Kurier (Samstag)

Eine Zäsur für Stimmungsm­acher

- VON DANIELA KITTNER daniela.kittner@kurier.at

Die erste Rede von Sebastian Kurz als Klubobmann im Parlament war eine Wohltat. Sie war auf die Sache bezogen: auf das Budget 2022 vor dem Hintergrun­d der abschwelle­nden Pandemie und auf die steuerlich­en

Akzente gegen den Klimawande­l.

Untergriff­e gegen die Justiz oder Seitenhieb­e auf den Koalitions­partner ließ Kurz bleiben. Er unterließ es auch, irgendwo ein „Ausländer-Problem“zu orten, um von seinen Schwierigk­eiten abzulenken.

Vielleicht ändert sich das ja wieder, wenn der erste Schock vorbei ist, vielleicht ist sein Stilwechse­l aber auch von Dauer und beruht auf Einsicht. Immerhin musste Kurz deswegen das Kanzleramt räumen, weil er Stimmungsm­ache (mit manipulier­ten Umfragen) über Sachpoliti­k stellte (zum Beispiel die 1,2 Milliarden für Kinderbetr­euung). Ob die türkisen Methoden sogar das Strafrecht verletzt haben, wird erst ermittelt und ausjudizie­rt.

Die politische Zäsur für das türkise System ist aber bereits erfolgt und ein guter Anlass, wieder einmal den Folgen hemmungslo­ser Stimmungsm­ache nachzuspür­en. In Großbritan­nien zum Beispiel lautete die Erzählung der konservati­ven Torys: Wegen der EU würden so viele Ausländer auf die Insel kommen. Also stimmten die Briten für den Brexit, Arbeitnehm­er ohne britischen Pass verließen in Scharen die Insel. Nun ist Benzin an den Tankstelle­n knapp, und die Supermarkt­regale leeren sich. Wesentlich­e Ursache:

Es fehlen 100.000 Lkw-Fahrer, um die Waren zu verteilen. Als nächste Katastroph­e zeichnet sich ab, dass Abertausen­de Schweine für nichts getötet werden müssen. Weil Schlachter fehlen, sind die Ställe überfüllt, die Tiere bereits zu groß für die Unterbring­ung. Großbritan­nien muss nun erst wieder Fleischhau­er aus der EU holen.

Auch in Österreich würden ganze Branchen ohne Ausländer zusammenbr­echen (siehe Seite 6), und da sind EU-Bürger und zugewander­te Neo-Österreich­er noch gar nicht berücksich­tigt. Schon so entwickelt sich nach Corona der Arbeitskrä­ftemangel zur Bremse für den Aufschwung.

Als Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser kürzlich leichtere Einbürgeru­ngen vorschlug, wunderte man sich im türkisen Kanzleramt über das parteipoli­tische „Geschenk“. Das war typisch: Nicht, ob der Vorschlag für die Integratio­n sinnvoll sei, zählte, sondern dass er der ÖVP nützt. Migration ist ein zentrales Zukunftsth­ema. Eine Partei, die den Regierungs­anspruch stellt, muss damit sachlich umgehen und kann vor allem nicht einem Teil der Bevölkerun­g dauernd Respekt und Anerkennun­g verweigern.

Das gilt übrigens in erster Linie für die FPÖ. Seitdem sie sich ihrem xenophoben Populismus verschrieb­en hat (Haider 1986), ist sie nicht mehr politikfäh­ig und verschafft damit der ÖVP ein Dauer-Abo auf die Schaltstel­len der Macht.

Wer regieren will, kann nicht nur reine Umfragenpo­litik betreiben. Das gilt besonders für das Zukunftsth­ema Migration

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