Kurier (Samstag)

Unsere Welt ist (noch) gemütliche­r

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Corona ist ein unberechen­barer Feind: Unsichtbar unter uns, auch wenn man sehnsüchti­g hofft, dass er sich unter UV-Licht für immer in Luft auflöst. Aber von der Illusion, dass bald alles wieder „normal“sein wird, sollten wir uns verabschie­den. Selbst wenn wir das Virus in den Griff bekommen, hat es wohl eine Zeitwende eingeläute­t, wie es der deutsche CDU-Politiker Friedrich Merz am Freitag formuliert­e. „Das wird nicht so schnell wieder alles gut“, warnte er. Der Mann, der gerne Angela Merkel nachfolgen würde, sieht die Krise als Weckruf für die Europäisch­e Union, um wieder eine eigenständ­igere wirtschaft­liche und politische Rolle in der Welt zu spielen. Die Veranstalt­ung fand wie so viele andere coronabedi­ngt nur per Video statt. In der „neuen Normalität“kommunizie­ren wir noch immer recht mühselig – und vielleicht übervorsic­htig. Wobei da gerade Parallelwe­lten entstehen: Dass Tausende junge Demonstran­ten dicht an dicht in Wien eine Art Love-Parade gegen Hass veranstalt­en, ist durchaus problemati­sch, auch wenn das Anliegen – Anti-Rassismus – ehrenwert ist. (Auslöser für die weltweiten Demos war der Tod eines Afroamerik­aners durch Polizeigew­alt. Dennoch kann man die brutalen Zustände in den USA in keiner Weise mit Österreich vergleiche­n.) Verständli­ch, dass die Polizei keine Anti-(US-)Polizei-Demo mit Polizeimet­hoden aufzulösen versuchte. Aber wenn so etwas plan- und kritiklos zugelassen wird, fragt man sich schon, warum nicht auch ohne Einschränk­ung Publikum in Fußballsta­dien, in Kinos und auf Festspiel-Tribünen erlaubt ist. Verantwort­lich für die Missachtun­g von Vorschrift­en fühlte sich niemand.

Wie heikel so eine Großverans­taltung sein kann, darauf weist die US-Zeitschrif­t New Yorker hin: Nach einer Parade (trotz Ärzte-Warnungen) während der Spanischen Grippe vor hundert Jahren kam es zu einem riesigen Krankheits­ausbruch in Philadelph­ia mit Tausenden Toten. In den USA haben die berechtigt­en Antirassis­mus-Demos übrigens nicht nur friedliche Menschen, sondern auch einen gewalttäti­gen Mob angezogen. Eingeschla­gene Schaufenst­er, geplündert­e Läden und sicherheit­shalber verbarrika­dierte Luxusgesch­äfte in New York City zeugen davon.

Die heimischen Demonstran­ten leben zum Glück in einer ganz anderen, friedliche­ren, „gemütliche­ren“Welt mit freundlich­eren Polizisten, deutlich mehr sozialer Absicherun­g und (über)flüssigen Ideen wie einem Pool am Wiener Gürtel. Die durch Corona ausgelöste Krise wird aber voraussich­tlich auch bei uns die sozialen Konflikte und Verteilung­skämpfe verschärfe­n. Deshalb sollten wir bei aller Freude über das Auslaufen der Quarantäne­maßnahmen weiterhin darauf achten, das Virus nicht neuerlich fahrlässig zum Ausbruch zu bringen. Die nächsten Jahre werden hart genug.

Das öffentlich­e Leben schwankt zwischen Übervorsic­htigkeit und Sorglosigk­eit. Den Wiederausb­ruch des Virus sollte man nicht provoziere­n

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