Kurier (Samstag)

LUST GEHT, LUST KOMMT

Freizeit Promis, die über Sex im Alter schwärmen: Was man daraus lernen kann – und was nicht. Und warum es so wichtig ist, sein Liebeslebe­n zu verändern, während sich der Rest des Lebens ebenfalls verändert. Ein Plädoyer für prickelnde und weise Wechselja

- Gabriele.kuhn@kurier.at

Es ist immer recht animierend, wenn VIPs über tollen Sex im Alter sprechen, im Wohnzimmer ihrer tollen Villa, am Rande ihres tollen Pools, mit einem tollen Smoothie in der Hand, während backstage tolles Personal Wohlfühlat­mosphäre zaubert: die Menopausen-Fachkraft des Vertrauens, Masseure, Friseure, ein Qi-Gong-Meister. Vor Kurzem plauderte Schauspiel­erin Naomi Watts, 54, über ihr Liebeslebe­n mit dem frisch angetraute­n Ehemann Billy Crudup. Bei einer Wellness-Veranstalt­ung mit dem Titel „Unlocking Intimacy: Navigating Passion in Midlife“sagte sie, dass Sex mit zunehmende­m Alter besser würde. Was aus ihrer Sicht vermutlich mit dem Honey-Moon-Effekt zu tun haben könnte, aber auch mit der Tatsache, dass sie nicht mehr schwanger werden kann. „Fürs Geschäft geschlosse­n, fürs Vergnügen geöffnet“, scherzte die Gute. Schön, so ein Leuchtturm der Libido. Und ja, da schließe ich mich an: Älterwerde­n und guter Sex schließen einander nicht aus. Man sollte das Thema allerdings einen Hauch realistisc­her und differenzi­erter angehen, damit man nicht eines Tages aufwacht und sich als Außenseite­rin wähnt – Motto: „Alle anderen haben’s lustig, nur ich sitze im Trockenen – was ist nur mit mir los?“Abseits des Glamours und jenseits der 50 sieht die Realität mitunter komplexer aus, und da meine ich nicht nur den veränderte­n Hormonstat­us. Vor allem die Seele hat in dieser Phase des Lebens einiges zu verarbeite­n: Da packen die Kinder die Koffer und sagen „Das war’s, Leute, ich mache jetzt mein Ding.“Dort könnte es sein, dass die eigenen Eltern zunehmend gebrechlic­h und hilfsbedür­ftig werden. Vielleicht steckt auch der Partner in der Midlife- und Sinnkrise. Möglicherw­eise wurde man in der Firma aussortier­t, wegen des jüngeren Workflows. Manche Freunde und Freundinne­n, die bisher topfit waren, werden krank, man selbst registrier­t den Rücken, das Knie und erstes Grau auf dem Haupt. Irgendwas im Kopf raunt: Lustiger wird’s nimmer. Da kommt einiges zusammen: Abschiede, wohin das Auge blickt – von jugendlich­er Geschmeidi­gkeit, von einer Party-Laune ohne dreitägige­n Nachhall im Schädel, von Menschen, Lebenskonz­epten und einem Forever-youngSelbs­tbild. All das kann die Lust schmälern, ganz abgesehen von den körperlich­en Veränderun­gen, die mit den Wechseljah­ren verbunden sind. Damit diese Zeit auch jenseits so mancher Wallung „heiß“wird, gilt es, mit einigen Glaubenssä­tzen und damit verbundene­n eingefrore­nen Bildern von Sexualität aufzuräume­n. Naomi Watts hat in diesem Zusammenha­ng einen wesentlich­en Gedanken geäußert. Nämlich, dass man im zunehmende­n Alter selbstbewu­sster wird und man dann eher bereit ist, etwas für sich selbst zu tun, im Sinne erotischer Selbstfürs­orge. Dazu gehört, dass man nicht mehr jeden Blödsinn pornomäßig mithechelt, sondern ehrlich äußert, worauf man Lust hat und worauf nicht. Mehr denn je darf nun über sexuelle Bedürfniss­e gesprochen werden. Was geht, was geht nicht mehr, was kommt stattdesse­n, wie tun wir einander gut? Stimmt, über Sex zu sprechen, fällt vielen Paaren nicht leicht, ein heikles Terrain, man hat sich über die Jahre arrangiert. Doch gerade, weil sich in dieser Phase des Lebens so vieles verändert, sollte man auch in Sachen Intimität Veränderun­gen wagen. Dann kann’s echt noch einmal richtig gut werden. Das betonte auch Watts: Kommunikat­ion sei erst dann „hot“, wenn man ehrlich ist und das Gespräch an jenen Punkt kommt, an dem man sagen kann: Okay, das war zwar jetzt ein bisserl peinlich, aber dafür haben wir wieder Spaß miteinande­r.

„Abseits des Glamours und jenseits der 50 sieht die Realität mitunter komplexer aus, und da meine ich nicht nur den veränderte­n Hormonstat­us.“

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