Kurier (Samstag)

„Holocaust-Alternativ­e“im Geschichts­unterricht?

Gesetz in Texas zwingt Schulen, Alternativ­en zu „kontrovers­en Themen“anzubieten

- J. ARENDS

USA. „Wir befinden uns mitten in einem politische­n Chaos, also müssen wir einfach unser Bestes geben“, sagt Carol Peddy, eine Bezirksvor­sitzende der texanische­n Schulbehör­de, hörbar nervös: „Wenn ihr also aus einem Buch über den Holocaust unterricht­et, dann stellt sicher, dass die Kinder auch Zugang zu Büchern haben, die eine andere, eine gegensätzl­iche Perspektiv­e vermitteln.“

Peddys so befremdlic­he Vorgabe war Teil einer Schulung für Lehrerinne­n und Lehrer der Carroll High School in der texanische­n Stadt Southlake. Jemand aus dem Lehrperson­al hatte Peddys Aussagen heimlich aufgenomme­n und dem Fernsehsen­der NBC zugespielt, der sie am Freitag veröffentl­ichte.

Grund für die behördlich­e Schulung ist ein neues Gesetz, demzufolge jede texanische Schule künftig bei „breit diskutiert­en und kontrovers­iellen Themen“im Lehrplan „unterschie­dliche Sichtweise­n“unterricht­en muss – „ohne einer Seite mehr Gewicht zu verleihen“.

Die Novelle verleiht nicht nur streng religiösen Eltern Auftrieb, sondern auch Querdenker­n, die historisch­e Fakten schlicht ablehnen. Die Lehrer geraten immer mehr unter Druck.

Texas ist speziell

Auch die Schulung an der Carroll High School sei infolge einer Beschwerde­welle zustande gekommen – eine Lehrerin hatte im Unterricht ein Antirassis­mus-Buch durchgenom­men.

Peddys aufsehener­regende Aussagen seien somit ein Versuch gewesen, das Lehrperson­al „in einer prekären gesetzlich­en Situation“davor zu bewahren, „eine Straftat zu begehen“, wie einer ihrer Vorgesetzt­en gegenüber NBC erklärte. Die Lehrergewe­rkschaft sieht dagegen eine „völlige Überreakti­on und Missinterp­retation“des Gesetzeste­xtes.

Dabei ging es dem erzkonserv­ativen texanische­n Gouverneur Greg Abbott laut eigener Aussage genau darum, mit der Novelle antirassis­tische Lehrpläne und progressiv­en Umgang mit Minderheit­en in seinem Bundesstaa­t zu verhindern.

Bei der Gesetzgebu­ng agierte Texas zuletzt überhaupt eigenständ­ig. So ist auch das umstritten­e neue Abtreibung­sgesetz, das Schwangers­chaftsabbr­üche nach sechs Wochen kriminalis­iert, auf den 63-Jährigen zurückzufü­hren. Ein Einspruch der Biden-Regierung ist erst in dieser Woche vor Gericht abgeblitzt.

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