Wer oder was ist Bharat?
Indiens neuer Name. Hindunationalisten stören sich am Landesnamen Indien und wollen einen mythologischen König zum Namenspatron machen. Und das hat viel mit dem muslimischen und kolonialen Erbe zu tun
Tage setzte er sich auf dem G20-Gipfel als Führer des Globalen SüdensinSzeneundbefeuerteGerüchte, dass Indien schon bald Bharat heißen könnte.
Martin Gaenszle vom Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde der Uni Wien sieht dahinter Bestrebungen der Regierung, die Hindu-Identität in den Vordergrund zu stellen. „Man versucht, ganz viele Teile der Geschichte umzuschreiben.“Indien sei noch immer zu stark von der britischen Kolonialzeit geprägt, lautet die Argumentation der hindunationalistischen Regierung. Der Indien-Kenner weiter: „Auch, dass Muslime eine bedeutende Rolle in Indiens Historie gespielt haben, wird möglichst verschwiegen. Daher werden Straßen umbenannt. Mogulkaiser werden rausgenommenundgegenHinduKönige ausgetauscht. Das ist eine ganz eigenwillige
DerNameBharatistbereitsjetzt am Subkontinent omnipräsent. „König Bharat wird als eine Art Urvater angesehen“, erklärt Gaenszle. Und wir lernen: „Bharat, der mythologische König, wird mit kurzem A gesprochen, aber Bhārat – mit langem A – steht für die Nachkommen und das Land. Im Grunde ist Bhārat die Übersetzung des Wortes ,Indien’ in die Hindi-Sprache.“Sogar in der Verfassung ist er längst verankert.
Geschichtsinterpretation“.
„India, that is Bharat“
In Artikel 1 steht: „India, that is Bharat, shall be a Union of States“(Indien, d.h. Bharat, soll ein Staatenbund sein). Alle offiziellen Dokumente in englischer Sprache tragen den Namen Indien. In Dokumenten, die in Hindi veröffentlicht werden, steht Bharat statt Indien.
Wobei das Land mit den heute meisten Einwohnern der Welt im Laufe seiner Historie bereits viele Namen hatte: Herodot nannte es 440 v. Chr. „India“; das Alte Testament sprach etwa später von „Hodu“; eine Sanskrit-Abhandlung aus der Zeit um 200 v. Chr. brachte den Namen „Jambudvīpa“, wörtlich Beereninsel auf; ehe das Land, das nördlich des Ozeans und südlich der schneebedeckten Berge liegt, Bhārata genannt wurde; dort leben die Nachkommen von Bharat.“Den Namen „Hind“– „Hindu“war die altpersische Adaption von „Sindhu“und ist bis heute im Wort Hindustan erhalten – brachte dann der islamische Geograf Istakhri um 950 auf, ehe die Briten wieder zu „India“zurückkehrten.
Der Name „Indien“leitet sich also ursprünglich von einem Sanskrit-Wort ab und kam dann über den Umweg der Perser und Griechen, die das Wort benutzt haben, auf den Subkontinent zurück. Im AltenglischentauchtderBegriffbereits im 9. Jahrhundert auf und wird im 17. Jahrhundert im modernen Englisch wiederentdeckt.
Wird also nicht ganz einfach, die Welt vom Standpunkt der Nationalisten zu überzeugen, dass „India“ein kolonialer Begriff ist und Indiens Vergangenheit nur auf einer ehrwürdigen hinduistischen Zivilisation gründet, die es wiederzubeleben gilt. Fakt ist aber auch,sagtGaenszle,dass„dasWort Indien als fremdländisch wahrgenommen wird, während Bharat sehr stark mit dem Hinduismus verknüpft ist“.
Weil das Land zwar mehrheitlich hinduistisch aber gleichzeitig multireligiös ist, könnte in diesem Punkt das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen sein.