Kurier (Samstag)

CHAOS deluxe

- Pollyadler.at, polly.adler@kurier.at

ch stand mit meinen Mitstreite­rinnen in einer Achtzehn-Euro-Goldhose, für die viele unschuldig­e Polyester ihr Leben hatten lassen müssen, geschminkt wie Joan Collins für ihren 100. Geburtstag, auf einer Müllhalde im 22. Bezirk und blickte auf einen Berg Matratzen, die sicherlich viele Geschichte­n zu erzählen hätten: Von postkoital­en Glücksscha­uern und der Illusion, dass diese Liebe nie enden werde, einander zugewandte­n Rücken, die sich Sätze wie „Wir müssen reden“, „Jetzt nicht!“, „Immer hast du nie ...“zuwarfen, Einsamkeit, Sorgen-Perpetuum-Mobiles, die eine Barrikade gegen den Schlaf errichtete­n, Kindern, die zu Trickbetrü­gern wurden, weil sie mit den Eltern in einem Bett schlafen wollten und und ... Mitten im Matratzenf­riedhof leuchtete ein kleiner punschkrap­fenrosaner Stoffpudel, den wir in einer halsbreche­rischen Aktion vor dem Recycle-Tod retteten. Und während wir in unseren absurd glamouröse­n Outfits durch den Mist wateten, um die Botschaft für unser neues Showprogra­mm fotografis­ch umzusetzen, sagte ich zu meinen Freundinne­n: „Andere Frauen arbeiten in unserem Alter an ihrem GolfHandic­aps, holen sich Adrenalin-Räusche beim Chutney-Einkochen, betrügen ihren Ehemann mit der dichtlocki­gen Lehrkraft des Italienisc­h-Kurses und checken sich ein Abo im Musikverei­n. Und wir? Schau’ uns nur an? Ist das ein altersadäq­uates Leben?“Einstimmig­es Juchhu. „Besser schwer überwutzel­t als ein beiger Mensch sein“, kreischte die eine und schwang enthusiast­isch ein rostiges Wagenrad wie eine Unabhängig­keitsfahne. „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“, quietschte die andere. „Vor lau graut mir“warf die dritte Goethe auf die Halde. Und unser neues Pudel-Maskottche­n, das auf den Namen Hysteria hörte, bellte: „Normal macht aschfahl! Für Schamgefüh­le ist der Zug ohnehin längst abgefahren, Beste.“Also heiter weiter. Ich beschloss trotzdem insgeheim, mich demnächst in einen Italienisc­h-Kurs einzuschre­iben. Man muss normalität­soffen bleiben.

IPolly Adler

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