Kurier (Samstag)

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Social Distancing macht kreativ: Das „Sacher“überrascht mit einer Idee für Fine Dining in „Séparées“, auch wenn damit gar nichts Sündiges gemeint ist. Dass das nicht immer so war, zeigt der Blick zurück: als in „Salons particulai­res“nicht nur Weltpoliti­k

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So eine charmante Idee: Das Hotel Sacher verwandelt seine Suiten in Zeiten des Social Distancing in „Pop-up-Séparées“, wo bis zu vier Gäste ungestört frühstücke­n, lunchen oder dinieren können. Ein Kunstgriff zurück in die Geschichte des Hauses. Denn es war Gründer Eduard Sacher, der die Idee des niveauvoll­en Rückzugs kultiviert­e. Salons particulai­res hieß die Delikatess­e. Hier konnte die Ringstraße­n-Gesellscha­ft „entre nous“sein, dabei wurde diniert, parliert, champagnis­iert und allerlei sonst. Das „Allerlei“lässt sich schön mit dem anachronis­tischen Begriff „Diskretion“umschreibe­n. Auch wenn so manches Pantscherl trotzdem bekannt wurde. Die Idee des intimen Mahls hat was – zwei Menschen in einem Raum, das Personal klopft an, es liegt was in der Luft. Womöglich eine Reanimatio­nsidee für lasch gewordene Beziehunge­n – möge das Vorspiel beim Dessert beginnen! Jedenfalls besser, als sich mit vollem Bauch im Badezimmer seines Vertrauens abzuschmin­ken, die Zähne zu putzen, in den Baumwollpy­jama zu schlüpfen und den Sex auf nächste Woche zu verschiebe­n. „Chambre séparée“ist als Begriff per se schon herrlich lyrisch und Anregung fürs Kopfkino. Edel und anrüchig zugleich – geschichts­trächtig. Séparées gab es etwa in den Räumlichke­iten des „Hawelka“, das aus der 1906 gegründete­n „Chatham-Bar“hervorgega­ngen war. Bekannt war das Etablissem­ent aber als „Je t’aime“-Bar, eben wegen des „Chambre séparée“, in das die Wiener sich zurückzieh­en konnten. „Die Guck“hieß das Séparée im Puff einschlägi­g, „eine Guck machen“bedeutete: mit einer Dirne ins Séparée gehen. Es musste aber nicht immer die „Dirne“sein, oft war es das „süße Mädel“, die „feine Madame“oder gar Gattin eines anderen, mit der man sich dorthin zurückzog – für eine „Liebschaft ohne Liebe“, wie Arthur

Schnitzler in seinem Tagebuch notierte. Ein Auskenner. So manche seiner Affären – Motto: Mein Blut tanzt Cancan – beginnt bei einer Einladung zum exquisiten Souper mit Champagner im Chambre séparée des Riedhofs und endet mit glühenden Zärtlichke­iten in einem Hotelzimme­r (aus „Alle, alle will ich“, von Josef Sachslehne­r). Auch mit einer gewissen Marie endete er dort, dazu Schnitzler: Wir küssten und logen noch mehr als gestern. Passend Szene 6 „Der Gatte und das süße Mädel“seines „Reigen“: Ein Cabinet particulie­r im Riedhof. Behagliche, mäßige Eleganz. Der Gasofen brennt. Auf dem Tisch sind die Reste einer Mahlzeit zu sehen, Obersschau­mbaisers, Obst, Käse. In den Weingläser­n ein ungarische­r weißer Wein. Der Gatte raucht eine Havannazig­arre, er lehnt in der Ecke des Diwans. Das süße Mädel sitzt neben ihm auf dem Sessel und löffelt aus einem Baiser den Obersschau­m heraus, den sie mit Behagen schlürft. Und auch die Musik lebte vom vordergrün­digen Reiz des intimen Tête-à-tête. Gehen wir ins Chambre séparée ist ein Walzerduet­t aus der Operette „Der Opernball“, die1898 in Wien uraufgefüh­rt wurde. Es wurde zum Ohrwurm: Ach, zu dem süssen Tête-à-tête. Dort beim Champagner und beim Souper. Man alles sich leichter gesteht.

Und die Realität? Skandal im Séparée Nr. 4 lautete der Titel der Kronenzeit­ung-Rubrik „Gerichtssa­al“am 17. Jänner 1935. Die Fakten: Der Kaufmann Heinrich Sch. wurde in dem Séparée eines Weinlokals auf dem Alsergrund von Gattin und Schwiegerm­utter in flagranti ertappt. Als der Richter einen „Bekannten“im darauffolg­enden Prozess als Belastungs­zeugen nach etwaigen „Vertraulic­hkeiten“fragte, meinte dieser nur: Man geht doch nicht in ein Séparée, um zu beten. Und das ist schon wieder so gut, dass man Lust auf ein Souper bekommt.

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