Rassismus – eine offene Wunde, nicht nur in den USA
Sklaverei und Rassentrennung sind abgeschafft, ihre Folgen beschäftigen die Vereinigten Staaten bis heute. Doch Rassismus, Diskriminierung und Gewalt sind kein Problem allein der USA, wie die Proteste in Europa zeigen
Acht Minuten und 46 Sekunden – so lange kämpfte der von einem Polizisten am Boden fixierte George Floyd um sein Leben. Und so lange gedachten Freunde und Familie seiner mit Schweigen bei einer Trauerfeier in Minneapolis. Floyds Tod hat das Vertrauen vieler Menschen in Polizei und Justiz erschüttert. Seit mehr als einer Woche gehen sie im ganzen Land auf die Straße.
Manchen Beobachter erinnert es an die Anfänge der Bürgerrechtsbewegung, als es auch zu Unruhen kam. Andere sagen, man müsse sich vor Augen führen, dass die USA noch immer mit dem Erbe der Sklaverei kämpft: dem Rassismus.
Gut 400 Jahre ist es her, dass die ersten Sklaven in Nordamerika in Ketten an Land gebracht wurden. Fesseln, die sich mit dem 13. Zusatz in der Verfassung zwar lösten, doch es wurden andere angelegt: die Rassentrennung im öffentlichen Leben, die die weiße Vorherrschaft garantieren sollte. 1964 wurde sie mit dem Civil Rights Act beendet.
Dennoch ist das Narrativ von den ethnischen Unterschieden zwischen Weißen und Schwarzen bis heute ungebrochen, sagt Bryan Stevenson, US-Anwalt und Kopf der Menschenrechtsorganisation Equal Justice Initiative. Die Ungleichheit lebt vor allem im Justizsystem fort, schreibt er in seinem Buch „Ohne Gnade“, in dem er viele Einzelfälle schildert, die er als Anwalt erlebt hat. „Wir haben Sklaverei und Knechtschaft abgeschafft, aber die Legende der Rassenungleichheit gibt es immer noch. Es gibt das Vorurteil, dass Schwarze gefährlicher seien. Und wenn sie angeklagt sind, muss nicht der Richter ihre Schuld, sondern sie müssen ihre Unschuld beweisen. Und das ist unfair.“
Ähnlich sieht es auch AmerikaExperte und Politologe Reinhard Heinisch von der Universität Salzburg, der lange in den USA lebte und lehrte. Er sagt aber auch, dass man die Erfolge der Bürgerrechtler nicht übersehen dürfe bzw. auch auf Europa selbst blicken müsse: „Die Gesellschaft in den USA ist weniger rassistisch als in Europa“, etwa beim Thema Hautfarbe oder im Beruf. „Die Amerikaner wählten Barack Obama zum Präsidenten. Wir haben schon ein Thema, wenn eine Ministerin als Kind aus Bosnien kam.“In Amerika sind Schwarze dennoch Amerikaner, in Europa wird ihre Herkunft, egal ob eingewandert oder hier geboren, stets thematisiert.
„Offene Wunden“
Auch deshalb gehen die Menschen nun in Paris, Wien oder Berlin auf die Straße. Die Geschehnisse in den USA haben in Europa Wunden geöffnet, stellt Wirtschaftsjournalist Chiponda Chimbelu in einem Kommentar für die Deutsche Welle fest. „People of Color, vor allem Schwarze, leiden oft durch das Verhalten der Behörden und der Gesellschaft als Ganzes.“
Dass die Proteste in den USA auch zu schweren Auseinandersetzungen führten, hat für Heinisch noch tiefer liegende Gründe. „Das ist etwa der tief aufgestaute Frust vieler aus der Mittelschicht, die sich nach oben gearbeitet haben. Ihnen wird nach wie vor das Gefühl gegeben, nicht ebenbürtig zu sein.“Auf der anderen Seite gibt es eine weiße Bevölkerung, die sozial und ökonomisch schlechter gestellt ist und sich in einem Konkurrenzkampf sieht. „Manche waren es gewöhnt, dass jemand unter ihnen stand, etwa ein Schwarzer.“Um auszubrechen, würden viele zum Militär, zur Polizei gehen oder als Wärter in einem der großen Gefängnisse arbeiten – „ein Umfeld, wo Rassismus grassiert“. Dies kombiniert mit dem soften Waffengesetz und keiner Meldepflicht, führt bei vielen Polizisten schon vor den Kontrollen zu einem erhöhten Adrenalinspiegel, so Heinisch. „Schwarze Eltern müssen ihren Kindern erklären, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie von der Polizei angehalten werden, damit sie nicht erschossen werden.“
George Floyd, so zeigen es die Überwachungskameras, ließ sich am 25. Mai widerstandslos festnehmen. Dennoch drückte man ihn zu Boden. Nicht mal als die Sanitäter kamen, ließ man von ihm ab.