Belohnung für Vielarbeiter mit Kindern
Steuern. Die Regierung musste noch 1,2 Mrd. Euro für 2024 umverteilen, die nach der partiellen Abschaffung der Kalten Progression übrig waren. Wer davon profitiert und wer nicht
Mit Jahresbeginn hat die Bundesregierung die Kalte Progression, eine Form der schleichenden Steuererhöhung, abgeschafft. Die Tarifgrenzen im Steuersystem werden nun jährlich an die Inflation, also die höheren Preise im Alltagsleben, angepasst. Der Referenzwert ist die Inflationsrate von Juli 2022 bis Juni 2023, die bei 9,9 Prozent lag. Insgesamt werden kommendes Jahr somit 3,6 Milliarden Euro rückverteilt.
Der türkis-grüne Mechanismus gleicht aber nicht die volle Kalte Progression automatisch aus, sondern nur zwei Drittel der Inflationsrate – 2024 also 6,6 Prozent. Das verbleibende „variable Drittel“muss die Regierung für weitere Steuerreformen verwenden. Dabei handelt es sich für 2024 um 1,2 Milliarden Euro. Wie dieses „variable Drittel“umverteilt werden soll, verkündeten Bundeskanzler Karl Nehammer, Finanzminister Magnus Brunner (beide ÖVP) und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) am Freitag. Die Schwerpunkte liegen diesmal auf Geringverdienern, Vielarbeitern und Familien. Die Maßnahmen im Detail:
• Mit 800 Millionen Euro werden die unteren vier Tarifstufen noch stärker erhöht – für Erwerbstätige und auch Pensionisten. Die erste Tarifstufe wird statt 6,6 um 9,6 Prozent angepasst. Das heißt: Künftig sind die ersten 12.816 Euro des Jahreseinkommens nicht mehr steuerpflichtig (siehe Grafik). Geringstverdienern wird also beinahe die gesamte Kalte Progression ausgeglichen. Die zweite Tarifstufe wird um 8,8, die dritte um 7,6 und die vierte noch um 7,3 Prozent angepasst. Darüber hinaus gelten nur noch 6,6 Prozent. Und: Ab der Summe von einer Million Euro werden Jahreseinkommen nicht mehr automatisch valorisiert. Die Absetzbeträge – vom Verkehrs- bis zum Pensionistenabsetzbetrag – werden zudem zur Gänze an die Inflationsrate angepasst.
• Wer mehr arbeitet, soll davon steuerlich profitieren. Auch deshalb bezeichnet Nehammer die Einigung als „Leistungspaket“. Um die Leistung von Überstunden zu belohnen, soll der monatlich steuerfreie Betrag deshalb dauerhaft von 86 Euro auf 120 Euro angehoben werden. Für 2024 und 2025 ist
ABSCHAFFUNG DER KALTEN PROGRESSION Einkommensteuer-Tarifgrenzen in Euro bis 11.693 bis 19.134 bis 32.075 bis 62.080 bis 93.120 ab 93.120 ab 1 Mio. +7,6% +7,3% +6,6% +6,6% unverändert
Steuersatz 0% 20%
WIE STARK DIE KALTE PROGRESSION 2024 AUSGEGLICHEN WIRD in Euro nach Bruttomonatseinkommen
Kalte Progression
Geringverdienern wird beinahe die gesamte kalte Progression ausgeglichen +9,6% +8,8% ab 2024 12.816 20.818 34.513 66.612 99.266 99.266
Ausgleich offiziell 30% 40% 48% 50% 55% sogar noch mehr möglich: Zeitlich befristet wird der monatliche Freibetrag für 18 Überstunden auf 200 Euro im Monat erhöht. Der monatliche Freibetrag für Zuschläge an Sonn- und Feiertagen, bei Nachtarbeit, sowie die Gefahren-, Schmutz- und Erschwerniszulage werden auf 400 Euro erhöht.
• Neben den Erwerbstätigen will die Regierung auch Familien besonders unterstützen. Der Kindermehrbetrag, den Familien mit niedrigem Einkommen erhalten, steigt von derzeit 550 auf 700 Euro im Jahr. Verdoppelt wird zudem der steuerfreie Arbeitgeberzuschusses zur Kinderbetreuung von 1.000 auf 2.000 Euro. Weiterer Teil des türkis-grünen Pakets: Künftig sollen Kinder Betriebskindergärten auch dann begünstigt oder kostenlos besuchen dürfen, wenn ihre Eltern nicht in diesem Betrieb arbeiten.
• Die Regierung verlängert die 2021 befristet eingeführte Homeoffice-Regelung für Arbeitnehmer dauerhaft. Sie bringt pro Person bis zu 300 Euro jährlich.
• Der steuerfreie Betrag auf Gewinne soll von 30.000 auf 33.000 Euro angehoben werden. Wirtschaftsvertreter zeigten sich darüber erfreut.
Singles als Verlierer
Ökonom Dénes Kucsera vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria lobt die steuerliche Begünstigung von Überstunden und Familien. Aber: „Wenn die Regierung wirklich eine Steuerreform machen will, muss sie die Kalte Progression zur Gänze abschaffen und die anderen Maßnahmen zusätzlich setzen“, sagt Kucsera zum KURIER. Ein Single, der 3.600 Euro verdiene, bekomme etwa 100 Euro weniger, als wenn die Kalte Progression komplett abgeschafft worden wäre, kritisiert Kucsera: „Außer jenen, die Überstunden leisten oder Kinder haben, werden alle belastet.“
Fiskalratspräsident Christoph Badelt hält das Paket gegenüber Ö1 für „sehr vernünftig“, bleibt aber bei seiner Grundsatzkritik: Die Abschaffung der Kalten Progression verringere den Spielraum im Budget. Die SPÖ spricht von einem „Trostpflaster“, die FPÖ von einem „Taschenspielertrick“, und auch die Neos sehen nur den „überfälligen Verzicht auf eine zusätzliche Belastung“.