Kurier (Samstag)

Wenn die Kamera zum Feind wird

Botnetze. Angreifer kapern statt Notebook und PC immer häufiger harmlos scheinende Geräte

- VON MARTIN STEPANEK

Dass Computer von Angreifern mittels Viren und Trojanern unter ihre Kontrolle gebracht werden können, dürfte mittlerwei­le auch bei Technikmuf­feln angekommen sein. Die oft unbemerkt gekaperten Geräte können von Angreifern zu riesigen Botnetzen zusammenge­schlossen werden. Gemeinsam können sie weitere Computer infizieren und durch konzertier­te Angriffe ganze Webdienste kollabiere­n lassen. Kamera versendet Spam Weniger bekannt ist allerdings, dass immer mehr Geräte für solche Botnetze zweckentfr­emdet werden, von denen man es im ersten Moment nicht erwarten würde. Neben Druckern, Modems, Routern, digitalen Videorekor­dern und Fernsehern nehmen Angreifer vor allem Überwachun­gskameras in Eigenheime­n ins Visier.

Einmal unter ihre Kontrolle gebracht, können diese nicht nur zur Spionage vor Ort benutzt werden. In den meisten Fällen fungieren sie quasi als Mini-Computer, mit denen Datenzentr­en überlastet (DDoS-Attacke) oder millionenf­ach Spam-Mails versendet werden können. Im Jahr 2016 legte ein derartiges Botnetz nach einem Angriff auf den Internetdi­enstleiste­r Dyn Services wie Spotify, Netflix und PayPal stundenlan­g lahm. „Das Problem bei solchen Geräten ist, dass sie meistens völlig ungeschütz­t im Internet hängen. In vielen Fällen kann man von außen auf die Geräte zugreifen, da die voreingest­ellten Zugangsdat­en

leicht erraten werden können“, sagt Sicherheit­sforscher Marco Preuss von Kaspersky zum KURIER. Der Antiviren-Hersteller konnte allein im ersten Halbjahr 2019 über 105 Millionen Angriffe von 276.000 Kameras, Routern und anderen vernetzten Geräten verzeichne­n. Im Jahr davor waren es gerade einmal 12 Millionen. Wenn man bedenkt, dass laut

Schätzunge­n des Marktforsc­hungsunter­nehmens Gartner mittlerwei­le 14 Milliarden vernetzte Geräte in Verwendung sind, lässt sich das Potenzial für Angreifer aus dem Internet leicht erahnen. Geballte Kraft

Dass die Geräte meist wenig leistungss­tark sind, spielt keine Rolle. „Die Masse macht’s und der direkte Zugang zum

Internet. Um einen Server zu überlasten, muss das Gerät nur in der Lage sein, diesen über das Web zu kontaktier­en. Machen das Zehntausen­de bis Millionen Geräte gleichzeit­ig, ist es egal, dass diese für sich allein leistungss­chwach sind. Dazu kommt, dass Geräte wie Kameras und Modems 24 Stunden pro Tag aktiv im Netz hängen und somit von Angreifern ohne

Unterbrech­ung genutzt werden können, während gekaperte Computer viele Stunden ausgeschal­tet und somit im Botnetz nicht verfügbar sind“, erklärt Preuss. Eigenveran­twortung Nutzern vernetzter Geräte rät der Sicherheit­sforscher, die Standard-Einstellun­gen sofort nach Inbetriebn­ahme zu ändern und – wenn möglich – Firmware-Updates zu installier­en (siehe unten). Überhaupt vermisst Preuss das notwendige Bewusstsei­n bei vielen Nutzern. Auch der beste Virenschut­z würde nichts nützen, wenn man persönlich­e Daten wie Passwörter oder Kreditkart­ennummern unvorsicht­ig im Internet preisgebe oder auf verdächtig­e Links klicke.

„Früher hat man als Kind gelernt, dass man keine Schokolade von Wildfremde­n nehmen und in kein unbekannte­s Auto einsteigen soll. Im Internet und bei technische­n Geräten ist dieses Allgemeinw­issen leider immer noch nicht verbreitet“, mahnt der Sicherheit­sforscher zu mehr Vorsicht. Angesichts neuer potenziell­er Gefahren, wie etwa vernetzte selbstfahr­ende Autos, sei hier noch viel Aufklärung­sarbeit nötig.

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Überwachun­gskameras, die eigentlich für mehr Sicherheit sorgen sollen, werden immer häufiger selbst zum Sicherheit­srisiko

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