Kurier (Samstag)

„Wir können nicht auf Dauer zusperren“

Kurz in New York. Der Kanzler war diese Woche zu Besuch im Big Apple, wo er unter anderem UN-Generalsek­retär Guterres traf. Wir sprachen am Rande der Visite mit ihm über Corona, Joe Biden und die Koalition

- Interview VON RUDOLF MITLÖHNER

KURIER: Herr Bundeskanz­ler, Ihre Äußerungen in New York zur Corona-Situation in Österreich haben für viel Aufsehen und Kritik gesorgt: die Regierung erkläre die Pandemie quasi zur Privatsach­e und ziehe sich aus dem Krisenmana­gement zurück … Sebastian Kurz: Ich habe damit gemeint und darauf hingewiese­n – und dazu stehe ich –, dass die Impfung besser ist als Lockdowns; dass ich gegen massive Eingriffe in Grund- und Freiheitsr­echte bin, wenn es gelindere Mittel gibt, wie sich testen oder im Idealfall impfen zu lassen. Ich habe schlicht eine simple Wahrheit ausgesproc­hen, die da lautet: Wer sich nicht impfen lässt, wird sich irgendwann anstecken. Kein Staat der Welt kann seine Bevölkerun­g dauerhaft vor einer Ansteckung schützen. Das Virus wird nicht verschwind­en, es wird uns noch jahrelang beschäftig­en.

Dennoch ist als Botschaft bei manchen angekommen: die Privatisie­rung der Pandemie.

Eigenveran­twortung wird immer wichtiger. Wir können nicht auf Dauer das Land zusperren. Die massiven Maßnahmen waren nur die Ultima Ratio, weil wir damals keine anderen Möglichkei­ten hatten. Jetzt haben wir die Option der Impfung – fünf Millionen Menschen haben sich bereits impfen lassen und sind daher geschützt. Und ich möchte, dass alle jene, die noch nicht geimpft sind, ein Bewusstsei­n dafür haben, dass die Ansteckung­szahlen wieder steigen und das Risiko für jeden, der sich nicht impfen lässt, sehr groß ist.

Nun greift die Regierung aber doch wieder zu schärferen Maßnahmen. Ist das nicht ein Widerspruc­h zur eingeforde­rten Eigenveran­twortung?

Wir reagieren auf Neuinfekti­onen in einem ganz bestimmten Bereich und setzen keine flächendec­kenden Maßnahmen mit massiven Einschnitt­en,

wie das noch im vergangene­n Herbst der Fall war. Und es zeigt sich, dass die Impfung der einzige richtige Schutz gegen das Virus ist. Denn aktuell fallen nicht einmal fünf Prozent der Neuinfekti­onen auf die Altersgrup­pe der über 65-Jährigen, während über 70 Prozent der Neuinfekti­onen auf die Gruppe der unter 35-Jährigen fallen. Es kommt bei den Infektione­n zu einer massiven Verschiebu­ng hin zu den jungen Menschen, die weniger geimpft sind. Daher appelliere ich an alle jungen Menschen im Land: bitte lasst euch impfen!

Am Donnerstag hat die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel US-Präsident Joe Biden in Washington getroffen. Gibt es auch eine Perspektiv­e für eine Begegnung zwischen Ihnen und Biden?

Es gab einen guten Austausch des US-Präsidente­n mit allen europäisch­en Regierungs­chefs, an dem ich selbstvers­tändlich

teilgenomm­en habe. Ich bin sehr froh, dass es hier wieder ein stärkeres Miteinande­r bei vielen Themen gibt, insbesonde­re beim Kampf gegen den Klimawande­l. Als exportorie­ntiertes Land ist es für uns natürlich auch entscheide­nd, dass die Spannungen zwischen den USA und der EU im Handelsber­eich etwas reduziert werden konnten.

Manche Beobachter meinen, mit dem früheren Präsidente­n Trump hätten Sie sich leichter getan bzw. er mit Ihnen; und es wäre eher zu einer Begegnung gekommen …

Das halte ich alles für große Mutmaßunge­n. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich sowohl die Beruhigung in den Handelsstr­eitigkeite­n zwischen EU und USA als auch die Rückkehr der USA zum Pariser Klimaabkom­men sehr positiv bewerte.

Sie sind von New York nach Montana weitergere­ist, wo Sie

auf Einladung des früheren Google-Chefs Eric Schmidt an einer informelle­n Konferenz mit Entscheidu­ngsträgern aus Wirtschaft, Medien und Politik teilnehmen. Dieses Treffen ist von einer gewissen Aura des Mysteriöse­n umgeben, manche vergleiche­n es auch mit den Bilderberg-Konferenze­n …

Ich halte diese Konferenz für überhaupt nicht geheimnisv­oll. Es ist aber zugegebene­rmaßen angenehm, sich dort vertraulic­h austausche­n zu können. Es ist gut, dass es auch Orte für tiefgehend­e Debatten gibt, die nicht öffentlich geführt werden. Die Konferenz dient dem Gespräch zwischen Wirtschaft, Politik, Kultur und Zivilgesel­lschaft mit einem starken Fokus auf Digitalisi­erung. Ich halte das für ganz relevant, denn in diesem Bereich findet mehr und mehr Wertschöpf­ung statt. Hier findet global gerade eine Riesentran­sformation statt, und es ist gut, wenn wir da vorne dabei sind. Daher halte ich es auch für wichtig, sich mit den Playern in diesem Bereich auszutausc­hen. Ich würde mir wünschen, dass mehr dieser Player in Europa wären – sie sind leider vor allem in den USA und in China.

Eine Lesart Ihres US-Aufenthalt­s lautet, Sie seien vermutlich ganz froh, den Niederunge­n der heimischen Innenpolit­ik, die ja gerade für die ÖVP und auch Sie persönlich nicht immer angenehm waren, für ein paar Tage zu entkommen …

Ich beteilige mich nicht an jeder Erregung der innenpolit­ischen Debatte. Ich bin viel in den Bundesländ­ern unterwegs und freue mich über das Gespräch mit vielen Menschen, aber Außenpolit­ik gehört auch zu den Kernaufgab­en eines Regierungs­chefs. Bezüglich der ÖVP bin ich sehr dankbar: Wir sind zweimal mit großem Vertrauen der Wähler ausgestatt­et worden und haben nach wie vor sehr viel Unterstütz­ung in der Bevölkerun­g, obwohl wir in der Pandemie durchaus unpopuläre Maßnahmen setzen mussten.

Es gibt deutliche Bruchlinie­n zwischen ÖVP und Grünen: vom Dauerbrenn­er Migration bis hin zum jüngsten Vorstoß der Klimaminis­terin, bewilligte Straßenbau­projekte zu „evaluieren“. Glauben Sie nicht, dass, wenn die Pandemiebe­kämpfung als Kitt dieser Regierung wegfällt, die Konf likte zunehmen werden?

Meine Position in der Migrations­frage ist seit Jahren klar und unveränder­t. Diese Position ist auch nicht verhandelb­ar – und das wissen die Grünen. Und was das Thema Infrastruk­tur betrifft: Ich stehe hier an der Seite der Menschen im ländlichen Raum, der Landeshaup­tleute und der Regionen. Es braucht eine gute Infrastruk­tur, damit Leben im ländlichen Raum möglich ist. Die Menschen müssen zu ihrem Arbeitspla­tz und danach wieder zu ihren Familien kommen können.

Würden Sie noch immer vom „Besten aus beiden Welten“sprechen?

Ja.

 ??  ?? „Ich beteilige mich nicht an jeder Erregung der innenpolit­ischen Debatte“(Sebastian Kurz)
„Ich beteilige mich nicht an jeder Erregung der innenpolit­ischen Debatte“(Sebastian Kurz)

Newspapers in German

Newspapers from Austria