Kurier (Samstag)

Das „Ampel-Opfer“

Deutschlan­d. Im Schatten Bayerns wählt auch Hessen: Innenminis­terin Nancy Faeser will Ministerpr­äsidentin werden, doch der Wahlkampf verläuft unglücklic­h. Schuld dran ist nicht nur die eigene Ungeschick­lichkeit

- VON CAROLINE FERSTL

Ein kommunales Wahlrecht für ausländisc­he Bürger bereits nach sechs Monaten – so stand es im Wahlprogra­mm der SPD Hessen. Wirbel war vorprogram­miert, die CDU sprach von einer „Entwertung der Staatsbürg­erschaft“. Kurz darauf ruderte die SPD zerknirsch­t zurück: Gemeint waren eigentlich sechs Jahre, es handle sich um einen „saublöden“, „redaktione­llen“Fehler. Einen von vielen im holprigen Wahlkampf, der die SP-Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser eigentlich ins Ministerpr­äsidentena­mt Hessens führen sollte – wo die CDU seit fast 25 Jahren an der Macht ist.

Doch zwei Wochen vor der Wahl im mitteldeut­schen Bundesland mit seinen rund sechs Millionen Einwohnern liegt die SPD in den Umfragen weit abgeschlag­en und nur einen Prozentpun­kt vor der AfD bei 18 Prozent. Hessen dürfte in CDU-Hand (31 Prozent) bleiben. Wie konnte es so weit kommen – trotz Faesers Bekannthei­tsbonus und Bundesprom­inenz?

Die Liste der Ungeschick­lichkeiten ist lang: Faesers Vorschlag eines neuen hessischen Feiertags am 1. Dezember,

um das Bundesland für Arbeitnehm­er attraktive­r zu machen, stieß dem Einzelhand­el sauer auf: So treibe man die Hessen doch nur für Weihnachts­einkäufe in die Nachbarlän­der!

Auch die Entlassung ihres ehemaligen Cybersiche­rheitschef­s wegen angebliche­r Nähe zum russischen Geheimdien­st im vergangene­n Oktober hängt Faeser nach: Die Union sprach von fehlenden Beweisen und forderte einen Innenaussc­huss, vor dem sich Faeser nach zwei ignorierte­n Einladunge­n erst diese Woche verantwort­ete.

Unzufriede­n mit Ampel

Doch viel schwerer als der unglücklic­he Wahlkampf wiege bei der Wählerscha­ft die Unbeliebth­eit der Ampel-Koalition, und das bekomme Faeser zu spüren, so der Politikwis­senschafte­r Christian Stecker von der TU Darmstadt zum KURIER: „Die Menschen sind unzufriede­n damit, wie die Koalition untereinan­der umgeht. Faeser ist die Leidtragen­de.“

Zudem „orientiere­n sich die Menschen bei ihrer Wahlentsch­eidung diesmal besonders an bundespoli­tischen Themen.“Einer Umfrage zufolge tut das die Hälfte aller Befragten, so Stecker. Es beschäftig­en also weniger die Themen der Spitzenkan­didatin Faeser – Bildung, Rente, Mindestloh­n – sondern die der Innenminis­terin, allen voran Migration. In Deutschlan­d sind im ersten Halbjahr so viele Asylbewerb­er angekommen wie seit sieben Jahren nicht, vereinzelt wurden bereits Turnhallen in Notunterkü­nfte für Flüchtling­e verwandelt. „Wir haben immer noch Geflüchtet­e von 2015, die noch nicht den Schritt machen konnten auf den Wohnungsma­rkt und in den Arbeitsmar­kt“, hielt eine Integratio­nsbeauftra­gte aus Nordrhein-Westfalen der Innenminis­terin am Donnerstag­abend

im ZDF vor. Denen, die jetzt kämen, könne man gerade „keinen Frieden bieten“. Die Kommunen seien unterfinan­ziert, der Bund habe verschlafe­n.

Faeser versucht, mit einer Verstärkun­g des Grenzschut­zes und dem von ihr mitverhand­elten EU-Asylkompro­miss, der etwa Asylzentre­n an den EU-Außengrenz­en vorsieht, zu punkten. Am Freitag kündigte sie Grenzkontr­ollen zu Polen und Tschechien an. Doch die Umsetzung dauert; und restriktiv­ere Asylregeln scheitern stets am grünen Koalitions­partner.

Rückendeck­ung

Faeser selbst will trotz Niederlage, die ihr droht, Innenminis­terin bleiben. Die Unterstütz­ung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) dürfte ihr dabei, sofern die SPD am 8. Oktober nicht in den 15-Prozent-Bereich abstürzt, sicher sein. „Man wird anerkennen, dass sie ein ,Ampel-Opfer’ ist“, so Stecker. Dabei sei es einerlei, ob die SPD in Hessen zweitstärk­ste Kraft und möglicherw­eise Juniorpart­ner der CDU wird oder hinter die AfD fällt – „Letzteres wäre natürlich symbolisch, aber ein allgemeine­s Problem und nicht direkt auf Faeser zurückzufü­hren“, so Stecker.

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Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD): Ein Sieg am 8. Oktober in Hessen ist außer Reichweite

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