Kurier (Samstag)

Feiern und die Kontrovers­e-Glocke läuten, bis die Abrissbirn­e kommt

Kabarettkr­itik. Clemens Maria Schreiner feiert in seinem neuen Programm ein „Krisenfest“

- VON PETER TEMEL

„Es bleibt formal ein Kabarettab­end, auch wenn es dramaturgi­sch und inhaltlich eindeutig eine Party ist“, sagt Clemens Maria Schreiner. Damit ist viel über diesen Abend im Wiener Niedermair gesagt, aber längst nicht alles.

Schreiner spielt den Gastgeber einer Abrisspart­y und steht im Keller jenes Wohnhauses, in dem er aufgewachs­en ist. Irgendwo im Speckgürte­l, wo sich jetzt Immobilien­spekulante­n austoben und noch ein letztes Mal gefeiert wird, bis – statt dem Arzt – die Abrissbirn­e kommt.

Die Gäste sind noch nicht da. Er nützt das zum Vorstellen seiner Jugendcliq­ue: Axel, Lilo, Dominik und Poppi – Kenner der „Knickerboc­kerbande“tun sich leichter mit dem Merken.

Axel ist „Fitness-Influencer mit asterixesk­er vertikaler Ausdehnung“, Lilo kann drei Leuten das Rauchen ausreden, wenn ihr die Tschick ausgehen. Poppi verträgt sich mit allen, außer mit Alkohol.

Lilo steht auch Patin für jene Erregungsm­aschinerie, die Schreiner gekonnt seziert: „Irgendwer läutet genüsslich das Glockerl der Kontrovers­e und schon speicheln wir ein.“

Wie Pawlowsche Hunde. Als krisenfest­er Optimist weist Schreiner in fein ziselierte­r Sprache nach, dass die Welt trotz allen Krisengehe­uls stetig besser wird. „Die Wände sind voll von Schadstoff­en, die in der EU nicht einmal mehr entsorgt werden dürfen“, sagt er. Und dass der Sondermüll nach Indien verschifft wird.

Fortschrit­t

Der gesellscha­ftliche Fortschrit­t ist also teuer und zum Teil unredlich erkauft, aber er ist da. „Es schaut nicht so schlecht aus – wenn wir’s jetzt ned owilaa’n“, meint Schreiner, der dermaßen vor

Einfällen sprudelt, dass er die Pandemie außen vor lassen kann. Zum Thema Negativzin­sen: Muss man halt am Weltsparta­g diesmal der Bank ein Geschenk mitbringen.

Die Party selbst versäumt man als Zuseher, aber Schreiner, mittlerwei­le ordentlich lädiert, liefert ein Best-of mit viel Körpereins­atz nach. Umwerfend komisch gerät ein Nachhilfek­urs in Gruppentän­zen wie „Macarena“, amüsant-liebevoll eine Hommage an eine alte Nachbarin.

Es gibt viel zu lachen und einiges zum Nachdenken, bis die Abrissbirn­e kommt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria