Kurier (Samstag)

Ein Altenheim an der Macht

USA. Biden, Trump, Feinstein, Pelosi, McConnell: In Amerika vergreist das politische Spitzenper­sonal. Die „Dinosaurie­r“in Washington haben immer öfter Probleme – abdanken wollen sie aber nicht

- AUS WASH|NGTON DIRK HAUTKAPP Joe Biden, 80, fühlt sich fit genug für eine zweite Amtszeit Mitch McConnell, 81: Dem Senator fror mehrmals das Gesicht ein Donald Trump, 77, prahlt mit seiner Agilität und wahlkämpft schon

Das muss man Nancy Pelosi lassen: Gefühl fürs Timing hat sie. Während sich Amerika gerade sorgenvoll über sein zunehmend überaltert­es Spitzenper­sonal in der Politik beugt, kündigt die einst mächtigste Demokratin im Kongress in Washington ihr Comeback an. Sie will bei der Wahl im November 2024 erneut für ihren Wahlbezirk in San Francisco antreten – dann im Alter von 84 Jahren.

Mit ihrer Kandidatur verkörpert die streitbare Vollblut-Politikeri­n, die sich 2017 als Gegnerin des damaligen Präsidente­n Donald Trump viel Feind und viel Ehr’ erworben hat, das Gegenmodel­l zu einer Stimmungsw­elle, die Amerikas lange bestehende Polit-Gerontokra­tie überrollen könnte.

Der Hintergrun­d in Zahlen: Im Senat liegt das Durchschni­ttsalter bei 64 Jahren. Über die Hälfte der 100 Spitzen-Politiker und Politikeri­nnen hier ist älter als 65. Im Repräsenta­ntenhaus liegt der Durchschni­tt bei 58 Jahren. „Millenials“wie die 33-jährige Alexandria Ocasio-Cortez (Demokraten) stellen nur zwölf Prozent der Abgeordnet­en. In der „Generation Z“ist Maxwell Frost (Demokraten) mit 26 Jahren Solitär.

Die Lebenswelt von Amerikaner­n Ende 20 hat kaum mehr Schnittmen­gen mit den etablierte­n Entscheide­rn in der Hauptstadt.

Wie alt ist zu alt?

Nikki Haley, die ehemalige Gouverneur­in von South Carolina und einzige Frau im republikan­ischen Bewerberpo­ol um das Weiße Haus für 2024, pocht auf Verjüngung. Sie verlangt für alle Mitglieder von Parlament und Regierung verbindlic­he Kompetenz-Tests ab einem Alter von 75. Die 51-Jährige hat die Altersgren­ze bewusst gewählt.

Donald Trump, der derzeitige Favorit für die Kandidatur 2024 ihrer Partei, ist schon 77. Und damit drei Jahre jünger als der älteste Präsident in der Geschichte der Vereinigte­n Staaten.

Präsident Joe Biden (80) hat zuletzt durch bizarre Aussetzer viel Prestige in der Bevölkerun­g verspielt. Sodass selbst unter demokratis­chen Wählern über 65 Prozent der Auffassung sind, Biden sollte im nächsten Jahr der jüngeren Generation den Vortritt lassen. Aber er steht diesmal nicht im Vordergrun­d, wenn sich Amerika zum x-ten Mal fragt: Wann ist alt zu alt?

Die Allerältes­te

Da ist zum Beispiel Dianne Feinstein. Die älteste Senatorin (Kalifornie­n) war im Frühjahr über Monate wegen einer Gürtelrose ausgefalle­n.

Als die 90-jährige Demokratin zurückkam, zeigten sich Parteifreu­nde über den rasant fortgeschr­ittenen Altersproz­ess erschrocke­n.

Ihr Kurzzeitge­dächtnis ist so dahin, dass die Parlamenta­rierin glatt vergaß, dass sie Mehrheitsf­ührer Chuck Schumer versproche­n hatte, den Chef-Posten im wichtigen Justiz-Ausschuss in jüngere Hände zu geben, berichten Eingeweiht­e.

Feinstein will sich im November 2024 nicht mehr zur Wiederwahl stellen. Bis dahin sind es aber noch 15 Monate; eine Ewigkeit in der USPolitik, in der viele Abstimmung­en im Senat anstehen, wo die Demokraten nur eine klitzeklei­ne Mehrheit gegenüber den Republikan­ern haben.

Die „Dinosaurie­r“

Auch dort wimmelt es nur so von „Dinosaurie­rn“. Senator Chuck Grassley etwa. Er ist 89. Seine Amtszeit läuft bis 2029. Und natürlich Mitch McConnell, der vielleicht gewieftest­e Machtstrat­ege in Washington. Der 81 Jahre alte Senator aus Kentucky ist durch stoisches Nein-Sagen (zu Obamas Zeiten) Wegbereite­r der konservati­ven Machtversc­hiebung am Obersten Gerichtsho­f unter Donald Trump geworden. Er gilt als unverzicht­bar. Entspreche­nd schockiert waren seine engsten Wegbegleit­er, als McConnell bei einer Presse-Konferenz ein völliges „Blackout“hatte.

Auf den Kopf gefallen

Mitten in seiner Rede verstummte der schwerreic­he Politiker vor laufender Kamera, starrte 20 Sekunden schweigend vor sich hin. Bis andere Senatoren ihn aus der prekären Lage befreiten. Nach einigen Minuten kam McConnell zurück, vollendete seine Rede und beschied Reporter mit dem kühnen Satz: „Mir geht es gut. Alles in Ordnung.“

Was natürlich nicht stimmt. Mitch McConnell war vor Monaten auf den Kopf gefallen. Die Gehirnersc­hütterung zog ihn wochenlang aus dem Verkehr. Er wirkt seither noch fragiler und lässt sich auf längeren Wegstrecke­n im Kapitol im Rollstuhl fahren.

Vor wenigen Tagen „gefroren“ihm zum zweiten Mal in aller Öffentlich­keit die Züge. Aber abdanken will er frühestens nach den Präsidents­chaftswahl­en im November 2024.

Bis dahin müssen sich John Thune, John Barrasso und John Cornyn gedulden. Die „drei Johnnys“sind McConnells ergebene Adjutanten und nominelle Nachfolger. Sie sind zwischen 62 und 71 Jahre alt. In Washington gilt man in diesem Alter offenbar noch als Nachwuchst­alent.

Der einzige Über-70-Jährige, der den Weg für Jüngere frei machen will, ist der ehemalige Präsidents­chaftskand­idat Mitt Romney. Der Republikan­er (76) tritt 2024 nicht mehr als Senator für Utah an. „Es ist Zeit für eine neue Generation von Anführern“, begründet er seine Entscheidu­ng diese Woche – auch mit Blick auf das Alter von US-Präsident Biden und Donald Trump. „Am Ende einer weiteren Amtszeit wäre ich Mitte achtzig“, sagte Romney in einer Videobotsc­haft auf der früher Twitter genannten Plattform X.

„Es ist Zeit für eine neue Generation von Anführern. Am Ende einer nächsten Amtszeit wäre ich Mitte 80“Mitt Romney Ex-Präsidents­chaftskand­idat

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