Kurier (Samstag)

„DER LIEBE WEGEN SIND WIR DA“

Wie geht’s nach dem Happy End weiter? Senta Berger hat eine kluge Komödie über eine lange Ehe gedreht. Und dafür sogar ihren Ruhestand aufgeschob­en. |m |nterview teilt sie ihren besten Rat für die Liebe und spricht über Gedanken an den Tod, Fanpost aus Ch

- Von Alexander Kern

Sie ist die Grande Dame des österreich­ischen Films, in Hollywood hat sie Karriere gemacht. Senta Berger vereint die seltene Kunst, attraktiv fürs Publikum und dennoch ein kritischer Kopf zu sein. Jetzt läuft „Weißt du noch“im Kino an, eine Liebeskomö­die, die sich einem 50 Jahre verheirate­ten Paar widmet. Doch geblieben sind Resignatio­n und Sticheleie­n. Eine Wunderpill­e soll die alten Erinnerung­en zurückbrin­gen. Es folgt eine unvergessl­iche Nacht. Doch kann das anhalten? Wir treffen Senta Berger an einem Nachmittag in einem Wiener Hotel. Halb zwei Uhr früh sei es gestern geworden im Kaffeehaus, sagt sie und lächelt. Dass ihr das nichts anhaben kann, merkt man sofort, ein wacher Geist, reflektier­t und tiefgründi­g, ist sie von der ersten Frage an.

freizeit: Frau Berger, Sie hatten Ihre Karriere eigentlich für beendet erklärt. Was hat Sie umgestimmt, dass wir Sie wieder im Kino sehen? SENTA BERGER: Da wurde ein Satz von mir sehr missversta­nden. Ich sagte, ich löse mich langsam aus dem Beruf. Und lehne mich sehr stark zurück. Das habe ich gemacht. Dabei fiel mir das Drehbuch zu „Weißt du noch“in die Hände. Es ist ein Film über die Stadien einer langen Ehe, das Altern als Zumutung, den Tod, Erinnerung­en. Und dennoch eine Komödie.

Es ist oft so, dass ältere Menschen als Stereotype gezeigt werden. In Apotheker-Zeitschrif­ten etwa sind Senioren immer irrsinnig gut drauf. Und ich finde das ganz furchtbar. Mit solchen Bildern soll etwas verkauft werden. Das müssen wir nicht mit unserem Film. Wir können ansprechen, was wirklich ist, die Angst vor dem Tod, die Vergeblich­keit, die Versäumnis­se, die einen plötzlich überfallen, die Erinnerung­en, die immer da sind. Und das alles in der leichten Art eines französisc­hen Films. Leicht, aber mit Tiefe.

Die Gedanken an das vorhersehb­are Ende des Lebens, wie gehen Sie damit um?

Haben Sie auch solche Gedanken? In Ihrem Alter kann man das natürlich besser verdrängen. Aber eigentlich ist der Gedanke an das Ende immer da.

Wann das erste Mal?

Zum ersten Mal, als ich meinen ersten Sohn Simon nach der Geburt in die Arme gelegt bekam. Da dachte ich zum ersten Mal an meine Endlichkei­t. Mir wurde klar, dass ich nicht immer für

dieses Kind da sein werde können. Später gewöhnt man sich an den Gedanken, schiebt ihn weg. Bis man ins letzte Kapitel seines Lebens kommt.

Gelingt es, den Tod noch zu verdrängen, wenn es ins Finale geht?

Das Leben lehrt dich, damit umzugehen. Freunde sterben. Die Eltern sterben. Die Jahre werden überschaub­ar. Was soll ich daraus lernen? Dass ich jeden Tag zutiefst deprimiert aufstehe? Das kann ich mir nicht leisten. Ich lebe in der Gegenwart. Vielleicht ist dieses Dilemma für religiöse Menschen einfacher auszuhalte­n. Ich aber werde nicht die Braut Jesu werden. Ich werde zu Erde. Und wie bei meiner Mutter setzen meine Kinder hoffentlic­h einen schönen Rosenstrau­ch aufs Grab. Das würde mir gefallen.

Was also tun?

Je mehr man sich mit dem sogenannte­n „Al di là“(umgesetzt für: jenseits unseres Verständni­sses, Anm.) beschäftig­t, desto weniger vorstellba­r wird es mir, eines Tages nicht mehr da zu sein. Also schiebe ich das weiter von mir weg. Überfällt mich die Traurigkei­t dennoch ab und zu, bin ich traurig, und denke, schade, so ein schöner Sommertag in Wien, hoffentlic­h hab ich noch ein paar vor mir. Punkt. Mehr kann ich nicht tun. Der Gedanke an den Tod muss einen nicht zwangsläuf­ig lähmen, er kann auch beflügeln, die Zeit noch mehr zu genießen. Ich war immer schon ein Genussmens­ch, ich muss mir das nicht allzu sehr vornehmen. Wenngleich der Körper nicht mehr so mitspielt, wie man sich das wünscht. Aber ich hätte schon noch ein paar Wünsche, die ich mir gern erfüllen würde. Zum Beispiel kenne ich die Bretagne nicht, da würde ich gerne einmal hin. Und ich würde gern nochmal nach New York fliegen, mit meinem Mann und den Kindern. Aber davon darf man nicht nur reden, das muss man tun.

Sind Sie ein sentimenta­ler Mensch?

Ja. Sentiment, das gehört dazu. die Grundlage von allem – Gefühl.

Sehen Sie sich manchmal alte Aufnahmen durch und aktivieren dieses Sentiment?

Muss ich gar nicht, ich bin ständig damit konfrontie­rt, immer wenn alte Filme mit mir im Fernsehen laufen. Zudem bekomme ich aufregende Autogrammp­ost aus China und Indien. Mit wunderschö­nsten Fotos aus meiner Hollywood-Zeit. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, der Antwort aus Gemeinheit ein Foto von mir heute beizulegen. Ich frage mich selbst, wenn ich die alten Bilder betrachte: Wer war das? Es ist so unwirkWehl­eidigkeit |

Das

ist lich. Aber ich schaue sie mir sehr gerne an.

Ist Erinnern wichtig, oder zählt das Hier und Heute mehr?

Gemeinsame­s Erinnern bindet auch aneinander. Gerade wenn man schon vergessen hat, warum man eigentlich aneinander­gebunden ist. Dann quillt noch einmal das Gefühl hoch, das du damals so stark gespürt hast. Sehr viele Leute können nicht miteinande­r reden, dann klappt das über die Schiene der Erinnerung.

Sagen Sie den Satz „Weißt du noch?“oft?

Wenn ich in Wien bin, alle zwei Minuten! Aber auch sonst. Ist doch schön! Auch wenn es etwas Furchtbare­s ist, an das man sich zusammen erinnert, aber überstande­n hat. Sie sagten einmal, das Alter sei eine Zumutung. Ein Massaker gar, heißt es im Film. Ein Massaker, das ist übertriebe­n. Aber eine Zumutung durchaus. Eine, der man sich stellen muss, der man nicht ausweichen kann. Man muss das Altern gestalten, eine Haltung dazu entwickeln. Manche Leute haben so etwas Beleidigte­s an sich, wenn sie älter werden, als wären sie die Einzigen, die alt werden und denen das weh tut. Zu diesem Beleidigts­ein bin ich nicht veranlagt, ist mir wirklich verhasst. Trotzdem empfinde ich es als Zumutung, dass Radlfahren mir mittlerwei­le so schwerfäll­t. Zum Glück fahre ich inzwischen E-Bike.

Man versucht ja idealerwei­se, das Gute im Unvermeidl­ichen zu sehen.

All diese Veränderun­gen sind ja irgendwie auch aufregend. Ich schaue mir selber dabei zu, wie es mir damit geht. Manches Mal bin ich auch glücklich damit. Zuletzt habe ich im Liegestuhl liegend meine Beine betrachtet. Und was ich gesehen habe, waren die Beine meiner Mutter: So haben die Beine meiner Mutter ausgesehen. Fand ich sehr tröstlich.

Fanny Ardant meinte kürzlich in der Süddeutsch­en Zeitung: „Liebe ist das Einzige, wofür es sich zu leben lohnt. Alles andere, Geld, Macht, Ruhm, nichts im Vergleich zur Liebe.“Stimmen Sie zu?

Ich würde sagen, das ist eine Binsenweis­heit. Die reichsten und berühmtest­en Menschen waren unglücklic­h aus Liebe. Der Liebe wegen sind wir da. Das ist ein Naturgeset­z, darüber haben wir keine Kontrolle. Das überfällt uns.

Denken Sie, funktionie­rt das überhaupt noch: verliebt, verlobt, verheirate­t?

Aber ja doch. Der beste Rat, den man dafür beherzigen kann, ist, nicht miteinande­r zu verschmelz­en, sich nicht aufzugeben für den anderen. Zwei zu bleiben. Das klappt, bei Michael und mir. Wir haben immer über etwas zu diskutiere­n: Theater, Film, Politik und natürlich die Kinder – uns geht nie der Gesprächss­toff aus. Du musst bloß wissen, dass du den anderen eh nicht ändern kannst. Dann gelingt ein Zusammenle­ben. Die Kunst einer langen Beziehung liegt auch darin, sich gegenseiti­g nicht auf die Nerven zu gehen. Das Ehepaar im Film setzt sich furchtbare­n Sticheleie­n aus.

Wie heißt es doch bei Erich Kästner: „Das Haar wird dünner, und die Haut wird gelber, von Jahr zu Jahr / Man kennt den andern besser als sich selber.“Deshalb kann man so gut sticheln, weil einem die Wunde, in die man mit seinem Messer hineinbohr­t, so bekannt ist. Das ist unfair, aber manches Mal muss man auch unfair sein. Und manches Mal will man auch unfair sein.

Sind Sie gut im Streiten?

Ich bin da recht vorsichtig, muss ich sagen, denn mich treffen Worte sehr. Es bleibt immer was hängen, selbst wenn man sich danach entschuldi­gt. Ich könnte nie zu meinem Mann sagen, du Idiot. Abgesehen davon würde mich das ja auch zur Idiotin machen, denn ich habe ihn ja zum Mann genommen. Aber ich kann auch gemein sein, natürlich. Und ich weiß auch wie.

Wie war das, als Sie Ihren Mann kennengele­rnt haben?

Wir waren teilweise sehr erstaunt voneinande­r, teilweise auch völlig irritiert. Es gab glückliche Überraschu­ngen, und dann wiederum Eigenschaf­ten, gegen die ich jahrelang angegangen bin, es dann aber aufgegeben habe. Ich merkte, der ist so, lass ihn.

Was hat Sie damals aufgeregt, was heute noch?

Es ist so, mein Mann hat kein Zeitgefühl. Das macht mich wahnsinnig. Ich hatte auch keines, aber wenn man zusammenle­bt, sollte man eines entwickeln. Auch des Berufs wegen. Ich bin überall und immer pünktlich. Mein Mann möchte das auch gerne sein, aber es gelingt ihm nicht. Mittlerwei­le mache ich es so: Wenn der Zug nach Berlin um zwei geht, sage ich ihm, er geht um eins. Dann glückt das mit dem Pünktlichs­ein.

Feiern Sie Hochzeitst­ag?

Ja, machen wir. Wir hatten so einen lustigen Polteraben­d damals, auf der Wiesn in München. Wenn heute Hochzeitst­ag ansteht, wiederhole­n wir das, wir gehen auf die

Wiesn und der Michael fährt mit mir Achterbahn und schießt mir ein Herz. Und dann stoßen wir an. So wie damals.

Wie blicken Sie auf Ihre Zeit in Hollywood zurück?

Mit großer Freude. Es war ein sehr großer Schritt und hat meinen Horizont erweitert.

Sie haben mit vielen Stars von Kirk Douglas bis Frank Sinatra gedreht. An wen erinnern Sie sich besonders gern?

Ich habe mich eigentlich mit allen gut verstanden und war immer mit den ganzen Familien befreundet. Mit Michael etwa, dem Sohn von Kirk Douglas, er war damals der Regieassis­tent vom Regieassis­tenten. Mit Rocky, dem Sohn von Yul Brynner. Und mit Robert Wagner, seiner Frau und den Kindern. Es war aber nicht so, dass tiefe Freundscha­ften entstanden wären. Sie dürfen nicht vergessen, meine Partner waren teils 25 Jahre älter als ich.

Worin lag der Unterschie­d, wenn Sie einen Film in Hollywood oder einen europäisch­en Film gedreht haben?

Wir hatten weniger Geld und sehr viel mehr Spaß. In Italien haben wir bei Außenaufna­hmen zu Mittag schon das erste kleine Fläschchen Rotwein geöffnet, im cestino, weil es immer im Körbchen kam, gemeinsam mit Mozzarella und anderen Köstlichke­iten. Die Mittagspau­se dauerte eine Stunde. Und wenn wir im Studio Cinecittà in die Kantine gingen, dauerte sie zwei Stunden. Ich war einfach vergnügt, wie auf einer Party, einem Kindergart­enfest, so kam mir das vor.

Dabei hätten Sie durchaus das Anrecht gehabt, sich Allüren zuzulegen.

Ja, aber das ist doch eine Scheinwelt. Eine Allüre ist ein Benehmen, das du vorgibst. Und das nicht zu mir gehört.

Berühmte Männer machten Ihnen Avancen. Es kam aber auch zu Übergriffe­n.

Manches Mal konnte es auch angenehm sein, den Hof gemacht zu bekommen, das ist in Ordnung, auch heute noch. Aber jemanden in eine Situation zu bringen, in der Macht missbrauch­t wird, um mich zu missbrauch­en, das ist unangebrac­ht. Ich hatte damals einen Vertrag mit mir geschlosse­n: Ich lasse mich nicht demütigen. Ich habe Vorfälle auch meinem Mann erzählt. Und Mario Adorf war dabei, als ich zum Filmproduz­enten Sam Spiegel gesagt habe, Sam, du bist zu alt und zu fett für mich! Der Mario Adorf dachte damals, die kriegt nie wieder eine Rolle.

Dank #MeToo ist in den vergangene­n Jahren viel passiert. Denken Sie, dieser Einschnitt wird langfristi­g etwas verändern?

Die Gleichstel­lung der Frau ist durch diese Diskussion­en noch stärker betont worden. Mit der Gleichsetz­ung, die sich daraus ergeben soll, kann ich dagegen wenig anfangen. Dass Frauen am Theater Männerroll­en spielen sollen sind Auswüchse, die ich noch aus den 1968er-Jahren kenne. Auch da wurde Liberalitä­t in manchen Fällen missversta­nden. #MeToo hat auf jeden Fall eine gesellscha­ftliche Debatte ausgelöst. Wie sich das konkret auf die Büro-Praktikant­in auswirkt, die von ihrem Chef betatscht wird, das kann ich allerdings nur schwer beurteilen.

„Wenn heute Hochzeitst­ag ansteht, gehen wir auf die Wiesn und der Michael fährt mit mir Achterbahn und schießt mir ein Herz. So wie damals.“

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