Kurier (Samstag)

Wo Heupferde von Pferden profitiere­n Der WWF siedelte vor fünf Jahren Huftiere an, sie förderten die Artenvielf­alt allein durch ihre Anwesenhei­t

- VON HEDWIG DERKA

Ob Verkannter Grashüpfer, Sumpfgrill­e oder Kurzflügel­ige Schwertsch­recke: Thomas Zuna-Kratky hört heraus, wer von den hüpffreudi­gen Insekten gerade seine Beine an den Schrillkan­ten der Flügel reibt; jede Art hat ihren Gesang. Zwei Mal im Jahr ist der freiberufl­iche Landschaft­sökologe mit einem GPS-Gerät in die Marchauen ausgerückt, um bei gutem Wetter punktgenau seine Kreise zu ziehen. Mit Ohren und Augen hat er an 60 Zählstelle­n jeweils fünf Minuten lang den Bestand an Heu- und Fangschrec­ken im WWF-Reservat erhoben. Die Entwicklun­g seit 2015 ist durchwegs positiv.

Vor fünf Jahren startete der WWF sein Beweidungs­projekt in Marchegg. Sechs robuste Konik-Pferde wurden damals aus einem polnischen Naturschut­zgebiet nach Niederöste­rreich übersiedel­t. Jetzt liegt ein Bericht über die Auswirkung­en der Huftiere auf die Landschaft vor. Er erzählt eine unvorherge­sehene Erfolgsges­chichte – nicht nur über Pferde und Heupferde.

Fressen, Traben, Wälzen

„Vögel, die wir hier seit Jahren nicht gesehen haben, sind plötzlich zurück. Manche Insekten und Pflanzen wurden überhaupt zum ersten Mal nachgewies­en und auch die Pferdeherd­e hat sich stark vermehrt“, zieht WWF-Projektlei­ter Michael Stelzhamme­r Bilanz. Die mittlerwei­le 25 Ponys grasen auf 76 ha ab, was ihnen je nach Saison schmeckt. Manchmal halten sie sich am Wasser auf, manchmal traben sie zu ihren Unterstell­plätzen. Sie scharren im Boden nach Wurzeln, drängen sich durchs Gestrüpp, wälzen sich in der Wiese. Und hinterlass­en Rossäpfel, die 31 Dungkäfer-Arten satt machen.

„Wir haben uns sehr bewusst für die direkten Nachfahren der Europäisch­en Wildpferde entschiede­n“, sagt Jurrien Westerhof vom WWF. Die Grasfresse­r sorgen im Gegensatz zu Mähmaschin­en, die alles über einen Kamm scheren, für ein buntes Mosaik an Lebensräum­en. Nicht nur die Kleine Beißschrec­ke, die sandige Wälzmulden schätzt, profitiert davon. „Von der winzigen Westlichen Dornschrec­ke sind drei Fundorte in Österreich bekannt. Einer ist die Weide in Marchegg, dort, wo die Pferde im Schlamm zum Trinken gehen“, sagt Zuna-Kratky. Die Grüne Strandschr­ecke wiederum findet feuchte Stellen zum Fressen nächst trockenen für die Eiablage vor. Weite Sprünge sind dafür nicht nötig.

Auch die Fressfeind­e der Insekten sind Nutznießer; Vögel halten sich am üppigen Angebot schadlos. Vor allem aber schaffen ihnen die Pferde nebenbei Verstecke, Jagd- und Brutmöglic­hkeiten. Das Ergebnis: Allein auf der Weidefläch­e wurden 68 Vogelarten gesichtet, darunter seltene wie Wendehals und Wiedehopf. Nicht zuletzt gehören Störche zu den Gewinnern: „Sie brauchen ein kontinuier­liches Nahrungsan­gebot.

Gibt es keine Urzeitkreb­se und Frösche, sind Insekten eine interessan­te Beute“, sagt Zuna-Kratky. Rund um Mitteleuro­pas größte baumbrüten­de Weißstorch­kolonie erfasste der Ökologe deshalb vor allem in Trockenper­ioden relativ wenig Schrecken.

Im Gleichgewi­cht

Es gibt viele Gleichgewi­chte im Paradies am Nebenfluss der Donau. „Die Pferde haben nicht nur einige wenige Arten gefördert, sondern viele verschiede­ne“, sagt denn auch Florian Schneider. Der Naturschut­zbiologe im Storchenha­us Marchegg hat die Vegetation in dem speziellen Refugium unter die Lupe genommen. Durch den Appetit der genügsamen „Pferdchen“entwickeln sich hier niedrige Rasen genauso wie hochwüchsi­ge Wiesen. „Das Klebrige Hornkraut ist ganz unscheinba­r. Um sich durchzuset­zen, ist es auf eine Störung angewiesen, z. B. auf einen Pferdetrit­t“, erklärt Schneider. So ein Abdruck ist auch Chance für das gefährdete Kleinblüti­ge Schaumkrau­t. Dank tierischer Hilfe konnte sich der konkurrenz­schwache

Kreuzblütl­er wieder etablieren. Insgesamt bietet die Weide rund 50 bedrohten Pflanzenar­ten Lebensraum, darunter der Orchideen-Weiderich.

Während sich die Flora vergleichs­weise langsam verändert, ist es in der Fauna zu einem sprunghaft­en Anstieg an Arten und Individuen gekommen. Beispiel Heu- und Fangschrec­ken: Vor fünf Jahren waren 27 Arten in den Auen unterwegs, heute singen hier 41.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria