REISE OHNE ANREISE
Von berühmt bis berüchtigt: Als Tourist in der eigenen Stadt lassen sich altbekanntem Terrain durchaus neue Facetten abgewinnen. Reportage einer etwas anderen Besichtigungstour, mit Sinn für Dramatik.
chen? Nämlich jetzt. Wir befinden uns auf halber Strecke. Gastfreundschaft hin oder her, aber für klaustrophobische Gefühle ist es jetzt wirklich zu spät.
Oben gibt’s kein Gipfelkreuz
Das hat Mrs. Smith dann auch kapiert und sich nach kurzem Innehalten weiter an die Spitze gekämpft. Warum auch nicht? Ein Stephansdom ist ja kein Mount Everest. Die Bezwingung des Südturms ist dennoch eine Tortur. Oben winkt kein Gipfelkreuz und kein Abzeichen. Stattdessen muss man
rasch wieder absteigen, da der Besucherstrom von unten nicht nachlässt und die Aussicht von der Türmerstube in nebeliger Höh’ rasch inhaliert ist.
Goodbye Escape Room ohne Notausgang, wir müssen weitere Stationen auf unserer Städtetour in eigener Sache abklappern. Also zu einem Ort, der meist hektisch und ohne Muße betreten wird – der stille Ort. Angesichts der Jugendstiltoilette am Graben hingegen staunt man laut über die Geschmackssicherheit
dieser praktischen Einrichtung. Sogar Adolf Loos soll bei der Gestaltung mitgemischt haben.
Fotos von dieser Sehenswürdigkeit zu schießen, empfiehlt sich nicht. Das könnte dem ein oder anderen Benutzer dann doch zu seltsam vorkommen.
Also weiter, immer weiter
Mit dem gelben Trolley im Schlepptau fallen wir nicht weiter auf. Seit der Tourismus so nachhaltig boomt, zählen Menschen, die ihr Reisegepäck emsig hinter sich herziehen, zum gewohnten Stadtbild.
So auch auf der Augustinerstraße. Nach einschlägiger Vorbereitung auf diesen besonderen Städtetrip ist uns die Adresse Nr. 12 ins Auge gestochen. Hier soll einst eine hochwohlgeborene Dame ihr Unwesen getrieben haben: Gräfin Elisabeth (Erzsébet) Báthory-Nádasdy.
Die Fassade des viergeschossigen Bürgerhauses liefert nicht den geringsten Hinweis auf die ruchlose Geschichte des „Ungarischen Hauses“. Weder Gedenktafel noch eine Inschrift deuten auf die furchtbare Legende hin, die angeblich sogar Bram Stoker zu seinem Roman „Dracula“inspiriert hatte. (5) HAUS DER MUSIK
Wer noch nie hier war, findet im Beethoven-Jahr eine willkommene Gelegenheit, dieses Klangmuseum zu besuchen. Im mittlerweile 20. Jahr seines Bestehens begibt sich eine Ausstellung auf seine musikalischen Spuren – inklusive Lebend- und Totenmaske des Komponisten sowie einer Schautafel, die seine häufigen Wohnungswechsel thematisiert.
Vampirella gesucht
Aber die ungewöhnliche Häufung von Gästen im düsteren GothicLook lässt keine Zweifel aufkommen. Es muss schon was dran sein an der unfassbaren Story, die in vielen Reiseführern und einigen Horrorkrimis und -filmen mit Titeln wie „Die dunkle Gräfin“oder „Bathory“von der Augustinerstraße 12 kolportiert wird.
Genau hier soll an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert besagte Gräfin viele junge
(6) STEPHANSDOM TÜRMERSTUBE
Pffhh, endlich oben. Erst nach 343 Stufen gelangt man in die Türmerstube, um von der Spitze des „Steffl“-Südturms aus über Wien zu blicken. Touristen machen das gut und gerne. Wiener eher weniger. Zu anstrengend. Aber gar nicht so zeitraubend. Rauf und runter geht’s locker in 20 Minuten. Davon erzählen kann man tagelang.
Mädchen aus problematischen Familienverhältnissen als Hausmädchen eingestellt und der Reihe nach getötet haben. Danach badete sie in deren Blut, um nicht nur schöner, sondern auch jünger auszusehen.
Für diese mörderischen Gelüste mussten hunderte junge Mädchen ihr Leben lassen. Erschütternd, seit einem Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde 1988 gilt Gräfin Elisabeth (Erzsébet) Báthory-Nádasdy als die größte Serienmörderin aller Zeiten.
TATATATAAA in die Tasten Apropos mittelalterlicher Spuk. Unter den Touristen hat sich schon herumgesprochen, dass dieser auch der Ballgasse gut zu Gesicht stünde. Deren Katzenkopfpflaster ist allerdings auch der Grund, warum Touristen mit lärmenden Trolleys hier ähnlich schief angeschaut werden wie Raucher in der Nichtraucherzone.
Also weiter in die Annagasse. Sie ist wie geschaffen für ein festliches Finale. Zur Feier des ungewöhnlichen Touristentages in der eigenen Stadt – und weil das Beethoven-Jahr noch jung ist – kann man im „Haus der Musik“im Hof en passant ein herzhaftes TATATATAAA auf die Tasten knallen.
Falls man das wirklich vorhat, aber zuerst bei der Kasse um den Schlüssel für den Deckel der Klaviatur bitten.