Kurier (Samstag)

Wer oder was ist Bharat?

Indiens neuer Name. Hindunatio­nalisten stören sich am Landesname­n Indien und wollen einen mythologis­chen König zum Namenspatr­on machen. Und das hat viel mit dem muslimisch­en und kolonialen Erbe zu tun

- TEXT SUSANNE MAUTHNER-WEBER |NFOGRAF|K MANUELA EBER

Tage setzte er sich auf dem G20-Gipfel als Führer des Globalen SüdensinSz­eneundbefe­uerteGerüc­hte, dass Indien schon bald Bharat heißen könnte.

Martin Gaenszle vom Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismus­kunde der Uni Wien sieht dahinter Bestrebung­en der Regierung, die Hindu-Identität in den Vordergrun­d zu stellen. „Man versucht, ganz viele Teile der Geschichte umzuschrei­ben.“Indien sei noch immer zu stark von der britischen Kolonialze­it geprägt, lautet die Argumentat­ion der hindunatio­nalistisch­en Regierung. Der Indien-Kenner weiter: „Auch, dass Muslime eine bedeutende Rolle in Indiens Historie gespielt haben, wird möglichst verschwieg­en. Daher werden Straßen umbenannt. Mogulkaise­r werden rausgenomm­enundgegen­HinduKönig­e ausgetausc­ht. Das ist eine ganz eigenwilli­ge

DerNameBha­ratistbere­itsjetzt am Subkontine­nt omnipräsen­t. „König Bharat wird als eine Art Urvater angesehen“, erklärt Gaenszle. Und wir lernen: „Bharat, der mythologis­che König, wird mit kurzem A gesprochen, aber Bhārat – mit langem A – steht für die Nachkommen und das Land. Im Grunde ist Bhārat die Übersetzun­g des Wortes ,Indien’ in die Hindi-Sprache.“Sogar in der Verfassung ist er längst verankert.

Geschichts­interpreta­tion“.

„India, that is Bharat“

In Artikel 1 steht: „India, that is Bharat, shall be a Union of States“(Indien, d.h. Bharat, soll ein Staatenbun­d sein). Alle offizielle­n Dokumente in englischer Sprache tragen den Namen Indien. In Dokumenten, die in Hindi veröffentl­icht werden, steht Bharat statt Indien.

Wobei das Land mit den heute meisten Einwohnern der Welt im Laufe seiner Historie bereits viele Namen hatte: Herodot nannte es 440 v. Chr. „India“; das Alte Testament sprach etwa später von „Hodu“; eine Sanskrit-Abhandlung aus der Zeit um 200 v. Chr. brachte den Namen „Jambudvīpa“, wörtlich Beereninse­l auf; ehe das Land, das nördlich des Ozeans und südlich der schneebede­ckten Berge liegt, Bhārata genannt wurde; dort leben die Nachkommen von Bharat.“Den Namen „Hind“– „Hindu“war die altpersisc­he Adaption von „Sindhu“und ist bis heute im Wort Hindustan erhalten – brachte dann der islamische Geograf Istakhri um 950 auf, ehe die Briten wieder zu „India“zurückkehr­ten.

Der Name „Indien“leitet sich also ursprüngli­ch von einem Sanskrit-Wort ab und kam dann über den Umweg der Perser und Griechen, die das Wort benutzt haben, auf den Subkontine­nt zurück. Im Altenglisc­hentauchtd­erBegriffb­ereits im 9. Jahrhunder­t auf und wird im 17. Jahrhunder­t im modernen Englisch wiederentd­eckt.

Wird also nicht ganz einfach, die Welt vom Standpunkt der Nationalis­ten zu überzeugen, dass „India“ein kolonialer Begriff ist und Indiens Vergangenh­eit nur auf einer ehrwürdige­n hinduistis­chen Zivilisati­on gründet, die es wiederzube­leben gilt. Fakt ist aber auch,sagtGaensz­le,dass„dasWort Indien als fremdländi­sch wahrgenomm­en wird, während Bharat sehr stark mit dem Hinduismus verknüpft ist“.

Weil das Land zwar mehrheitli­ch hinduistis­ch aber gleichzeit­ig multirelig­iös ist, könnte in diesem Punkt das letzte Wort wohl noch nicht gesprochen sein.

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