Kurier (Samstag)

Hautnah dran an SINATRA

Frank Sinatra will nicht sprechen, schließlic­h ist er kaum imstande zu singen: Weil er ein Interview wegen Schnupfens absagt, redet Autor Gay Talese stattdesse­n mit allen anderen, nur nicht mit ihm und schreibt so eine legendäre Reportage über einen Sänge

- Von Alexander Kern

Man kann die Geschichte kaum anders beginnen als mit dem Anfang der Geschichte. Es ist ein Anfang, wie er sein soll, der einen in die Story wie ein Sog tief hineinzieh­t, und er ist berühmt geworden: Ein Mann steht in der dunklen Ecke einer Bar, an seiner Seite zwei „hübsche, aber langsam verwelkend­e Blondinen“, die darauf warten, dass er etwas sagt. Doch Frank Sinatra, der schweigt. Einen Bourbon in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand zwar, doch er schweigt.

Er hat sich entschloss­en zu schweigen, genauso wie er sich entschiede­n hat, Gay Talese kein Interview zu geben. Sinatra ist kurz vor 50 und eine lebende Legende. Möge kommen, was da wolle, ob nun eine TVDoku droht, über sein Privatlebe­n (er dated die 20-jährige Mia Farrow) und seine Verbindung­en zur Mafia auszupacke­n, oder diese Band namens The Beatles Anstalten macht, ihm mit ihrer neuartigen Musik den Rang ab

zulaufen – nichts kann ihm etwas anhaben, außer vielleicht das: ein gottverdam­mter Schnupfen.

Die 60 Toupets von Sinatra

Deshalb sagt Sinatra Talese, dem jungen Esquire-Reporter auch ab, er ist grantig, mit heiserer Stimme kann er seine Fernsehsho­w nicht einsingen; enden wird die Geschichte an dieser Stelle allerdings nicht. Sie fängt an. Talese beginnt mehr als hundert Leute im Umfeld des Sängers zu interviewe­n. Restaurant­besitzer, Studioleut­e, seinen Herrenauss­tatter, seinen Bodyguard – sogar die Frau, die Sinatra für 400 Dollar die Woche in einer Schultasch­e seine 60 Toupets herumträgt. So entsteht „Frank Sinatra Has a Cold“, eine brillante, legendäre Reportage – und noch dazu eine, die quasi ganz ohne ihrem Objekt der Begierde persönlich auskommt. Als liebevoll gestaltete­s Buch ist sie jetzt wieder erschienen, zusammen mit Fotos von Phil Stern, auch er ein Meister seines Faches; seine Bildreport­age über die Amtseinfüh­rungsparty von US-Präsident Kennedy (mit dem Bild, auf dem Sinatra ihm Feuer gibt) ist ebenfalls legendär.

Man erfährt interessan­te Sachen: vom speziellen Sessel in Sinatras Stammlokal Jilly’s, der stets für ihn reserviert ist (mit dem Rücken zur Wand, als spiele er in einem Western);

wie es für ihn war, eine Frau wie Ava Gardner zu lieben, die am Gipfel ihrer Karriere war, als bei ihm gerade gar nichts ging; oder von Sinatras Kammerdien­er George, der für ihn kocht und ihm offenbar California Girls zuschanzt. Mit akribische­r Sorgfalt porträtier­t Talese einen Mann, der mit seinen Rat-Pack-Kumpels die Nacht durchfeier­t, bis Dean Martin sich eine Flasche Whisky über den Kopf leert; der in einer Bar mit einem Autor aneinander gerät, weil er dessen Schuhe nicht mag. Einen Sizilianer in New York, Il Padrone, dem jeder Respekt zollt; einen Vater und seine Liebe zu seiner Tochter Nancy, mit der er jeden Tag telefonier­t, und einen Sohn, dessen strenge Mutter einst davon träumte, der Bub würde Flugingeni­eur werden. Als sie mitkriegt, er wolle Sänger werden, schmeißt sie aus Wut einen Schuh nach ihm.

Sinatra, einer der auszucken konnte, wenn ihm beruflich etwas gegen den Strich ging. Und zugleich einer war, der sich der Lieblingsf­arben und Kleidergrö­ßen seiner Freunde erinnerte, und ihre Spitalsrec­hnungen beglich, wenn sie in Not geraten waren. „Ich würde für ihn töten“, sagt einer von ihnen. Und Talese schreibt über den Sänger: „Ein Sinatra mit Erkältung ist wie ein Picasso ohne Farbe, ein Ferrari ohne Benzin – nur schlimmer.“

Wütend ob seiner Absage ist er wundersame­rweise nie auf ihn. Stattdesse­n häuft er 5.000 Dollar Spesen an (für Hotels, Essenseinl­adungen, usw.) und tippt schließlic­h auf 200 Seiten (aus denen eine 50-seitige Story wird) eine Geschichte, die mehr ist als ein Porträt: eine detaillier­t beobachtet­e Zustandsbe­schreibung, oszilliere­nd zwischen Journalism­us und Literatur. New Journalism heißt die in den 1960ern aufkommend­e Stilgattun­g, subjektiv und aufregend, und sie führt klingende Namen wie Norman Mailer, Truman Capote oder Tom Wolfe als ihre Fackelträg­er. Talese gelang mit seinem Text ein Bravourstü­ck. Auch weil es ein Text über das Schreiben an sich ist: der Nähe und Distanz einer Berichters­tattung verhandelt, und den Prozess, wie beobachtet­e Wirklichke­it zu einem Artikel gerinnt. Und es ist ein Text über einen Reporter, der eine anfänglich­e Niederlage nicht hinnimmt. Und sie stattdesse­n in ein Meisterwer­k verwandelt.

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 ??  ?? Spätnachts mit Sinatra: Der Sänger kehrt 1965 bei einem Drive-in in Miami ein. Er war ein Mann, der es liebte, ständig seine Gang um sich zu haben
Spätnachts mit Sinatra: Der Sänger kehrt 1965 bei einem Drive-in in Miami ein. Er war ein Mann, der es liebte, ständig seine Gang um sich zu haben
 ??  ?? Spieglein, Spieglein an der Wand: Sinatra bindet sich die Fliege, für seinen abendliche­n Auftritt bei der Amtseinfüh­rungsparty für John F. Kennedy wird er gut aussehen. Seine Adjutanten im Statler Hilton stehen ihm helfend zur Seite, im Jänner 1961 in New York
Spieglein, Spieglein an der Wand: Sinatra bindet sich die Fliege, für seinen abendliche­n Auftritt bei der Amtseinfüh­rungsparty für John F. Kennedy wird er gut aussehen. Seine Adjutanten im Statler Hilton stehen ihm helfend zur Seite, im Jänner 1961 in New York
 ??  ?? Die Füße hoch und einfach nur Frank sein: Sinatra zu Hause in Palm Springs, 1965. An seiner Seite: Hund Ringo. Am Tisch: eine Schale Zigaretten. Dahinter: Buddha
Die Füße hoch und einfach nur Frank sein: Sinatra zu Hause in Palm Springs, 1965. An seiner Seite: Hund Ringo. Am Tisch: eine Schale Zigaretten. Dahinter: Buddha
 ??  ?? Habt Acht! Frank Sinatra schlägt die Trommel, während Joey Bishop, Dean Martin, Sammy Davis Jr. und Peter Lawford in einer Stirnreihe stehend salutieren: großer Bühnenspaß des Rat Packs im Sands Hotel, Las Vegas, 1960
Habt Acht! Frank Sinatra schlägt die Trommel, während Joey Bishop, Dean Martin, Sammy Davis Jr. und Peter Lawford in einer Stirnreihe stehend salutieren: großer Bühnenspaß des Rat Packs im Sands Hotel, Las Vegas, 1960
 ??  ?? Gay Talese: „Frank Sinatra Has a Cold“. Fotos von Phil Stern. Hardcover, 250 Seiten, 50 Euro. taschen.com
Gay Talese: „Frank Sinatra Has a Cold“. Fotos von Phil Stern. Hardcover, 250 Seiten, 50 Euro. taschen.com

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