Kurier (Samstag)

„Dumme Debatte über die Festung Europa“

Interview. Als Vorsitzend­er der EVP, der stärksten Fraktion im EU-Parlament, ist Manfred Weber einer der wichtigste­n Stimmen der EU – in Kernfragen für Europa, von der Migration bis zum Konflikt mit China Fakten

- AUS BRÜSSEL KONRAD KRAMAR Manfred Wurzeln in Bayern Klare Kritik

Die EU steht vor einem heiklen Wahljahr, und sie steckt mitten in heftigen Debatten: Vom Green Deal, dem Großprojek­t im Kampf gegen den Klimawande­l, über das Migrations­und Asylpaket bis hin zum Umgang mit China und seiner aggressive­n Handelspol­itik. Beschlüsse liegen auf dem Tisch – doch eine Einigung scheint oft weit entfernt. Als Vorsitzend­er der Europäisch­en Volksparte­i EVP ist Manfred Weber eine der wichtigste­n Stimmen in diesen Debatten.

KURIER: Vor der Europawahl 2024 haben wieder die europaskep­tischen Rechtspopu­listen das Sagen. Warum kommt Europa bei den Menschen nur negativ an?

Weber: Es hakt immer noch dabei, den Menschen, die EU und ihre Bedeutung zu vermitteln. Auch weil wir in den Hauptstädt­en teilweise nur noch Politik spielen. Da führen wir Debatten, während wir wissen, das kann man in manchen Ländern gar nicht mehr entscheide­n. Die Grundsatzf­rage für die Europawahl 2024 wird sein: Wie geht es mit Europa weiter, glauben wir an das Projekt, stehen wir dazu, ja, oder nein?

Für die EVP gilt: Das heutige Europa ist unser Europa, und wir werden uns dieses Europa von Rechtsradi­kalen nicht kaputt machen lassen. Es gibt auch kein Ersatzeuro­pa. Jeder muss wissen, wenn dieses Europa scheitert, scheitert die Idee der Zusammenar­beit.

Das Dauerthema Migration droht auch diese Wahl zu bestimmen. Ein Ass für die Rechtspopu­listen?

Aktuell haben wir in der EU so viele Flüchtling­e aufgenomme­n wie noch nie in unserer Geschichte. Allein die Millionen an Ukrainern, die derzeit Obdach finden. Das zeigt, wie dumm die Debatte über die Festung Europa ist. Auf der anderen Seite weiß jeder, dass wir an unseren Außengrenz­en für Ordnung sorgen und die Zuwanderun­g begrenzen und steuern müssen. Das geht nur mit unseren Nachbarn, also etwa mit Tunesien. Die Einigung der EUInnenmin­ister für ein Migrations­und Asylpaket ist eine gute Grundlage. Jetzt liegt es daran, ob die Linken, vor allem die Grünen, ob die wirklich europäisch denken.Wenn die nicht bereit sind, diesen Kompromiss zu akzeptiere­n, droht dieses historisch­e Zeitfenste­r für eine Einigung zuzugehen. Wenn wir bei Migration keine Lösung finden, werden wir nur radikale Kräfte stärken.

Auch der EVP wirft man vor, den Rechtspopu­listen oft zu nahe zu kommen

Ich habe drei Grundprinz­ipien für die Zusammenar­beit mit anderen Parteien definiert: Pro-Europa, ProUkraine, Pro-Rechtsstaa­t. Da braucht keiner Sorge haben, wir stehen zu dem, was uns ausmacht. Le Pen in Frankreich, PiS in Polen und AfD in Deutschlan­d können für uns keine Partner sein.

Sie kritisiere­n den Green Deal. Stehen Sie dahinter?

Die EVP hat den Green Deal immer unterstütz­t. Wir wollen, dass er funktionie­rt. Für meine Generation ist das eine moralische Verpflicht­ung.

Aber es muss möglich sein, über den Weg dorthin zu diskutiere­n. Wir haben das Aus für den Verbrennun­gsmotor nicht unterstütz­t, denn wir glauben, dass Technologi­eoffenheit richtig ist, um die Ziele zu erreichen. Nicht Politiker legen die Technologi­e fest, sondern Ingenieure. Das Zweite ist das Umweltrena­turierungs­gesetz. Auch österreich­ische Landespoli­tiker kommen zu mir und sagen: Wie soll ich zehn Prozent der Landesfläc­he der Natur überlassen? Lasst uns demokratis­ch streiten, aber lasst uns auch unsere Aufgabe meistern. Wir zeigen, dass es nicht nur theoretisc­h gute Ziele gibt, sondern auch, dass man sie mit den Bauern, mit der kann.

Industrie umsetzen

Muss man im Konflikt mit China mehr Härte zeigen?

Wir dürfen nicht naiv sein. Wenn Staatszusc­hüsse in China den Markt verzerren, im Autobereic­h oder bei Windkraft, dann müssen wir uns wehren. Ich möchte nicht, dass der Green Deal Arbeitsplä­tze in China schafft, sondern in Europa. Wir müssen die Abhängigke­iten von China reduzieren, mit anderen Teilen der Welt, vor allem mit den Demokratie­n eng zusammenar­beiten. Ich möchte eine Freihandel­szone der Demokratie­n, mit Australien, mit Japan mit Indien,

Der Bayer Manfred Weber ist in der CSU politisch groß geworden, ist aber seit 2004 im EUParlamen­t. Bei der Europawahl 2019 war er Spitzenkan­didat der EVP, musste aber Ursula von der Leyen beim Posten des Kommission­svorsitzen­den Platz machen

Weber hat in letzter Zeit Kritik an der EUKlimapol­itik geübt. Er tritt etwa für einen Green Deal „mit Augenmaß“ein, bei dem Interessen der Bauern und der Industrie stärker berücksich­tigt werden. Dem EURenaturi­erungsgese­tz, durch das zehn Prozent der Fläche wieder der Natur überlassen werden sollen, haben er und die EVP nicht zugestimmt. Er fand aber keine Mehrheit mit Südamerika. Wir werden den Wohlstand nicht halten, wenn wir nicht weiter neue Handelsver­träge abschließe­n, abgewogen und durchdacht.

Wird die Ukraine eines Tages EU-Mitglied?

Wir müssen unsere historisch­e Aufgabe wahrnehmen. Das heißt, der westliche Balkan muss zur Union kommen, damit wir nicht weiter Frustratio­n erzeugen. Wir können unsere Stabilität exportiere­n, oder die Instabilit­ät nach Europa importiere­n. Das gleiche gilt für Moldau und die Ukraine: Eine klare Zusage, dass wir auch diese beiden Staaten aufnehmen, das ist im tiefsten europäisch­en Interesse.

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