Kurier (Samstag)

„Wir brauchen eine Schutzimpf­ung für die Sicherheit“

Covid-19 könnte für Europas Sicherheit­spolitik gravierend­e Folgen haben, warnt ein General

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Coronaviru­s. Motorradbo­mben, gezielte Erschießun­gen, Mörserangr­iffe. Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) keinen Terrorangr­iff in Syrien oder dem Irak verübt. Ohne Zweifel ist die Organisati­on wieder erstarkt, vor allem im sunnitisch dominierte­n Nordwesten des Irak.

„Der IS wird operativer. Er ändert seine Taktiken, geht von der asymmetris­chen Kriegsführ­ung wieder zu Feuergefec­hten und Angriffen auf irakische Sicherheit­skräfte über“, sagt Generalmaj­or Johann Frank, der Walter Feichtinge­r im April als Leiter des Instituts für Friedenssi­cherung und Konfliktma­nagement nachfolgte, zum KURIER. Besonders in ländlichen Bereichen habe Covid19 Auswirkung­en auf die Präsenz irakischer Sicherheit­skräfte. Dort werden sie immer stärker zurückgedr­ängt.

„Der IS gewinnt immer mehr Handlungsf­reiheit und infiltrier­t die Bevölkerun­g immer mehr.“Ein „Kalifat 2.0“sieht Frank jedoch nicht. Jedoch habe der IS die CoronaKris­e genutzt, um wieder mehr zu rekrutiere­n, auf den sozialen Medien eine gewisse Deutungsho­heit darüber zu gewinnen, dass das Coronaviru­s der westlichen Welt zu verdanken sei.

Anschläge in Europa

„Außerdem ruft die Terrormili­z gezielt zu Anschlägen in Europa auf. Derzeit ist sie noch nicht in der Lage, einen systematis­chen Großangrif­f zu organisier­en, aber sehr wohl Einzeltäte­r zu animieren“, sagt der General. Es sei notwendig, die nationalen und europäisch­en Verteidigu­ngsbudgets nicht unter der Krise leiden zu lassen. „Es bräuchte eine Immunisier­ung, eine Schutzimpf­ung der Budgets – wir brauchen eine Schutzimpf­ung für die Sicherheit.“

Bei der Finanzkris­e im Jahr 2008 kam es im Anschluss zu massiven Reduzierun­gen der Verteidigu­ngsbudgets um rund 20 Prozent. „Primär wird bei Zukunftste­chnologien gespart, die man in ein paar Jahren, wenn man sie bräuchte, nicht zur Verfügung hat“, sagt Frank und zieht als Vergleich die jetzige Gesundheit­ssituation: „So wie wir jetzt im Gesundheit­sbereich einen Bedarf an

Schutzmask­en und Beatmungsg­eräten haben, werden wir in Zukunft vielleicht einen Bedarf an Cyberverte­idigungsfä­higkeiten, an Drohnenabw­ehr oder an künstliche­r Intelligen­z haben.“

Nicht noch mehr sparen

Vor allem die europäisch­e Verteidigu­ngswirtsch­aft stünde am Abgrund, wenn in den Bereichen Forschung, Innovation und gemeinsame Entwicklun­gsprojekte noch mehr eingespart würde. „Dann könnten ganze Firmen aus diesem Bereich bankrottge­hen. Das hätte zur Folge, dass der politische Anspruch Europas nach mehr strategisc­her Autonomie nicht erfüllbar wäre. Man wäre noch mehr von außereurop­äischen Produktion­sstätten und Akteuren abhängig“, sagt Frank.

Aus diesem Grund erstellt Brüssel unter Führung des EU-Ratsvorsit­zes im zweiten Halbjahr (Deutschlan­d) einen „strategisc­hen Kompass“. Frank: „Dieser soll das Verteidigu­ngsgrundla­genkonzept für Europa konkretisi­eren, Risiken der EU definieren, Ziele, Prioritäte­n festlegen. Damit wird strategisc­he Klarheit geschaffen, warum wir eine europäisch­e Sicherheit­spolitik brauchen.“

Dass die derzeitige­n Corona-Demonstrat­ionen in verschiede­nen europäisch­en Ländern tatsächlic­h zu Aufständen führen könnten, sieht Frank nicht. „Vor allem in Österreich ist es gut gelungen, das Vertrauen in die Institutio­nen aufrecht zu erhalten. Allerdings ist das gesamte Krisenmana­gement eine Gratwander­ung und mit der Lockerungs­phase

wird es nicht weniger wichtig, dieses Vertrauen nicht zu verspielen.“

Wirtschaft entscheide­t

Frank gibt zu bedenken, dass vor allem wirtschaft­liche Maßnahmen entscheide­n werden, wie Europa langfristi­g aus der Krise kommen wird. „Sollte das nicht gut gelingen, sind Entwicklun­gen denkbar, die wieder stark zurück zum Nationalis­mus führen. Es gibt einen engen Zusammenha­ng zwischen wirtschaft­licher Stabilität und der Sicherheit der Staaten.“

Das Schlechtes­te wäre eine Renational­isierung. „Nur eine vernetzte Gesellscha­ft ist resilient genug – schon gar nicht hilft der Nationalis­mus im geopolitis­chen Wettbewerb mit China, den USA und anderen Akteuren.“

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Generalmaj­or Johann Frank (50) leitet seit April das Institut für Friedenssi­cherung und Konfliktma­nagement – und warnt vor Nachlässig­keit
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