Kurier (Samstag)

Kein Mindestabs­tand: Warum die Auflösung nicht zwingend war

- CHRISTIAN BÖHMER

Rechtsgrun­dlagen. Das Wichtigste vorweg: Der sprichwört­liche „Babyelefan­t“, also das Abstandhal­ten von einem Meter, ist keine Empfehlung, sondern rechtlich weiterhin geboten.

In der wichtigste­n Verordnung zur Corona-Pandemie – der „Covid-19-Lockerungs­verordnung“– heißt es gleich im ersten Paragrafen: „Beim Betreten öffentlich­er Orte im Freien ist gegenüber Personen, die nicht im gemeinsame­n Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalte­n.“

Wie ist nun die Sachlage bei Demonstrat­ionen? Und was heißt das vor allem für eine Versammlun­g mit 50.000 Teilnehmer­n? Für den Grund- und Verfassung­srechtsexp­erten Bernd-Christian Funk steht eines fest: „Der Sicherheit­sabstand wäre auch bei dieser Veranstalt­ung geboten gewesen.“Demonstrat­ionen werden laut Covid-19-Verordnung zwar explizit anders behandelt als Konzerte, Sportveran­staltungen oder Kongresse. Der Sicherheit­sabstand gilt aber auch in diesem Fall.

Hätte die Polizei die Demo also auflösen müssen? Die Antwort ist schwierig. Die Polizei kann Versammlun­gen zwar auflösen, wenn die öffentlich­e Ordnung in Gefahr ist. Vereinfach­t gesagt gilt das aber vor allem für unmittelba­re Gefährdung­en wie physische Gewalt.

Ob der Verstoß gegen eine Verordnung ausreicht, um eine Demonstrat­ion aufzulösen, lässt Funk offen. Der Grund: Eigentlich obliegt es der Gesundheit­sbehörde und nicht der Polizei zu entscheide­n, wie gefährdet die öffentlich­e Gesundheit in einem konkreten Fall ist.

Verkompliz­iert wird alles durch die gesellscha­ftspolitis­che Dimension: Man stelle sich vor, die Polizei löst mit Gewalt eine Demo auf, bei der gegen Polizeigew­alt demonstrie­rt wird. Funk: „Pragmatisc­h würde ich sagen: Aus dieser Perspektiv­e war die Demonstrat­ion kaum aufzulösen. Die Optik wäre schauderha­ft gewesen.“

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