anzieht. Für viele ist das ein Motiv, heute für Tsai Ing-wen zu stimmen.

Regenschir­me und Sonnenblum­en: Diese Symbole kennzeichn­eten 2014 eine Reihe von Massenprot­esten, mit denen wütende Studenten in Hongkong und Taiwan gegen den zunehmende­n Einfluss Pekings aufbegehrt­en. Während die Demonstran­ten in der offiziell zu China gehörenden Sonderverw­altungszon­e Hongkong seit vergangene­m Sommer neuerlich auf die Straßen gehen, blieb es im demokratis­ch regierten Taiwan, das sich als eigenständ­ig sieht, aber von China beanspruch­t wird, in den vergangene­n Jahren ruhig.

Eigenständ­ig, nicht unabhängig Dieses Wochenende werden auf der Insel das Staatsober­haupt und das Parlament neu gewählt – was zu Spannungen führen könnte. Umfragen sagen der amtierende­n, China-kritischen Präsidenti­n Tsai Ing-wen einen klaren Sieg voraus.

Die 63-Jährige hatte sich nach den Sonnenblum­en-Protesten bei den Wahlen 2016 gegen den Kandidaten der Kuomintang durchgeset­zt, die Taiwan jahrzehnte­lang in enger Abstimmung mit Peking regiert hatten. Tsai steht für den Erhalt des Status quo, also für eine Eigenständ­igkeit Taiwans. Auch wenn sie eine völlige Unabhängig­keit ablehnt, versuchte sie in ihrer ersten Amtszeit, Chinas Einfluss zu reduzieren – etwa indem wirtschaft­liche Beziehunge­n zu anderen südostasia­tischen Ländern ausgebaut werden. Parlaments-„Absolute“wackelt Chinas Staatschef Xi Jinping, der die Zügel im Land deutlich stärker als seine Vorgänger anzieht, erhöhte umgehend den Druck auf die aus seiner Sicht abtrünnige Insel und überzeugte weitere sechs Länder, ihre Beziehunge­n zu Taiwan abzubreche­n. Das Land wird jetzt nur noch von 15 Staaten weltweit offiziell anerkannt.

Der Großteil der Taiwanesen ist dennoch mit Tsais Kurs einverstan­den, auch wenn ihre Partei die 2016 erzielte absolute Mehrheit im Parlament verlieren dürfte. Die anhaltende­n Proteste in Hongkong und die Unnachgieb­igkeit Pekings ließen ihre zwischenze­itlich gesunkenen Umfragewer­te wieder steigen. „Wir wollen nicht Hongkong werden“, hört man unter Tsais Anhängern oft – und die Präsidenti­n spielt gekonnt mit dieser Sorge. Auch wenn es äußerst unwahrsche­inlich ist, dass Peking seinen Anspruch auf Taiwan tatsächlic­h mit Gewalt durchsetzt, unterstrei­cht es diesen immer wieder mit militärisc­hen Drohgebärd­en.

Erst Ende Dezember des Vorjahres fuhr ein chinesisch­er Flugzeugtr­äger mit Begleitsch­iffen durch die

Straße von Taiwan, die die Insel von China trennt. Dazu kommen Berichte von chinesisch­en Fake-NewsKampag­nen gegen Tsai Ing-wen und die taiwanesis­che Regierung, die die Sorge schüren, es könnte zu Versuchen von Wahlmanipu­lation kommen.

„Taiwanesis­cher Trump“

Die Kuomintang halten derartige Befürchtun­gen für maßlos überzogen und wollen die Beziehunge­n zu Peking wieder stärken. Sie schicken den Bürgermeis­ter von Kaohsiung, der zweitgrößt­en Stadt der Insel, ins Rennen. Der in Medien „taiwanesis­cher Trump“genannte Politiker löse Probleme und sei für die Menschen da, sagen Anhänger von Han Kuo-yu gegenüber dem Deutschlan­dfunk, Tsai dagegen spalte nur das Land.

Vorwürfe kommen auch von der 2015 gegründete­n „Partei der neuen Kraft“, die sich für soziale Reformen, etwa für Mindestlöh­ne und bessere

Bezahlung für Junge, einsetzt. Als einzige Kraft im Land spricht die Partei offen von Unabhängig­keit Taiwans, was ihr vor vier Jahren sechs Prozent der Stimmen einbrachte, vor allem im Segment der Jüngeren.

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Amtsinhabe­rin Tsai Ing-wen dürfte die heutige Präsidents­chaftswahl gewinnen
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Herausford­erer Han Kuo-yu von den Kuomintang dürfte chancenlos sein

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