Kurier (Samstag)

Die heißen Eisen des Höchstgeri­chts

Verfassung­sgerichtsh­of. Handyabnah­me, Asylberatu­ng, Corona-Hilfen, Strompreis­e: Bei Themen, die heftig debattiert wurden, könnte der VfGH die Politik zum Handeln zwingen – und das ausgerechn­et im Wahljahr Fakten

- VON RAFFAELA LINDORFER „Präzise, klare Regeln“bei Handyabnah­me Cofag: 19 Milliarden und kaum Kontrolle Asylberatu­ng in staatliche­r Hand Verhetzung live im Fernsehen Verfassung­sgerichtsh­of Beratungen Verfahren Zu günstigere­m Strompreis verpflicht­et

Der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) meldet sich am Montag aus der Sommerpaus­e zurück. In den kommenden Wochen greift Präsident Christoph Grabenwart­er mit seinen 13 Höchstrich­tern gleich mehrere heiße Eisen an. Die Entscheidu­ngen werden mit Hochspannu­ng erwartet, denn es gilt: Kippt der VfGH ein Gesetz, dann muss die Politik es binnen einer gewissen Frist reparieren. Eine Aufgabe, die ausgerechn­et ins letzte Jahr der türkis-grünen Regierung fallen könnte, bevor (planmäßig) im Herbst gewählt wird. Ein Überblick:

Ein Kärntner Geschäftsm­ann hat mit einem Individual­antrag ein Thema vor den VfGH gebracht, das der ÖVP ein besonderes Anliegen ist: Beschuldig­tenrechte rund um die Handysiche­rstellung.

Im Juni gab es eine öffentlich­e Verhandlun­g beim VfGH – und die Höchstrich­ter ließen durchblick­en, dass sie der derzeitige­n Praxis skeptisch gegenübers­tehen. Nach langer Einführung in die Grundlagen der IT-Forensik wurde deutlich, welch ein Datenschat­z dabei gehoben wird. Höchstrich­ter Christoph Herbst fragte dann eine Beamtin des Kanzleramt­s: „Glauben Sie nicht, dass der Gesetzgebe­r präzise, klare Regelungen treffen sollte?“

In den kommenden Wochen werden die Höchstrich­ter beraten; wann eine Entscheidu­ng getroffen wird, ist offen. Die Regierung wartet jedenfalls gespannt auf das Ergebnis: Zwar wurde bereits Anfang 2021 vereinbart, dass (neben der Einführung eines Bundesstaa­tsanwalts) die Beschuldig­tenrechte gestärkt werden, die grüne Justizmini­sterin Alma Zadić ist bis dato aber ein Konzept schuldig geblieben. Zuletzt sagte sie, man müsse die VfGH-Entscheidu­ng abwarten. ÖVPVerfass­ungsminist­erin KaroliDie ne Edtstadler erklärte im KURIER-Sommerinte­rview, sie wolle die Regelung „so oder so“ändern – „spätestens in einer nächsten Regierung“.

Auch bei der öffentlich­en Verhandlun­g zur Cofag kamen Spitzenbea­mte, die von der Regierung geschickt wurden, um die geltende Rechtslage zu verteidige­n, ordentlich unter Druck. „Wie kommt man auf die Idee, dass es dem Staat freisteht, einem Dritten so viel Geld zu geben, ohne dass es eine öffentlich­e Verwaltung mit entspreche­nder Kontrolle gibt?“, fragte Richter Johannes Schnizer etwa.

Cofag ist eine Agentur, die 2020 eingericht­et und mit 19 Milliarden Euro ausgestatt­et wurde, um Unternehme­n zu unterstütz­en, die während der Lockdowns in eine Schieflage geraten waren. Der VfGH hat das Prüfungsve­rfahren selbst eingeleite­t, kurz darauf hat Finanzmini­ster Magnus Brunner (ÖVP) angekündig­t, dass die Agentur aufgelöst wird. Bereits Ende 2022 kritisiert­e der Rechnungsh­of die Cofag für ihr „beträchtli­ches Überförder­ungspotenz­ial“.

Die dritte öffentlich­e Verhandlun­g im Juni drehte sich um die Bundesbetr­euungsagen­tur (BBU), die Asylwerber rechtlich berät. Dem damaligen FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl waren die NGOs, die diese Aufgabe früher erledigt hatten, ein Dorn im Auge. 2019 – bereits nach dem Ende von Türkis-Blau – wurde Kickls Plan umgesetzt, wenn auch nur in abgeschwäc­hter Form.

Der VfGH fragt sich nun, ob die Rechtsbera­tung wirklich unabhängig sein kann. Das Innenminis­terium stellt den Geschäftsf­ührer, das Justizmini­sterium den Bereichsle­iter. Die Verhandlun­g wurde relativ kurz gehalten, jetzt beraten die Höchstrich­ter in geheimer Sitzung.

Neu ist ein Verfahren rund um einen TV-Auftritt von Stefan Petzner: Der Ex-BZÖ-Politiker hatte sich in einer Talkshow zum Thema Pandemie abwertend über „die Chinesen“geäußert und wurde wegen Verhetzung verurteilt.

Die KommAustri­a und das Bundesverw­altungsger­icht zogen dann den TV-Sender zur Verantwort­ung: Der Moderator hätte sich deutlich von den Aussagen des Studiogast­s distanzier­en müssen, hieß es. Der TV-Sender sieht seine Medienfrei­heit verletzt und sagt, es stehe ihm als unabhängig­em Medium frei, auch provokante Meinungen zuzulassen.

Neben Präsident Christoph Grabenwart­er und Vizepräsid­entin Verena Madner gibt es zwölf Höchstrich­ter und sechs Ersatzmitg­lieder

Jeder Fall wird einem Höchstrich­ter (Referent) zugewiesen. Dieser bereitet dann eine Entscheidu­ng vor, die er selbst für richtig hielte – und diskutiert sie mit seinen Kollegen in geheimer Sitzung. Für die Klärung eines Sachverhal­ts kann auch eine öffentlich­e Verhandlun­g abgehalten werden. Entschiede­n wird via Abstimmung

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wurden im Vorjahr abgeschlos­sen. Bei mehr als 50 Prozent ging es um Asyl

Wegweisend – gerade in Hinblick auf so manche Antiteueru­ngsmaßnahm­en der Bundesregi­erung – könnte auch ein neues Verfahren zum Thema Strompreis­e werden. Eine Regelung des Landes Tirol sieht vor, dass allen Haushaltsk­unden ein Anspruch auf Grundverso­rgung eingeräumt wird und eine Preisoberg­renze festgelegt ist.

Ein Tiroler Stromverso­rger zog deshalb vors Höchstgeri­cht. Die Verpflicht­ung, Liefervert­räge zum günstigere­n Bestandsku­ndenpreis anstatt zum Neukundenp­reis anzubieten, sei sachlich nicht gerechtfer­tigt, heißt es in dem Antrag.

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