„Dumme Debatte über die Festung Europa“
Interview. Als Vorsitzender der EVP, der stärksten Fraktion im EU-Parlament, ist Manfred Weber einer der wichtigsten Stimmen der EU – in Kernfragen für Europa, von der Migration bis zum Konflikt mit China Fakten
Die EU steht vor einem heiklen Wahljahr, und sie steckt mitten in heftigen Debatten: Vom Green Deal, dem Großprojekt im Kampf gegen den Klimawandel, über das Migrationsund Asylpaket bis hin zum Umgang mit China und seiner aggressiven Handelspolitik. Beschlüsse liegen auf dem Tisch – doch eine Einigung scheint oft weit entfernt. Als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei EVP ist Manfred Weber eine der wichtigsten Stimmen in diesen Debatten.
KURIER: Vor der Europawahl 2024 haben wieder die europaskeptischen Rechtspopulisten das Sagen. Warum kommt Europa bei den Menschen nur negativ an?
Weber: Es hakt immer noch dabei, den Menschen, die EU und ihre Bedeutung zu vermitteln. Auch weil wir in den Hauptstädten teilweise nur noch Politik spielen. Da führen wir Debatten, während wir wissen, das kann man in manchen Ländern gar nicht mehr entscheiden. Die Grundsatzfrage für die Europawahl 2024 wird sein: Wie geht es mit Europa weiter, glauben wir an das Projekt, stehen wir dazu, ja, oder nein?
Für die EVP gilt: Das heutige Europa ist unser Europa, und wir werden uns dieses Europa von Rechtsradikalen nicht kaputt machen lassen. Es gibt auch kein Ersatzeuropa. Jeder muss wissen, wenn dieses Europa scheitert, scheitert die Idee der Zusammenarbeit.
Das Dauerthema Migration droht auch diese Wahl zu bestimmen. Ein Ass für die Rechtspopulisten?
Aktuell haben wir in der EU so viele Flüchtlinge aufgenommen wie noch nie in unserer Geschichte. Allein die Millionen an Ukrainern, die derzeit Obdach finden. Das zeigt, wie dumm die Debatte über die Festung Europa ist. Auf der anderen Seite weiß jeder, dass wir an unseren Außengrenzen für Ordnung sorgen und die Zuwanderung begrenzen und steuern müssen. Das geht nur mit unseren Nachbarn, also etwa mit Tunesien. Die Einigung der EUInnenminister für ein Migrationsund Asylpaket ist eine gute Grundlage. Jetzt liegt es daran, ob die Linken, vor allem die Grünen, ob die wirklich europäisch denken.Wenn die nicht bereit sind, diesen Kompromiss zu akzeptieren, droht dieses historische Zeitfenster für eine Einigung zuzugehen. Wenn wir bei Migration keine Lösung finden, werden wir nur radikale Kräfte stärken.
Auch der EVP wirft man vor, den Rechtspopulisten oft zu nahe zu kommen
Ich habe drei Grundprinzipien für die Zusammenarbeit mit anderen Parteien definiert: Pro-Europa, ProUkraine, Pro-Rechtsstaat. Da braucht keiner Sorge haben, wir stehen zu dem, was uns ausmacht. Le Pen in Frankreich, PiS in Polen und AfD in Deutschland können für uns keine Partner sein.
Sie kritisieren den Green Deal. Stehen Sie dahinter?
Die EVP hat den Green Deal immer unterstützt. Wir wollen, dass er funktioniert. Für meine Generation ist das eine moralische Verpflichtung.
Aber es muss möglich sein, über den Weg dorthin zu diskutieren. Wir haben das Aus für den Verbrennungsmotor nicht unterstützt, denn wir glauben, dass Technologieoffenheit richtig ist, um die Ziele zu erreichen. Nicht Politiker legen die Technologie fest, sondern Ingenieure. Das Zweite ist das Umweltrenaturierungsgesetz. Auch österreichische Landespolitiker kommen zu mir und sagen: Wie soll ich zehn Prozent der Landesfläche der Natur überlassen? Lasst uns demokratisch streiten, aber lasst uns auch unsere Aufgabe meistern. Wir zeigen, dass es nicht nur theoretisch gute Ziele gibt, sondern auch, dass man sie mit den Bauern, mit der kann.
Industrie umsetzen
Muss man im Konflikt mit China mehr Härte zeigen?
Wir dürfen nicht naiv sein. Wenn Staatszuschüsse in China den Markt verzerren, im Autobereich oder bei Windkraft, dann müssen wir uns wehren. Ich möchte nicht, dass der Green Deal Arbeitsplätze in China schafft, sondern in Europa. Wir müssen die Abhängigkeiten von China reduzieren, mit anderen Teilen der Welt, vor allem mit den Demokratien eng zusammenarbeiten. Ich möchte eine Freihandelszone der Demokratien, mit Australien, mit Japan mit Indien,
Der Bayer Manfred Weber ist in der CSU politisch groß geworden, ist aber seit 2004 im EUParlament. Bei der Europawahl 2019 war er Spitzenkandidat der EVP, musste aber Ursula von der Leyen beim Posten des Kommissionsvorsitzenden Platz machen
Weber hat in letzter Zeit Kritik an der EUKlimapolitik geübt. Er tritt etwa für einen Green Deal „mit Augenmaß“ein, bei dem Interessen der Bauern und der Industrie stärker berücksichtigt werden. Dem EURenaturierungsgesetz, durch das zehn Prozent der Fläche wieder der Natur überlassen werden sollen, haben er und die EVP nicht zugestimmt. Er fand aber keine Mehrheit mit Südamerika. Wir werden den Wohlstand nicht halten, wenn wir nicht weiter neue Handelsverträge abschließen, abgewogen und durchdacht.
Wird die Ukraine eines Tages EU-Mitglied?
Wir müssen unsere historische Aufgabe wahrnehmen. Das heißt, der westliche Balkan muss zur Union kommen, damit wir nicht weiter Frustration erzeugen. Wir können unsere Stabilität exportieren, oder die Instabilität nach Europa importieren. Das gleiche gilt für Moldau und die Ukraine: Eine klare Zusage, dass wir auch diese beiden Staaten aufnehmen, das ist im tiefsten europäischen Interesse.